Toolbox für Unternehmen (1/3)
Nutzerorientierte Produktentwicklung, einfache MethodenDie frühzeitige Einbindung künftiger Nutzer und Nutzerinnen verbessert die Marktchancen von Produkten und Dienstleistungen. Indem Sie deren Wissen, Ideen und kreatives Potenzial für die Innovationsgestaltung einsetzen, stellen Sie ihr Angebot nutzerfreundlicher auf und stärken die Kundenbindung. Mit den hier präsentierten Methoden können Sie Nutzerinnen und Nutzer in allen Phasen des Innovationsprozesses einbeziehen.
Steckbrief
- Aufwand: 0,25 Personenmonat zzgl. Rekrutierung
- Veranstaltungsdauer: pro Workshop à ca. 3-5 Stunden, mehrere Workshops kombinierbar
- Prozessdauer: ca. halber Monat (zzgl. Erprobungsphase)
- Anzahl der Teilnehmenden: 12-20 Nutzer/innen mit Nutzungserfahrung aus Pilotphase
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
Sie möchten eine komplexe Produktidee verbessern und kennen die Meinung Ihrer potenziellen Nutzer/innen zu wenig? Dennoch benötigen Sie ein differenziertes Feedback aus Nutzersicht? In Erprobungsworkshops können Sie Nutzer/innen während der Pilot- und Erprobungsphase komplexer innovativer Produkte und Dienstleistungen einbinden und frühzeitiges Nutzerfeedback einholen. Durch Diskussion mit Testnutzer/innen können aus ersten Anwendungserfahrungen Hinweise für Verbesserungen und Weiterentwicklungen oder ergänzende Dienstleistungen abgeleitet werden.
Die Workshops zur begleitenden Nutzereinbindung sind ein Element der Erprobungsphase von Produkten und Dienstleistungen. Geeignet sind sie für komplexe Neuerungen, zu denen noch keine oder nur geringen Nutzererfahrungen vorliegen und die aber für eine Weiterentwicklung essentiell sind – am Beispiel des Quartierspeichers und begleitende Dienstleistungen zeigen wir die besondere Bedeutung dieser Art des Feedbacks. Während der Pilotphase machen Testnutzer/innen erste Erfahrungen und lernen die Produkte in der Praxis kennen. Die Workshops ermöglichen einen Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmenden wie auch im Dialog mit Unternehmensvertretern. Feedback wird in Form von Bewertungen und Verbesserungsvorschlägen eingeholt. Je besser die Teilnehmenden das Produkt oder die Dienstleistung in seiner Anwendung kennen, desto detaillierter können Sie bewerten und kommentieren. Das macht den Kern der der Methode aus.
Die Dauer der Testphase bemisst sich daran, wie anspruchsvoll die Anwendung ist, sollte bei komplexen Neuerungen aber mindestens 3 Monate betragen. Denn: Aus den Erfahrungen – guten wie schlechten – lassen sich Verbesserungsmöglichkeiten und Weiterentwicklungsbedarfe für die Innovationen Ihres Unternehmens ableiten. Zentrale Elemente des Workshops mit ca. 10 -20 Teilnehmer/innen sind deshalb der Erfahrungsaustausch und die Bewertung der Anwendung. Im Rahmen der Begleitworkshops lassen sich auch Aspekte aus der partizipativen Produktbewertung integrieren.
Anwendungsbereich
Erprobungsworkshops finden während der Realisierung einer Innovation statt: in der Test- oder Pilotphase helfen sie Ihnen Ihre Innovation zu evaluieren. Sie eignen sich insbesondere als begleitendes Format während der Erprobung innovativer technologischer Ansätze oder komplexer Produkte. Auch bei der Weiterentwicklung von Dienstleistungen lässt sich die Methode gut einsetzen.
Sie kommen für Unternehmen aller Größenklassen in Frage. Aufgrund des überschaubaren finanziellen Aufwands eignet sich diese Methode auch für Unternehmen, die nur über geringe finanzielle Ressourcen verfügen. Besonders eignen sich solche Workshops dann, wenn Ihr Produkt zwar technisch ausgereift ist, aber noch erklärungsbedürftig. Testnutzer/innen, die ausreichend Zeit hatten, sich mit dem Produkt auseinanderzusetzen und es zu verstehen, können wertvolle Hinweise zur Vermarktung geben: Was muss erklärt werden, was kann vereinfacht werden und was weggelassen?
Über die Workshops können Sie mithilfe der ersten Nutzungserfahrungen Ihre Produkte und Dienstleistungen spezifizieren und weiterentwickeln, denn im Rahmen der Workshops lassen sich sowohl die Motive und Meinungen der Nutzer/innen abfragen, als auch Weiterentwicklungen entweder bewerten oder direkt gemeinsam mit den Teilnehmer/innen entwickeln. Je nach Dauer der Testphase kann es sinnvoll sein, mehr als einen Workshop durchzuführen. Erprobungsworkshops können zudem an Nutzerinnovations-Workshops angeschlossen werden.
Ablauf
Im Workshop stehen die Nutzungserfahrungen der Teilnehmenden im Vordergrund: welche Vor- und Nachteile an der getesteten Innovation nehmen sie wahr? Aus welchen Gründen sind sie an der Nutzung interessiert? Wo haben sie Zweifel? Wo stoßen sie auf Probleme und welche Anregungen haben sie für die Weiterentwicklung? Nutzen Sie die Expertise der Testnutzer/innen! Der Workshop wird dann gut, wenn es gelingt, möglichst viele Meinungen und Einschätzungen zu generieren.
Teilen Sie den Workshop in verschiedene Diskussionsphasen ein. Diskutieren Sie beispielsweise zunächst die Motive für die Teilnahme an der Testphase und die Nutzung des Produktes. Die Teilnehmenden /innen können dann das Produkt oder einzelne Aspekte bewerten. Hier unterstützen konkrete Bewertungsfragen und Bewertungstools. Anschließend können die Teilnehmenden Ideen für die Weiterentwicklung oder ergänzende Angebote in Kleingruppen diskutieren. Hierfür können Sie Vorschläge zur Diskussion stellen und/oder mit Hilfe von Kreativitätsmethoden die Teilnehmenden eigene Ideen entwickeln lassen. Zum Abschluss sollten die Vorschläge im Plenum gesammelt, diskutiert und bewertet und aussichtsreiche Vorschläge ausgewählt werden.
Sie können die unterschiedlichen Themenblöcke mit einem Stimulus beginnen. Machen Sie den Einstieg besonders konkret, indem Sie beispielsweise mit dem Stand der Entwicklung und den Nutzungsmöglichkeiten Ihres Produkts oder Ihrer Dienstleistung beginnen. Es lohnt sich, wenn Sie komplexe Sachverhalte visualisieren: so werden Ihre Ideen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer greifbarer. Zum Beispiel eignen sich Schaubilder oder Grafiken, um unterschiedliche Abhängigkeiten von technischen Details eines Produktes oder einer Dienstleistung darzustellen. Aber auch kurze Erklärvideos können zum Einsatz kommen. Aufbauend auf diesem Stimulus sammeln Sie zunächst die spontanen Rückmeldungen, Assoziationen und Meinungen ein, bevor Sie mit gezielten Nachfragen einzelne Aspekte vertiefen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung eines Erprobungsworkshops an:
- Klärung des Ziels des Erprobungsworkshops
- Festlegen der Dauer von Testphase und Zeitpunkt des Erprobungsworkshops
- Erstellung eines Moderationsplanes und Rekrutierung des Moderationsteams
- Rekrutierung der Teilnehmenden für Pilotphase und Workshop (ggf. über kontextspezifische Netzwerke und Marktforschungsinstitute)
- Organisatorische Vorbereitung (u.a. Auswahl des Veranstaltungsortes, Buchung eines Caterers, Vorbereitung des Informationsinputs und der Arbeitsmaterialen)
- Durchführung des Erprobungsworkshops
- Dokumentation durch Protokolle und Notizen sowie Auswertung
Materialien und Geräte:
- Informationsinputs als Diskussionsstimuli (z.B. grafische Darstellung weiterer Produkt- oder Dienstleistungsideen, …)
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Beiträgen (zum Beispiel Moderationskoffer, Meta-Planwände, Templates, Karteikarten und Flipcharts)
- Fotoapparat; ggf. Aufnahmegeräte (Ton & Video) zum Mitschnitt der Diskussion
Expertise
Für die Durchführung eines Erprobungsworkshops benötigen Sie Kenntnisse über die Nutzung und Handhabung des erprobten Produktes und der dazugehörigen Dienstleistungen sowie deren Weiterentwicklungspotenziale. Da Kenntnisse eher zu Nutzungsfragen und weniger zu technischen Details gefragt sind, sollten Sie entsprechende Expert/innen aus Ihrem Unternehmen bei der Planung und Durchführung des Begleitworkshops einbinden. Die Expert/innen sollten Rückfragen der Teilnehmenden, beispielsweise zum Einfluss von bestimmten technischen Änderungen auf die Nutzung eines Produktes oder einer Dienstleistung, beantworten können.
Wichtig ist, dass sich die Expert/innen mit Äußerungen zur Umsetzbarkeit einzelner Vorschläge eher zurückhalten und den Teilnehmenden vielmehr erklärend zur Seite stehe. Es geht darum, möglichst viele Erfahrungen zu erfassen und Weiterentwicklungsbedarfe zu identifizieren. Die Moderation sollte dafür sorgen, dass zwischen den Nutzer/innen eine gleichberechtige Kommunikationssituation entsteht.
Beachten
- Rolle des Unternehmens
In den Begleitworkshops stehen die Erfahrungen mit der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen im Vordergrund. Daher sollten Vertreter/innen Ihres Unternehmens (F&E-Abteilung) bei den Workshops dabei sein, um ggf. Fragen der Nutzer/innen zu beantworten. - Moderation & Gesprächsführung
Die Begleitworkshops können Sie durch Vertreter/innen Ihres Unternehmens oder extern moderieren lassen. Die Moderation sollte eine neutrale Gesprächsführung sicherstellen. - Gruppengröße
Die ideale Gruppengröße umfasst ca. 12- 20 Personen. Während des Workshops sollte darauf geachtet werden, dass alle in die Diskussion eingebunden sind. Sprechen Sie ggf. auch zurückhaltende Teilnehmer/innen direkt an. Um unterschiedliche Sichtweisen zu hören, eignen sich auch Formate, in denen zu bestimmten Fragen oder Problemstellungen reihum alle Teilnehmer/innen zu Wort kommen dürfen oder die Teilnehmenden ihre Meinung schriftlich formulieren können - Aufwandsentschädigung
Den Teilnehmenden sollten Sie eine Aufwandsentschädigung (Incentive) für die Teilnahme am Workshops zahlen. Die Höhe richtet sich nach der Workshopdauer und kann entweder ein Geldbetrag oder ein Gutschein sein. Eventuell ist auch die Möglichkeit an der Testphase teilzunehmen und ein innovatives Produkt zu testen genug Anreiz für die Teilnehmenden. - Methodenvielfalt
Bei längeren Diskussionen (mehr als anderthalb Stunden) sollten Sie auflockernde Moderationselemente einstreuen, wie individuelles Brainstorming von Ideen auf Moderationskarten oder Murmelrunden für einen kurzen Austausch in Kleinstgruppen. So können Sie die Aufmerksamkeit der Teilnehmer/innen hochhalten. Anregungen für Moderationsmethoden finden Sie hier.
Beispiel
Im Projekt ESQUIRE wurden 2018 Begleitworkshops bei der Erprobung von Quartierspeichern in zwei Quartieren durchgeführt. Die gemeinschaftliche Nutzung der Speicher und damit verbundene Dienstleistungen standen im Zentrum der Forschung. Beide Workshops wurden vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) geplant und moderiert und gemeinsam mit Vertretern des Energieversorgers ENTEGA in Groß-Umstadt bzw. des Bauträgers evohaus in Köln durchgeführt.
Die Workshops gingen der Frage nach, welche Dienstleistungen die gemeinschaftliche Nutzung von Quartierspeichern unterstützen können. Im Kölner Workshop ging es zudem um die Frage, ob die Quartierbewohner/innen den Speicher nach der Testphase weiter nutzen wollen und wie die Entscheidung organisiert werden kann. Vor den Workshops hatte das Projektteam eine schriftliche Befragung in den Quartieren durchgeführt, sodass im Workshop mit einer Zusammenfassung der Motive und Erfahrungen beginnen konnte. Die Workshops dauerten fünf Stunden und die 15 bzw. 20 Teilnehmenden erhielten eine Aufwandsentschädigung in Höhe von jeweils 100 Euro.
Beide Workshops gliederten sich in drei Themenblöcke, die wie folgt zusammengefasst werden können:
- Nutzungsmotive sowie Vor- und Nachteile von Quartierspeichern
- Diskussion und Bewertung einzelner Dienstleistungsideen (z.B. Monitoring, Visualisierung, Beratung, Kopplung mit Elektromobilität)
- Entwicklung und Diskussion zusätzlicher Ideen für Dienstleistungen
Nach einer kurzen Vorstellung der Teilnehmenden und des Projektes stellte die Moderation die Ergebnisse der Quartiersbefragung vor. Anschließend sollten die Teilnehmer/innen zu mehreren gegensätzlichen Aussagen zum Quartierspeicher Stellung nehmen. Anhand der Visualisierung mithilfe von Klebepunkten konnte die Moderation die Diskussion gezielt auf die gegensätzlichen Standpunkte, aber auch Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe lenken und nach den Motiven und Bedingungen einer gemeinschaftlichen Speichernutzung fragen.
Im zweiten Teil stellten Unternehmensvertreter Ideen für Dienstleistungen (z.B. Energiemonitoring) vor. Anschließend diskutierten die Teilnehmer/innen die Vor- und Nachteile der vorgestellten Dienstleistungen in Kleingruppen. Die Diskussion wurde mit Hilfe von vorgefertigten Templates strukturiert, das hier als Download verfügbar ist. Nach der Vorstellung der Ergebnisse der Kleingruppen im Plenum bewerteten alle Teilnehmenden die verschiedenen Dienstleistungen zu verschiedenen Aspekten (Eigenverbrauch, Kosten und Interesse) auf einer Skala.
Abbildung: Template zur Bewertung der Dienstleitungen
Der dritte Teil widmete sich der Frage, welche weiteren Dienstleistungen für die Nutzer/innen aus den Quartieren interessant wären. Für diesen „Blick über den Tellerrand“ wurde die Gruppe in drei Kleingruppen geteilt, in denen die Teilnehmenden zunächst Ideen für weitere Dienstleistungen rund um Speicher und Energieversorgung im Quartier sammelten. Jede Gruppe wählte anschließend die drei besten Ideen aus und stellte sie im Plenum vor.
In den Diskussionen setzte das Forschungsteam verschiedene Moderationstechniken ein. Als besonders hilfreich erwiesen sich als Einstieg die Verortung der Teilnehmenden zu unterschiedlichen Aussagen bezüglich der Nutzungsmotive eines Quartierspeichers mittels Punktbewertungen. Ebenfalls aktivierend für die Diskussion war die Einteilung in Kleingruppen.
Literatur und Links
- Informations-Webseite „Solarstrom in der Stadt speichern: Quartierspeicher für die Energiewende“: www.stromspeicher-in-der-stadt.de
- Webseite des ESQUIRE Projektes
- Forschungsgruppe GELENA (2007): Leitfaden Innocope (Download PDF)
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Steckbrief
- Aufwand: je nach Anzahl Fokusgruppen und Auswertungstiefe ca. 1 bis 2 Personenmonate zzgl. Rekrutierung
- Veranstaltungsdauer: 1,5 bis 3 Stunden je Gruppe
- Prozessdauer: ca. 2 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 6 bis 10 Personen
- Integration: Beforschung
Fokusgruppen sind moderierte Diskussionsgruppen zu einem konkreten Thema. Mit einer Fokusgruppe erheben Sie die Assoziationen, Denkmuster, Meinungen und Wahrnehmungen, die die Teilnehmenden mit dem vorgegebenen Thema verbinden. Diese Methode eignet sich besonders dafür, neue Themen zu erkunden.
Durch eine offene Befragung simulieren Fokusgruppen eine alltägliche Kommunikationssituation. Mit der Methode imitieren Sie die soziale Realität also bewusst durch eine soziale Situation. Die dabei entstehenden Daten sind immer das Resultat von gruppendynamischen Prozessen.
Üblicherweise führen Sie mehrere Gruppendiskussionen zum selben Thema durch. So haben Sie die Möglichkeit, Personen mit unterschiedlichen Merkmalen einzubinden. Auch verbessern Sie auf diese Weise die Verallgemeinerbarkeit, Plausibilität und Validität der gewonnenen Informationen – selbst wenn Sie mit Fokusgruppen keine repräsentativen Ergebnisse erzielen können. Außerdem sind Sie mit diesem Vorgehen in der Lage, bereits während des Prozesses Anpassungen des Fokusgruppendesigns vorzunehmen.
Die Zusammensetzung einer Fokusgruppe bestimmen Sie je nach den besonderen Anforderungen Ihres Produkts. Was die sozio-demografischen Merkmale angeht, können Sie entweder homogene oder sozio-demografisch durchmischte Gruppen einsetzen. Wählen Sie eher eine allgemeinere, abstrakte Thematik, bieten sich homogene Gruppen an. Denn so vermeiden Sie Kommunikationsbarrieren, da kulturelle oder Sozialstatus-Unterschiede weitgehend wegfallen. Je konkreter Sie werden, zum Beispiel Diskussion zu bestimmten Produkten oder Technologien, desto besser eignen sich gemischte Gruppen. Durch die sozio-demografische Durchmischung gewinnen Sie an Vielfalt, da mehr unterschiedliche Meinungen und persönliche Voraussetzungen in die Diskussion einfließen können. In diesem Fall bietet es sich an, dass Sie zwischen den Gruppen je nach Produktkenntnis und Erfahrung unterscheiden.
Das wohl wichtigste Auswahlkriterium ist jedoch, wie stark und auf welche Weise eine Person vom Diskussionsthema betroffen ist. Mithilfe eines gezielten Auswahlverfahrens können Sie sicherstellen, dass die Gruppe alle relevanten Arten der Betroffenheit repräsentiert. Je nach Thema können das beispielsweise mehr oder weniger Vorerfahrung mit (verwandten) Produkten sein oder positive bzw. skeptische Einstellungen zum Produkt oder Diskussionsgegenstand.
Anwendungsbereich
Mit einer Fokusgruppe können Sie besonders gut Ideen zu einem neuen Thema erzeugen, indem Sie die kreative Dynamik von lebhaften Gruppendiskussionen nutzen. Sie können die Methode aber auch anwenden, um Motive und Meinungen von Nutzer/innen zu erheben, um Konzepte, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und zu bewerten sowie um Kommunikations- und Marketingstrategien zu überprüfen. Diese Anwendungsbereiche machen Fokusgruppen zu einer guten Entscheidungshilfe im Innovationsmanagement.
Sie können Fokusgruppen in allen Phasen eines Innovationsprozesses, d.h. von der Strategieentwicklung bis zur Markteinführung, einsetzen. Zu Beginn des Innovationsprozesses, in der Phase der Ideenentwicklung, erlaubt Ihnen die Methode, Ideen und Hypothesen zu entwickeln. Im weiteren Verlauf, in der Phase der Ideenauswahl und Spezifikation, hilft sie Ihnen dabei, Ihre konkreten Konzepte zu überprüfen. Am Ende des Prozesses, in der Phase der Realisierung, dient Sie dazu, Ihre Marketingstrategie zu entwickeln oder Ihre Innovation zu evaluieren.
Ablauf
Eine Fokusgruppe beginnt üblicherweise mit einem Stimulus. Dies kann eine Produkt- oder Prototypvorstellung oder eine anders geartete Einführung ins Thema, wie beispielsweise ein kurzer Vortrag oder ein Film sein. Aufbauend auf diesem Stimulus sammeln Sie zunächst allgemeine Eindrücke und Meinungen ein, bevor Sie mit gezielten Nachfragen einzelne Aspekte vertiefen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer Fokusgruppe an:
- Rekrutierung eines Moderators / einer Moderatorin
- Erstellung eines Moderationsplanes
- Durchführung eines Pretests (optional)
- Definition der Teilnehmenden und ihrer Auswahlmerkmale
- Recherche und Rekrutierung der Teilnehmenden
- organisatorische Vorbereitung (zum Beispiel Auswahl des Veranstaltungsortes, Buchung eines Caterers, Vorbereitung des Informationsinputs)
- Durchführung der Fokusgruppe
- Transkription der Audio- oder Videomitschnitte
- Auswertung und Analyse der gesammelten Daten
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung von Fokusgruppen zum Einsatz:
- Informationsinput als Diskussionsstimulus (zum Beispiel mithilfe eines Textes, Videos oder Prototyps)
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Beiträgen (zum Beispiel Stifte, Karteikarten und Flipcharts)
- Audiorecorder oder Videokamera zum Mitschnitt der Diskussion
Expertise
Die Durchführung von Fokusgruppen erfordert ein breites Fachwissen, um sachgerechte und zielorientierte Leitfragen formulieren zu können. Diese Fragen sind die inhaltliche Grundlage für die Moderation der Gruppe. Die Moderation muss über eine hohe methodische Kompetenz verfügen, damit sie den Ertrag der Gruppendiskussion für Sie umfassend sichern kann. Zu ihren Aufgaben zählen, ein gutes Gesprächsklima aufrecht zu erhalten, die gleichberechtigte Einbindung aller Teilnehmenden zu gewährleisten sowie den organisatorischen und inhaltlichen Ablauf einzuhalten.
Die Datenerhebung erfolgt bei Fokusgruppen in Form von Protokollen, Ton- oder Videoaufzeichnungen sowie durch Materialen, die die Teilnehmenden in den Diskussionen erstellt oder bearbeitet haben. Dies können Collagen, Metaplandarstellungen, Flipcharts oder Fragebögen sein. Ton- und Videoaufzeichnungen sind in der Regel zu transkribieren.
Für die Datenauswertung ist ebenfalls ausgewiesene methodische Expertise erforderlich. So kann etwa bei der Auswertung des Transkripts der Ton- oder Videoaufzeichnungen eine Interaktions- oder Inhaltsanalyse in Frage kommen.
Beachten
- Neutrale Gesprächsführung
Gemäß dem Motto „Moderieren, nicht mitdiskutieren“ sollte die Moderation in der Gesprächsführung nicht ihre eigene Meinung oder ihr Expertenwissen zum Ausdruck bringen. Stattdessen sollte sie eine thematisch neutrale und unabhängige Position vertreten und offen und unvoreingenommen moderieren. Bei unklaren Äußerungen sollte sie jedoch nachfragen, um sicherzustellen, dass die Gruppe die Diskussionsfragen zufriedenstellend beantwortet. - Gruppengröße
Die ideale Gruppengröße umfasst sechs bis zehn Personen. Bei dieser Größe stellen Sie sicher, dass alle Teilnehmenden ausreichend Redezeit bekommen und eine Gruppendynamik entstehen kann. - Teilnehmendenrekrutierung
Bei der Rekrutierung der Teilnehmenden kann es sinnvoll sein, ein Marktforschungsinstitut einzubinden. Zum einen ist die Rekrutierung der Teilnehmenden meist mit einem hohen Aufwand verbunden, für den Sie genug Zeit und Ressourcen bereitstellen sollten. Zum anderen kann dadurch sichergestellt werden, dass die Teilnehmenden die passenden Voraussetzungen für die Teilnahme haben. Die Auswahlkriterien sollten Sie in einem Rekrutierungsbogen festlegen. - Aufwandsentschädigung
Den Teilnehmenden sollten Sie eine Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an der Gruppendiskussion zahlen, die je nach Vorbereitungs- und Gruppendauer zwischen 50 und 100 Euro liegen kann. - Vorbereitung der Teilnehmenden
Je nach Kenntnisstand der Teilnehmenden und Komplexität des Diskussionsthemas kann es sinnvoll sein, den Teilnehmenden vorab Vorbereitungsmaterial zum Beispiel in Form eines kurzen Hintergrundpapiers zur Verfügung zu stellen. - Methodenvielfalt
Bei längeren Diskussionen (mehr als anderthalb Stunden) sollten Sie Abwechslung in den Moderationsmethoden einplanen. Anregungen für Moderationsmethoden finden Sie hier.
Beispiele
Beispiel 1: Fokusgruppen zu Quartierspeichern
Das Projekt ESQUIRE untersuchte, unter welchen Bedingungen Quartierspeicher eingeführt werden können, die im Rahmen der Energiewende als dezentrale Stromspeicher zur Entlastung der Stromnetze beitragen sollen. Gemeinsam mit Unternehmen und Nutzer/innen entwickelte das Projekt Energiedienstleistungen für Quartierspeicher und prüfte soziale, technische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Das Projektteam führte neben einer Online-Befragung unter Photovoltaik-Anlagen-Besitzer/innen und Erprobungsworkshops in zwei Projektquartieren mit Quartierspeichern auch Fokusgruppen durch. Die Fokusgruppen bauten auf den Ergebnissen der anderen Formate auf.
In zwei Fokusgruppen-Runden untersuchte das Forschungsteam von ESQUIRE, ob und unter welchen Bedingungen Besitzerinnen und Besitzer von PV-Anlagen einen Quartierspeicher mitnutzen und gemeinschaftlich betreiben würden. Die Fokusgruppen dienten dazu, abzuklären, inwiefern Meinungen zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Vorerfahrungen mit dezentral erzeugtem erneuerbaren Strom im Hinblick auf ihre Einstellung zu Quartierspeichern voneinander abweichen. In der ersten Runde im November 2018 wurden zwei Fokusgruppen durchgeführt; in der zweiten Runde im darauffolgenden Jahr fanden drei weitere Fokusgruppen statt.
Zentrales Auswahlkriterium für die Teilnehmenden war der Besitz einer PV-Anlage zur Eigennutzung des darüber erzeugten Stroms. Darüber hinaus wurde bei der Rekrutierung der Teilnehmenden auf deren beruflichen Hintergrund geachtet: Da die Nutzungsperspektive im Vordergrund stand, sollten keine Personen aus der Energiewirtschaft oder verwandten Bereichen teilnehmen. Zudem sollten in jeder Gruppe ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Teilnehmenden und eine Mischung aus unterschiedlichen Altersgruppen erzielt werden, was nicht in allen Gruppen gelang. Die Rekrutierung für die erste Runde erfolgte über co2-online, wodurch Teilnehmende erreicht wurden, die sich intensiv mit ihrer PV-Anlage beschäftigen und beispielsweise Datenauswertungen zu Erzeugung und Verbrauch erstellen. In der zweiten Runde rekrutierte ein Marktforschungsinstitut, wodurch auch Personen erreicht wurden, die sich wenig mit ihren PV-Anlagen befassen. In der zweiten Runde der Fokusgruppen wurden zudem Personen rekrutiert, die bereits einen individuellen oder Gemeinschaftsstromspeicher betreiben oder über die Anschaffung nachdenken. So konnten auch Erfahrungen mit dem Kauf- und Entscheidungsprozess und der Nutzung behandelt werden.
Die Anzahl der Teilnehmenden variierte zwischen acht und 12 Personen. Die Gruppen dauerten jeweils zweieinhalb bis drei Stunden. Die Fokusgruppen folgten einem strukturierten Gesprächsleitfaden mit den folgenden Themenblöcken 1) grundsätzliche Einstellung gegenüber Quartierspeichern vs. Heimspeichern, 2) geeignete Betreibermodelle 3) mögliche Dienstleistungen, speziell über variable Speicherscheiben und 4) Aspekte der Datennutzung und des Datenschutzes.
Das Forschungsteam setzte verschiedene Moderationstechniken und Stimuli ein. Zur Einführung in das Thema Quartierspeicher wurde in der zweiten Runde der Fokusgruppen eine Entwurfsfassung des ESQUIRE-Erklärfilms als Stimulus gezeigt, der sich als besonders hilfreicher Einstieg in die Diskussion erwies. Außerdem machte die Moderation zu den einzelnen Themenblöcken kurze Inputs mit Powerpoint oder am Flipchart. Neben dem Einsatz von Karten- und Punktabfragen aus der Pinnwandmoderation, wurden auch Mindmaps erstellt. Ergänzend wurde bei der zweiten Runde der Fokusgruppen ein Fragebogen zur individuellen Bearbeitung eingesetzt, der bestimmte Aspekte zu den Motiven einer Speichernutzung abfragte
Von den Diskussionen in den Fokusgruppen wurden sowohl Video- als auch Audiomitschnitte gemacht, die transkribiert und anschließend mit Hilfe von MAXQDA einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen wurden. Die in ESQUIRE beteiligten Unternehmen nutzten die Ergebnisse aus den Fokusgruppen zur Weiterentwicklung ihrer ergänzend zu Quartierspeichern angebotenen Dienstleistungen.
Beispiel 2: Fokusgruppen zu Smart Grids
Ziel des Forschungsprojekts InnoSmart war es, Energieversorgungsunternehmen und Bürger/innen bei der Entwicklung von so genannten Smart Grids zusammenzubringen und so einen partizipativen Innovationsprozess anzustoßen. Smart Grids sind intelligente Stromnetze, deren Komponenten (Stromerzeuger, -verteiler, -speicher und elektrische Verbraucher) kommunikativ vernetzt sind und sich dadurch gegenseitig überwachen und automatisch optimieren lassen. Bisher befinden sich die Smart Grid-Komponenten und ihre Integration in ein Gesamtsystem noch in einer frühen Entwicklungsphase.
In InnoSmart wurden in Ergänzung zu Nutzerinnovationsworkshops in Energieversorgungsunternehmen drei Fokusgruppen mit Bürger/innen durchgeführt. In den jeweils dreistündigen Fokusgruppen wollte das Projekt erfahren, wie die bis zu zehn Teilnehmer/innen zu Smart Grids sowie zu den damit verbundenen Technologien und Dienstleistungen stehen. Dies sollte Hinweise auf Eigenschaften liefern, die Smart-Grid-Innovationen für Bürger/innen attraktiv oder unattraktiv machen.
Bei der Auswahl der Bürger/innen für die drei Gruppen achtete das Projekt darauf, welche Erfahrungen mit privater Energieerzeugung bei den Kandidat/innen vorhanden waren. Die erste Fokusgruppe setzte sich deshalb aus Betreiber/innen einer heimischen Photovoltaik-Anlage zusammen. An der zweiten nahmen dagegen nur Personen teil, die eine solche Anlage nicht installiert hatten. In der dritten Gruppe kombinierte das Projekt Betreiber/innen und Nicht-Betreiber/innen. Hinsichtlich demografischer Merkmale und Einstellungen zur Energiewende waren die Teilnehmenden gemischt. Die Rekrutierung erfolgte durch ein Marktforschungsinstitut. Dabei zeigte sich, dass insbesondere Frauen, die selbst Photovoltaikanlagen betreiben, schwierig zu rekrutieren waren.
Als Diskussionsstimulus kamen ein Kurzpapier und – ab der zweiten Gruppe – ein prägnanter Film zu Smart Grids und Energiespeichern zum Einsatz. Denn bei der Durchführung der ersten Gruppe, die nur das Kurzpapier erhalten hatte, wurde deutlich, dass die Teilnehmenden eine visuelle Aufbereitung des komplexen Themas vermissten. Mit der Vorführung des kurzen Informationsfilms (Ausschnitte aus einer Arte-Produktion) waren die Teilnehmenden der folgenden Gruppen deutlich besser für die Diskussion vorbereitet.
In der Diskussion setzte das Forschungsteam verschiedene Moderationstechniken ein. Als besonders aktivierend erwiesen sich Karten- und Punktabfragen aus der Pinnwandmoderation. Ebenfalls hilfreich war der Einsatz von Bildern und Fotos von verschiedenen Speichertypen. Die Gruppen dauerten drei Stunden. Hierbei zeigte sich, dass nach jeweils einer Stunde Diskussionszeit eine Pause hilfreich war, um die Teilnehmenden wieder zu aktivieren und Ermüdung vorzubeugen.
Literatur und Links
- Bretschneider, U.; Leimeister, J. M.; Krcmar, H. (2009): Methoden der Kundenintegration in den Innovationsprozess: Eine Bestandsaufnahme. München: Technische Universität München.
- Dürrenberger, G.; Behringer, J. (1999): Die Fokusgruppe in Theorie und Anwendung. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg.
- Häder, M. (2010): Empirische Sozialforschung: Eine Einführung. 2. überarbeitete Aufl. VS Verlag
- Henseling, C.; Hahn, T.; Nolting, K. (2006): Die Fokusgruppen-Methode als Instrument in der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung. Berlin: IZT.
- Kühn, T.; Koschel, K.-V. (2011): Gruppendiskussionen: Ein Praxis-Handbuch. Wiesbaden.
- Littig, B.; Wallace, C. (1997): Möglichkeiten und Grenzen von Fokus-Gruppendiskussionen für die sozialwissenschaftliche Forschung. Institut für Höhere Studien (IHS), Wien.
- Mack, B.; Tampe-Mai, K. (2012): Konzeption, Diskussionsleitfaden und Stimuli einer Fokusgruppe am Beispiel eines BMU-Projekts zur Entwicklung von Smart Meter Interfaces und begleitenden einführenden Maßnahmen zur optimalen Förderung des Stromsparens im Haushalt. In: Schulz, M.; Mack, B.; Renn, O. (Hrsg.) Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft: Von der Konzeption bis zur Auswertung; S. 66-87. Heidelberg: Springer VS.
- Schulz, M.; Mack, B.; Renn, O. (Hrsg.) (2012): Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft: Von der Konzeption bis zur Auswertung. Heidelberg: Springer VS.
DOWNLOADS
- Vorbereitungspapier zu Fokusgruppen aus dem Projekt InnoSmart
- Rekrutierungsbogen zu Fokusgruppen aus dem Projekt InnoSmart
TEMPLATE
Hier finden Sie ein Template zur Durchführung der Methode. Bitte ersetzen Sie die rot markierten Stellen durch eigene Angaben
Steckbrief
- Aufwand: ca. 1 Tag
- Veranstaltungsdauer: ca. 2 Stunden
- Prozessdauer: ca. 1 Woche
- Anzahl der Teilnehmenden: 8 bis 20 Personen
- Integration: Konsultation
Mit Hilfe einer partizipativen Produktbewertung können Sie Innovationsideen zusammen mit Nutzer/innen bewerten und erhalten so einen Einblick in deren Bewertungsmaßstäbe und Gewichtungen. Kern der Methode ist die gemeinsame Entwicklung von Kriterien zur Bewertung einer Produkt- oder Dienstleistungsidee.
Die Bewertung von Innovationsideen oder Prototypen anhand gemeinsam entwickelter Kriterien dient der Fokussierung und Auswahl. Mit dieser Methode beziehen Sie Nutzer/innen in besonderem Maße in Ihre Entscheidungsprozesse ein: Bei der Kriterienentwicklung setzen sich alle Beteiligten intensiv damit auseinander, welche Eigenschaften ein Produkt haben sollte. Auf diese Weise ermöglichen Sie differenzierte und begründbare Entscheidungen.
Mit einer partizipativen Produktbewertung können Sie auch gezielt normative Kriterien wie zum Beispiel ökologische Aspekte oder eine faire Herstellung aufgreifen. In der Bewertungsdiskussion lassen sich außerdem Produkteigenschaften vergleichen und gegeneinander abwägen. Beispiele für Bewertungskriterien sind: Nutzungsfreundlichkeit, Innovativität und Vermarktbarkeit. Neben der Bewertung selbst ist die durch die gemeinsame Kriterienentwicklung angestoßene Diskussion eine besondere Stärke dieser Methode.
Anwendungsbereich
Die partizipative Produktbewertung kommt am Übergang von der Ideenentwicklung zur Ideenauswahl zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe können Sie die Eigenschaften von Produktideen konkretisieren, die Ideen vergleichbar machen und in eine Rangfolge bringen. Der partizipativen Produktbewertung kann ein Prozess der partizipativen Ideenentwicklung vorausgehen, zum Beispiel im Rahmen eines Nutzerinnovationsworkshops. Die Rangfolge von Ideen bildet die Grundlage für die anschließende Auswahl: Mit Hilfe von verschiedenen Auswahlmethoden (beispielsweise Handabstimmung oder Punktbewertung) können Nutzer/innen und Unternehmensvertreter/innen die Ideen bestimmen, mit denen weitergearbeitet werden soll.
Ablauf
Kriterien entwickeln und festlegen
Die Gruppe entwickelt gemeinsam die Kriterien, mit denen die Teilnehmenden die Innovationsideen individuell bewerten können. Hilfreich ist es, die Bedeutungen der Kriterien auszuformulieren (zum Beispiel „das Kriterium ist erfüllt, wenn …“ oder „ökologisch bedeutet das konkret, dass …“). Alle Kriterien sollten gleich viele Ausprägungen haben (in der Regel sind es drei, wie beispielsweise „gut erfüllt“, „mittelmäßig erfüllt“, „nicht erfüllt“).
Anzahl der Kriterien begrenzen
Für den weiteren Prozess ist es wichtig, die Anzahl der Kriterien zu begrenzen, da eine Ideenauswahl sonst zu komplex und die Diskussion zu unübersichtlich wird. Eine gut handhabbare Anzahl sind fünf Kriterien. Hier kann die Moderation vorschlagen, ähnliche Kriterien zusammenzulegen oder zu klären, welche Kriterien der Gruppe am wichtigsten sind.
Ideen individuell bewerten
Die Teilnehmenden können nun jede/r für sich die verschiedenen Ideen dahingehend bewerten, ob die Kriterien erfüllt sind.
Bewertung visualisieren
Ihre individuellen Bewertungen tragen die Teilnehmenden in ein vorbereitetes Raster ein, das die Ideen mit den Kriterien verbindet. Die Moderation kennzeichnet anschließend einheitliche und gegensätzliche Bewertungen.
Bewertung diskutieren
Die Moderation hält die Bewertungen fest, in denen sich die Gruppe einig ist. Über Bewertungen, bei denen große Meinungsverschiedenheiten bestehen, regt sie eine stark strukturierte Diskussion an. Ziel muss dabei sein, die unterschiedlichen Standpunkte zu verstehen und nochmals Präferenzen für bestimmte Produkteigenschaften oder generell für Nutzerbedarfe herauszuarbeiten.
Gewichten und vergleichen
Bei bereits konkreter ausgearbeiteten Produktideen bietet es sich an, im Rahmen der Diskussion Bewertungskriterien gegeneinander abzuwägen (zum Beispiel „Ist Preis wichtiger als Qualität?“). Derartige Fragen regen die Diskussion und den Austausch von Argumenten und Ideen an und erinnern an wesentliche Interessen und Bedürfnisse.
Bündeln und abstrahieren
Die Moderation fasst die Argumentationsstränge zu den bei der Bewertungsdiskussion formulierten Wünschen und Bedürfnissen zusammen und bündelt sie. So lassen sich die Prioritäten der Teilnehmenden besser herausarbeiten und die Basis für die anschließende Auswahl von Ideen schaffen.
Die besten Ideen auswählen
Möchten Sie im Rahmen eines partizipativen Innovationsprozesses eine bestimmte Zahl von Ideen aufgreifen und weiterentwickeln, müssen Sie diese am Ende der partizipativen Produktbewertung auswählen lassen. Hierfür bieten sich verschiedene Methoden wie beispielsweise Handzeichen oder Punktbewertung an.Die partizipative Produktbewertung ist üblicherweise Teil eines Nutzerinnovationsworkshops.
Bei der Anwendung der Methode fallen typischerweise die folgenden Arbeitsschritte an:
- Festlegung der Aufgabenstellung
- gegebenenfalls Entwicklung von Vorschlägen für Bewertungskriterien vorab
- Briefing der Moderation
- organisatorische Vorbereitung (zum Beispiel Vorbereitung des Bewertungsrasters)
- Durchführung der partizipativen Bewertung
- Auswertung
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung von partizipativen Produktbewertungen zum Einsatz:
- vorbereitetes Raster zum Eintrag der Kriterien und Produktideen
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Bewertungen (zum Beispiel Stifte, Moderationskarten, Klebepunkte zur Bewertung und Flipcharts).
Expertise
Für die partizipative Entwicklung von Bewertungskriterien ist ein hohes Maß an Moderationserfahrung wichtig. Die Moderation muss einen Konsens darüber herbeiführen, welche Kriterien die Gruppe anwenden will. Sie sollte außerdem in der Lage sein, stets alle Teilnehmenden in die Diskussion einzubeziehen. Das gilt besonders für Personen, für die diese Art der Beteiligung neu ist. Während der Bewertung und der Diskussion können weitere Kriterien hinzukommen. Auch um die Zahl der Kriterien zu begrenzen, sollte die Moderation die Gruppe dazu anleiten können, Kriterien eventuell auch zusammenzufassen. Dafür sind gute Fähigkeiten zur Visualisierung hilfreich.
Beachten
- Zielstellung
Die partizipative Produktbewertung können Sie zum einen für die Priorisierung von Innovationsideen einsetzen. Zum anderen können Sie dieses Vorgehen aber auch einfach als eine Moderations- und Strukturierungsmethode nutzen, mit deren Hilfe Sie Bedürfnisse und Prioritäten von Nutzer/innen herausarbeiten. Welches dieser Ziele Sie verfolgen, sollten Sie im Vorfeld deutlich kommunizieren. - Erläuterung
Die Bewertung mithilfe von Kriterien als eine eher wissenschaftliche Herangehensweise an Entscheidungen kann die Teilnehmenden sehr fordern. Deshalb sollten Sie zum Beispiel nicht voraussetzen, dass die Funktion von Kriterien bekannt ist. Vielmehr sollten Sie die Moderation dazu anhalten, sich am Anfang bei allen Beteiligten zu versichern, dass sie das Prinzip verstanden haben. Ein kleines Beispiel zur Erläuterung ist dabei oft hilfreich. - Emotionale Bewertung
In Ergänzung zur systematischen Bewertung mit Kriterien bietet es sich an, eine spontane Bewertung der Produktideen aus dem Bauch heraus abzufragen. Eventuelle Unterschiede zwischen beiden Bewertungen sollten Sie mit den Teilnehmenden diskutieren, da dies eventuell Unterschiede zwischen einer rationalen und einer emotionalen Entscheidung abbildet und bei Kaufentscheidungen für Produkte die emotionale Komponente häufig eine wichtige ist.
Beispiel
Im Rahmen des Projekts Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit (GELENA) führten Forscher/innen gemeinsam mit dem Berliner Fahrradunternehmen HAWK Bikes Workshops mit Nutzer/innen durch. Nachdem im ersten Workshop Ideen für Produktverbesserungen eines Pedelecs entwickelt wurden, schloss sich eine gemeinsame Bewertung an. Hierfür hatte sich das Projektteam vorab mit dem Unternehmen auf die folgenden Kriterien verständigt:
- Ökologiebezug: Wie hoch ist der Umweltbeitrag?
- Innovativität/Neuheitsgrad: Wie neu ist diese Idee für mich?
- Vermarktbarkeit/Akzeptanz: Wie hoch schätze ich die Vermarktbarkeit der Idee ein?
- Attraktivität: Wie attraktiv finde ich diese Idee?
Die teilnehmenden Nutzer/innen ergänzten diese um die Kriterien
- Benutzerfreundlichkeit: Wie wirkt sich die Produktidee auf die Handhabung des Produktes aus?
- Preis: Wie wirkt sich die Produktidee auf den Preis des Produktes aus?
- Service: Bietet die Idee zusätzlichen Service?
- Image: Welches Produktimage vermittelt die Produktidee?
Für die strukturierte Moderation bereitete das Projektteam ein Raster auf einer Pinnwand vor, das die Ideen für die Verbesserung des Pedelecs mit den Bewertungskriterien verband. Nachdem die Moderation das Raster um die zusätzlichen Kriterien ergänzt hatte, ordneten die Teilnehmenden auf dem Workshop jedem Kriterium drei Ausprägungen zu: „+“ (positiver Zusammenhang – der Idee lässt sich anhand des Bewertungskriteriums ein positiver Effekt zuschreiben), „–“ (negativer Zusammenhang) und „0“ (kein Zusammenhang). Die Anzahl von acht Kriterien erwies sich im Laufe der Diskussion als zu hoch, da die Bewertung so recht lange dauerte und die Teilnehmenden teilweise die Motivation verloren.
Da es in diesem Beispiel keine Gewichtung der Kriterien gab und kein eindeutiges Ergebnis vorlag, wählten die Teilnehmenden die besten Ideen mithilfe eines Punkteverfahrens aus. Dazu erhielt jede/r Teilnehmer/in drei Punkte und ordnete diese nach eigenem Ermessen ausgewählten Ideen zu. Anschließend visualisierte die Moderation die bewerteten Produktideen in Form einer Rangfolge, sodass die Unternehmensvertreter/innen dazu abschließend Stellung nehmen konnten. Das Feedback durch das Unternehmensteam gab einen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung von Nutzerwünschen.
Literatur und Links
- Universität Oldenburg; IÖW [Institut für ökologische Wirtschaftsforschung] (2007): Leitfaden INNOCOPE. GELENA – Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit (www.gelena.uni-oldenburg.de/download/Leitfaden_final.pdf).
- Arnold, M.; Siebenhüner, B. & Hoser, L. (2006): Partizipative Produktentwicklung im Klimaschutz. Wie Unternehmen und Konsumenten voneinander lernen können. In: Ökologisches Wirtschaften 4.2006, S. 15-17 (www.oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/479/479).
- Belz, F.-M. & Schrader, U. (2012): Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration? In: Beck, G. & Kopp, C. (2012): Gesellschaft innovativ - Wer sind die Akteure? Wiesbaden: Springer Fachmedien
- Belz, F.-M.; Schrader, U. & Arnold, M. (2011): Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration. Weimar (Lahn): Metropolis Verlag
- Kleinherz, S. (2009): Nutzerintegration und Nutzerunterstützung in den frühen Phasen der Produktentwicklung. Berlin: Mensch und Buch Verlag
Steckbrief
- Aufwand: 0,25 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: ca. 90 Minuten
- Prozessdauer: ca. 1 Woche
- Anzahl der Teilnehmenden: 8 bis 20 Personen
- Integration: Konsultation
Die Zukunftsprojektion ist eine psychodramatische Methode, die zukünftige Situationen simuliert. Bei einer Variante der Methode sollen sich Nutzer/innen in eine mittelfristige Zukunft hineinversetzen, indem sie sich von aktuellen Einschränkungen und Bedingungen lösen. In dieser Form können Sie diese Methode im Rahmen von Workshops einsetzen.
Die teilnehmenden Nutzer/innen entwickeln dafür das Bild einer möglichen Zukunft, bei der sich Veränderungen vollzogen haben, die sich in der Gegenwart als möglich oder wahrscheinlich abzeichnen. Dabei geht es besonders um solche Entwicklungen, die zumindest Lai/innen bisher nicht im Blick haben.
Die Zukunftsprojektion soll helfen, sich in eine zukünftige Realität oder einen zukünftigen Alltag hineinzuversetzen. Sie soll dazu befähigen, Vorstellungen und Ideen davon zu entwickeln, wie zum Beispiel künftig Energie verbraucht oder konsumiert wird und welche Routinen sich dabei einspielen. Das kreative Potenzial, das durch diese Projektion freigesetzt wird, ist das eigentliche Ziel der Übung.
Die Stärke der Zukunftsprojektion liegt darin, sich von aktuell gültigen, einschränkenden Rahmenbedingungen, Hemmnissen oder gesetzlichen Regelungen zu lösen und „freier“ über Anforderungen von morgen zu assoziieren. Hier grenzt sie sich von Psychodrama ab, wo es eher darauf ankommt, eine in der Zukunft stattfindende Situation möglichst real nachzuspielen (zum Beispiel die Simulation eines Vorstellungsgesprächs).
Anwendungsbereich
Eine Zukunftsprojektion bietet sich für komplexe Fragestellungen in Themenfeldern an, die von sehr dynamischen Entwicklungen und Umbrüchen geprägt sind. Besonders für Unternehmen, die Nutzer/innen in die Entwicklung von Ideen für eher abstrakte und weniger greifbare Produkte und Dienstleistungen einbinden wollen, ist diese Methode ein sinnvoller Einstieg in den partizipativen Prozess:
- Die Methode wird oft mit einer Beschreibung einer Zukunft eingeleitet, die in eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung des Workshops mündet – eine Grundvoraussetzung für die anschließende gemeinsame Arbeit.
- Die Methode unterstützt die Teilnehmenden eines Workshops, sich in eine hypothetische „Welt von morgen“ hineinzuversetzen. Derart losgelöst von aktuellen Zwängen können diese Ideen für Produkte oder Dienstleistungen beziehungsweise deren Eigenschaften, Nutzen oder Einsatzgebiete entwickeln.
An die Zukunftsprojektion schließt sich idealerweise ein kreativer Prozess zur Ideenerzeugung an, bei dem Sie unterschiedliche Techniken einsetzen können. Mithilfe einer Zukunftsprojektion können Nutzer/innen Anforderungen an zukünftige Produkte und Dienstleistungen besser formulieren. Dabei steht nicht die konkrete technische Ausgestaltung der Produkte, sondern deren Nutzungskontext im Vordergrund.
Ablauf
Die Zukunftsprojektion soll auf eine Phase der kreativen Ideenfindung zu einer komplexen Fragestellung vorbereiten. Hierfür soll sie die Teilnehmer/innen auf das Thema einstimmen, auf einen ähnlichen Wissensstand bringen und aktuelle Beschränkungen bewusst ausschalten. Im Rahmen eines mehrstündigen Workshops mit Nutzer/innen kann diese Methode direkt an die Vorstellungsrunde anknüpfen. Folgende Schritte kennzeichnen den Ablauf einer Zukunftsprojektion:
1. Fragestellung formulieren
Zu Beginn vermitteln Sie den thematischen Fokus der Ideenfindung; je konkreter die Fragestellung ist, desto besser gelingen die Projektion und die anschließende gemeinsame Entwicklung von Ideen.
2. Entwicklungspfade vermitteln
Ausgehend von der Gegenwart zeigen Sie mögliche Entwicklungspfade auf, die in unterschiedliche Zukünfte führen. Ihren Input können Sie dabei sehr unterschiedlich gestalten. Je nach Fragestellung bieten sich verschiedene Vermittlungsarten an, die Sie auch miteinander kombinieren können:
- visuell (Bilder, Film, Comic)
- schriftlich (fiktiver Zeitungsartikel, schriftliche Beschreibung)
- mündlich (Experteninput)
- diskursiv (Beschreibung eines künftigen Zustands anhand einer handhabbaren Anzahl von Faktoren, „Mini-Szenario“)
3. Inputs wirken lassen
Die Teilnehmer/innen überlegen zunächst jeweils für sich, wie die Inputs auf sie gewirkt haben, welche Assoziationen sie damit verbinden und wie sie die Fragestellung vor diesem Hintergrund angehen würden.
4. Moderiert diskutieren
Die Teilnehmer/innen entwickeln mögliche Zukünfte anhand der Fragestellung (die Sie gegebenenfalls vorher durch Unterfragen angereichert haben). Dabei sollen diese besonders auf ihre eigene Rolle eingehen sowie auf die Rolle und Aufgaben des Unternehmens in Bezug auf die Fragestellung.
5. Abschließen und einigen
Die Übung wird damit beendet, dass die Gruppe eine Einigung erzielt. Das kann sich auf die wichtigsten Veränderungen, eine zentrale Überschrift oder die Auswahl des plausibelsten Zukunftsbildes beziehen. Dabei geht es weniger darum, dass die Wahl möglichst realistisch ist. Vielmehr sollte sie die gemeinsame Diskussion möglichst gut widerspiegeln.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer Zukunftsprojektion an:
- Definition des Themas und der Fragestellung
- Recherche oder Erarbeitung eines Inputs zur Einstimmung auf die Zukunft
- Rekrutierung der Teilnehmenden
- organisatorische Vorbereitung
- Durchführung der Zukunftsprojektion
- Auswertung
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung von Zukunftsprojektionen zum Einsatz:
- Diskussionsstimulus (zum Beispiel mithilfe eines Textes oder Cartoons)
- Gegebenenfalls Notebook und Beamer
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Beiträgen (zum Beispiel Stifte, Karteikarten und Flipcharts)
Expertise
Entscheidend für die erfolgreiche Anwendung der Methode ist es, die Komplexität der Fragestellung soweit zu reduzieren, dass die Projektion kein besonderes Fachwissen voraussetzt. Allerdings dürfen Sie dabei die Fragestellung auch nicht zu stark vereinfachen. Wichtig ist deshalb, dass die Moderation des Workshops ein Gefühl dafür entwickelt, was sie den Teilnehmer/innen an Komplexität zumuten kann und ab wann sie diese überfordert. Außerdem braucht sie ein gewisses Maß an Fachwissen, um diese Komplexität einschätzen und die Diskussion fachgerecht moderieren zu können.
Die Methode regt die Teilnehmer/innen an, sich mit unsicheren zukünftigen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf bestimmte Alltagssituationen auseinanderzusetzen. Dadurch holt sie diese aus ihrer Komfortzone heraus. Die Moderation sollte deshalb in der Lage sein, diese Unsicherheiten aufzunehmen und die Teilnehmer/innen auch in unbequemen Situationen zu motivieren. Dies setzt ein gewisses Maß an Moderationsexpertise und Einfühlungsvermögen voraus.
Beachten
- Klare Fragestellung
Zu Beginn sollten Sie klar definieren, worauf die Zukunftsprojektion abzielt und welche Frage behandelt werden soll. - Ausgangspunkt Alltag
Stellen Sie einen direkten Bezug zur Alltagswirklichkeit der Nutzer/innen her. Ohne dies ist eine Zukunftsprojektion sehr schwierig. Dies zeigt das zweite Anwendungsbeispiel (siehe unten), das zu viele Faktoren integrierte, die mit dem Alltag der Menschen wenig zu tun hatten. - Komplexität reduzieren
Damit die Diskussion nicht zu voraussetzungsvoll wird, sollten Sie die Komplexität Ihrer Fragestellung so weit wie möglich reduzieren. Das zweite Anwendungsbeispiel illustriert eine anspruchsvolle Zukunftsprojektion, die überdurchschnittliches Vorwissen zum Thema voraussetzte. Dennoch bewerteten alle Teilnehmenden sie als eine hilfreiche Vorbereitung auf die anschließenden Diskussionen. - Teilnehmende abholen
Es ist wichtig, dass sich die Moderation einen Überblick über den Informationsstand der Teilnehmenden zur jeweiligen Fragestellung verschafft. Eine Zukunftsprojektion sollte immer auf dem Wissenstand der Teilnehmenden aufbauen. Das erste Anwendungsbeispiel hat hier den Bezug „Haushalt“. Bei der Projektion konnten die Teilnehmenden auf ihren individuellen Erfahrungen aufbauen, Fachwissen war hierfür nicht erforderlich. Vielmehr versuchten die Teilnehmenden sich vorzustellen, wie sie Themen, die ihnen heute wichtig sind, morgen betrachten (zum Beispiel Heizung und Stromkosten).
Beispiel
TRAUMREISE
Im Rahmen eines eintägigen Nutzerinnovationsworkshops des regionalen Energieversorgers MVV wurde die Zukunftsprojektion als thematischer Einstieg in die Ideenfindungsphase gewählt. Die Teilnehmer/innen sollten ein Bild davon entwerfen, wie sie sich ökologische und energieeffiziente Haushalte in der Zukunft vorstellen.
Die Teilnehmer/innen assoziierten frei aufbauend auf verschiedenen Zukunftsbildern (Cartoons) und Zitaten und hielten ihre Gedanken und Visionen in Zweierteams auf Karten und Postern bildlich und schriftlich fest. Anschließend stellte jedes Team seine Visionen vor und ging dabei auf folgende Fragen ein:
- Welche Themen stehen im Mittelpunkt?
- Welche Rolle nehmen Haushalte ein?
- Welche Ansatzpunkte werden über den Haushalt hinaus beschrieben?
Während der Vorstellung notierte sich das Moderationsteam bereits genannte Themen und Anforderungen an Dienstleistungen oder Produkte. Während der Vorstellungen bündelte die Moderation die Themen. Im Anschluss wählten die Teilnehmer/innen über eine einfache Punktbewertung die Themen aus, die sie im Rahmen des Workshops weiter bearbeiten wollten.
ENBW "KOMMUNALES ENERGIEMANAGEMENT 2025"
Im Rahmen eines Nutzerinnovationsworkshops bei der EnBW stand das Thema Energiespeicherung im Fokus. Ziel des Workshops war es, gemeinsam mit den Nutzer/innen Ideen für Speicherkonzepte zu entwickeln. In dieser sehr frühen Phase der Produktentwicklung war es vor allem wichtig, die Teilnehmer/innen an das Thema heranzuführen und zu vermitteln, dass Energiespeicherung ein zentraler Baustein der Energiewende ist. Hierfür schickten ihnen die Veranstalter im Vorfeld einen fiktiven Artikel zu, der die Bedeutung des Netzes für die Stromversorgung der Zukunft, die Rolle von Energieversorgungsunternehmen und Einzelerzeugern sowie die Frage der Eigennutzung von Energie erläuterte.
Als erste Gruppenarbeit im Workshop erarbeiteten die Teilnehmer/innen ein „Mini-Szenario“ für eine fiktive Kommune, indem sie die wichtigsten Faktoren der Energieversorgung (zum Beispiel Anteil erneuerbar erzeugter Energie am Gesamtangebot, Höhe der Einspeisevergütung, Anteil an Mietwohnungen in der Kommune) von morgen definierten und gemeinsam überlegten, welche Ausprägungen diese im Jahr 2025 annehmen könnten. Im Fokus standen dabei Speichertechniken und Haushalte. Die Diskussion machte sowohl die Komplexität des Themas als auch die Unsicherheit in Bezug auf künftige Rahmenbedingungen und deren Veränderungen deutlich. Bei vielen Faktoren konnten sich die Teilnehmenden nicht einigen, welche Ausprägung am wahrscheinlichsten ist.
Die Teilnehmenden betonten, dass die Diskussion half, die Herausforderungen, vor denen Energieversorger aktuell stehen, greifbarer zu machen. Die Komplexität möglicher Wechselwirkungen und das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren überforderten jedoch einige Teilnehmende. Hier spielte eine besondere Rolle, dass die Wissensunterschiede zwischen den Teilnehmenden sehr groß waren und einige Expert/innen die Diskussion dominierten.
Literatur und Links
- Von Ameln, F.; Kramer, J. (2016): Organisationen in Bewegung bringen. Handlungsorientierte Methoden für die Personal-, Team- und Organisationsentwicklung. Berlin/Heidelberg: Springer.
- Von Ameln, F.; Kramer, J. (Hrsg.) (2014): Psychodrama: Praxis. Berlin/Heidelberg: Springer.
- Micic, P. (2013): Die 5 Zukunftsbrillen - So werden Sie zum Vordenker. Offenbach: Gabal Verlag
- Toolbox Uni Marburg - Zukunftsprojektion
DOWNLOADS
Toolbox für Unternehmen (1/3)
Nutzerorientierte Produktentwicklung, einfache MethodenDie frühzeitige Einbindung künftiger Nutzer und Nutzerinnen verbessert die Marktchancen von Produkten und Dienstleistungen. Indem Sie deren Wissen, Ideen und kreatives Potenzial für die Innovationsgestaltung einsetzen, stellen Sie ihr Angebot nutzerfreundlicher auf und stärken die Kundenbindung. Mit den hier präsentierten Methoden können Sie Nutzerinnen und Nutzer in allen Phasen des Innovationsprozesses einbeziehen.
Steckbrief
- Aufwand: 0,25 Personenmonat zzgl. Rekrutierung
- Veranstaltungsdauer: pro Workshop à ca. 3-5 Stunden, mehrere Workshops kombinierbar
- Prozessdauer: ca. halber Monat (zzgl. Erprobungsphase)
- Anzahl der Teilnehmenden: 12-20 Nutzer/innen mit Nutzungserfahrung aus Pilotphase
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
Sie möchten eine komplexe Produktidee verbessern und kennen die Meinung Ihrer potenziellen Nutzer/innen zu wenig? Dennoch benötigen Sie ein differenziertes Feedback aus Nutzersicht? In Erprobungsworkshops können Sie Nutzer/innen während der Pilot- und Erprobungsphase komplexer innovativer Produkte und Dienstleistungen einbinden und frühzeitiges Nutzerfeedback einholen. Durch Diskussion mit Testnutzer/innen können aus ersten Anwendungserfahrungen Hinweise für Verbesserungen und Weiterentwicklungen oder ergänzende Dienstleistungen abgeleitet werden.
Die Workshops zur begleitenden Nutzereinbindung sind ein Element der Erprobungsphase von Produkten und Dienstleistungen. Geeignet sind sie für komplexe Neuerungen, zu denen noch keine oder nur geringen Nutzererfahrungen vorliegen und die aber für eine Weiterentwicklung essentiell sind – am Beispiel des Quartierspeichers und begleitende Dienstleistungen zeigen wir die besondere Bedeutung dieser Art des Feedbacks. Während der Pilotphase machen Testnutzer/innen erste Erfahrungen und lernen die Produkte in der Praxis kennen. Die Workshops ermöglichen einen Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmenden wie auch im Dialog mit Unternehmensvertretern. Feedback wird in Form von Bewertungen und Verbesserungsvorschlägen eingeholt. Je besser die Teilnehmenden das Produkt oder die Dienstleistung in seiner Anwendung kennen, desto detaillierter können Sie bewerten und kommentieren. Das macht den Kern der der Methode aus.
Die Dauer der Testphase bemisst sich daran, wie anspruchsvoll die Anwendung ist, sollte bei komplexen Neuerungen aber mindestens 3 Monate betragen. Denn: Aus den Erfahrungen – guten wie schlechten – lassen sich Verbesserungsmöglichkeiten und Weiterentwicklungsbedarfe für die Innovationen Ihres Unternehmens ableiten. Zentrale Elemente des Workshops mit ca. 10 -20 Teilnehmer/innen sind deshalb der Erfahrungsaustausch und die Bewertung der Anwendung. Im Rahmen der Begleitworkshops lassen sich auch Aspekte aus der partizipativen Produktbewertung integrieren.
Anwendungsbereich
Erprobungsworkshops finden während der Realisierung einer Innovation statt: in der Test- oder Pilotphase helfen sie Ihnen Ihre Innovation zu evaluieren. Sie eignen sich insbesondere als begleitendes Format während der Erprobung innovativer technologischer Ansätze oder komplexer Produkte. Auch bei der Weiterentwicklung von Dienstleistungen lässt sich die Methode gut einsetzen.
Sie kommen für Unternehmen aller Größenklassen in Frage. Aufgrund des überschaubaren finanziellen Aufwands eignet sich diese Methode auch für Unternehmen, die nur über geringe finanzielle Ressourcen verfügen. Besonders eignen sich solche Workshops dann, wenn Ihr Produkt zwar technisch ausgereift ist, aber noch erklärungsbedürftig. Testnutzer/innen, die ausreichend Zeit hatten, sich mit dem Produkt auseinanderzusetzen und es zu verstehen, können wertvolle Hinweise zur Vermarktung geben: Was muss erklärt werden, was kann vereinfacht werden und was weggelassen?
Über die Workshops können Sie mithilfe der ersten Nutzungserfahrungen Ihre Produkte und Dienstleistungen spezifizieren und weiterentwickeln, denn im Rahmen der Workshops lassen sich sowohl die Motive und Meinungen der Nutzer/innen abfragen, als auch Weiterentwicklungen entweder bewerten oder direkt gemeinsam mit den Teilnehmer/innen entwickeln. Je nach Dauer der Testphase kann es sinnvoll sein, mehr als einen Workshop durchzuführen. Erprobungsworkshops können zudem an Nutzerinnovations-Workshops angeschlossen werden.
Ablauf
Im Workshop stehen die Nutzungserfahrungen der Teilnehmenden im Vordergrund: welche Vor- und Nachteile an der getesteten Innovation nehmen sie wahr? Aus welchen Gründen sind sie an der Nutzung interessiert? Wo haben sie Zweifel? Wo stoßen sie auf Probleme und welche Anregungen haben sie für die Weiterentwicklung? Nutzen Sie die Expertise der Testnutzer/innen! Der Workshop wird dann gut, wenn es gelingt, möglichst viele Meinungen und Einschätzungen zu generieren.
Teilen Sie den Workshop in verschiedene Diskussionsphasen ein. Diskutieren Sie beispielsweise zunächst die Motive für die Teilnahme an der Testphase und die Nutzung des Produktes. Die Teilnehmenden /innen können dann das Produkt oder einzelne Aspekte bewerten. Hier unterstützen konkrete Bewertungsfragen und Bewertungstools. Anschließend können die Teilnehmenden Ideen für die Weiterentwicklung oder ergänzende Angebote in Kleingruppen diskutieren. Hierfür können Sie Vorschläge zur Diskussion stellen und/oder mit Hilfe von Kreativitätsmethoden die Teilnehmenden eigene Ideen entwickeln lassen. Zum Abschluss sollten die Vorschläge im Plenum gesammelt, diskutiert und bewertet und aussichtsreiche Vorschläge ausgewählt werden.
Sie können die unterschiedlichen Themenblöcke mit einem Stimulus beginnen. Machen Sie den Einstieg besonders konkret, indem Sie beispielsweise mit dem Stand der Entwicklung und den Nutzungsmöglichkeiten Ihres Produkts oder Ihrer Dienstleistung beginnen. Es lohnt sich, wenn Sie komplexe Sachverhalte visualisieren: so werden Ihre Ideen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer greifbarer. Zum Beispiel eignen sich Schaubilder oder Grafiken, um unterschiedliche Abhängigkeiten von technischen Details eines Produktes oder einer Dienstleistung darzustellen. Aber auch kurze Erklärvideos können zum Einsatz kommen. Aufbauend auf diesem Stimulus sammeln Sie zunächst die spontanen Rückmeldungen, Assoziationen und Meinungen ein, bevor Sie mit gezielten Nachfragen einzelne Aspekte vertiefen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung eines Erprobungsworkshops an:
- Klärung des Ziels des Erprobungsworkshops
- Festlegen der Dauer von Testphase und Zeitpunkt des Erprobungsworkshops
- Erstellung eines Moderationsplanes und Rekrutierung des Moderationsteams
- Rekrutierung der Teilnehmenden für Pilotphase und Workshop (ggf. über kontextspezifische Netzwerke und Marktforschungsinstitute)
- Organisatorische Vorbereitung (u.a. Auswahl des Veranstaltungsortes, Buchung eines Caterers, Vorbereitung des Informationsinputs und der Arbeitsmaterialen)
- Durchführung des Erprobungsworkshops
- Dokumentation durch Protokolle und Notizen sowie Auswertung
Materialien und Geräte:
- Informationsinputs als Diskussionsstimuli (z.B. grafische Darstellung weiterer Produkt- oder Dienstleistungsideen, …)
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Beiträgen (zum Beispiel Moderationskoffer, Meta-Planwände, Templates, Karteikarten und Flipcharts)
- Fotoapparat; ggf. Aufnahmegeräte (Ton & Video) zum Mitschnitt der Diskussion
Expertise
Für die Durchführung eines Erprobungsworkshops benötigen Sie Kenntnisse über die Nutzung und Handhabung des erprobten Produktes und der dazugehörigen Dienstleistungen sowie deren Weiterentwicklungspotenziale. Da Kenntnisse eher zu Nutzungsfragen und weniger zu technischen Details gefragt sind, sollten Sie entsprechende Expert/innen aus Ihrem Unternehmen bei der Planung und Durchführung des Begleitworkshops einbinden. Die Expert/innen sollten Rückfragen der Teilnehmenden, beispielsweise zum Einfluss von bestimmten technischen Änderungen auf die Nutzung eines Produktes oder einer Dienstleistung, beantworten können.
Wichtig ist, dass sich die Expert/innen mit Äußerungen zur Umsetzbarkeit einzelner Vorschläge eher zurückhalten und den Teilnehmenden vielmehr erklärend zur Seite stehe. Es geht darum, möglichst viele Erfahrungen zu erfassen und Weiterentwicklungsbedarfe zu identifizieren. Die Moderation sollte dafür sorgen, dass zwischen den Nutzer/innen eine gleichberechtige Kommunikationssituation entsteht.
Beachten
- Rolle des Unternehmens
In den Begleitworkshops stehen die Erfahrungen mit der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen im Vordergrund. Daher sollten Vertreter/innen Ihres Unternehmens (F&E-Abteilung) bei den Workshops dabei sein, um ggf. Fragen der Nutzer/innen zu beantworten. - Moderation & Gesprächsführung
Die Begleitworkshops können Sie durch Vertreter/innen Ihres Unternehmens oder extern moderieren lassen. Die Moderation sollte eine neutrale Gesprächsführung sicherstellen. - Gruppengröße
Die ideale Gruppengröße umfasst ca. 12- 20 Personen. Während des Workshops sollte darauf geachtet werden, dass alle in die Diskussion eingebunden sind. Sprechen Sie ggf. auch zurückhaltende Teilnehmer/innen direkt an. Um unterschiedliche Sichtweisen zu hören, eignen sich auch Formate, in denen zu bestimmten Fragen oder Problemstellungen reihum alle Teilnehmer/innen zu Wort kommen dürfen oder die Teilnehmenden ihre Meinung schriftlich formulieren können - Aufwandsentschädigung
Den Teilnehmenden sollten Sie eine Aufwandsentschädigung (Incentive) für die Teilnahme am Workshops zahlen. Die Höhe richtet sich nach der Workshopdauer und kann entweder ein Geldbetrag oder ein Gutschein sein. Eventuell ist auch die Möglichkeit an der Testphase teilzunehmen und ein innovatives Produkt zu testen genug Anreiz für die Teilnehmenden. - Methodenvielfalt
Bei längeren Diskussionen (mehr als anderthalb Stunden) sollten Sie auflockernde Moderationselemente einstreuen, wie individuelles Brainstorming von Ideen auf Moderationskarten oder Murmelrunden für einen kurzen Austausch in Kleinstgruppen. So können Sie die Aufmerksamkeit der Teilnehmer/innen hochhalten. Anregungen für Moderationsmethoden finden Sie hier.
Beispiel
Im Projekt ESQUIRE wurden 2018 Begleitworkshops bei der Erprobung von Quartierspeichern in zwei Quartieren durchgeführt. Die gemeinschaftliche Nutzung der Speicher und damit verbundene Dienstleistungen standen im Zentrum der Forschung. Beide Workshops wurden vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) geplant und moderiert und gemeinsam mit Vertretern des Energieversorgers ENTEGA in Groß-Umstadt bzw. des Bauträgers evohaus in Köln durchgeführt.
Die Workshops gingen der Frage nach, welche Dienstleistungen die gemeinschaftliche Nutzung von Quartierspeichern unterstützen können. Im Kölner Workshop ging es zudem um die Frage, ob die Quartierbewohner/innen den Speicher nach der Testphase weiter nutzen wollen und wie die Entscheidung organisiert werden kann. Vor den Workshops hatte das Projektteam eine schriftliche Befragung in den Quartieren durchgeführt, sodass im Workshop mit einer Zusammenfassung der Motive und Erfahrungen beginnen konnte. Die Workshops dauerten fünf Stunden und die 15 bzw. 20 Teilnehmenden erhielten eine Aufwandsentschädigung in Höhe von jeweils 100 Euro.
Beide Workshops gliederten sich in drei Themenblöcke, die wie folgt zusammengefasst werden können:
- Nutzungsmotive sowie Vor- und Nachteile von Quartierspeichern
- Diskussion und Bewertung einzelner Dienstleistungsideen (z.B. Monitoring, Visualisierung, Beratung, Kopplung mit Elektromobilität)
- Entwicklung und Diskussion zusätzlicher Ideen für Dienstleistungen
Nach einer kurzen Vorstellung der Teilnehmenden und des Projektes stellte die Moderation die Ergebnisse der Quartiersbefragung vor. Anschließend sollten die Teilnehmer/innen zu mehreren gegensätzlichen Aussagen zum Quartierspeicher Stellung nehmen. Anhand der Visualisierung mithilfe von Klebepunkten konnte die Moderation die Diskussion gezielt auf die gegensätzlichen Standpunkte, aber auch Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe lenken und nach den Motiven und Bedingungen einer gemeinschaftlichen Speichernutzung fragen.
Im zweiten Teil stellten Unternehmensvertreter Ideen für Dienstleistungen (z.B. Energiemonitoring) vor. Anschließend diskutierten die Teilnehmer/innen die Vor- und Nachteile der vorgestellten Dienstleistungen in Kleingruppen. Die Diskussion wurde mit Hilfe von vorgefertigten Templates strukturiert, das hier als Download verfügbar ist. Nach der Vorstellung der Ergebnisse der Kleingruppen im Plenum bewerteten alle Teilnehmenden die verschiedenen Dienstleistungen zu verschiedenen Aspekten (Eigenverbrauch, Kosten und Interesse) auf einer Skala.
Abbildung: Template zur Bewertung der Dienstleitungen
Der dritte Teil widmete sich der Frage, welche weiteren Dienstleistungen für die Nutzer/innen aus den Quartieren interessant wären. Für diesen „Blick über den Tellerrand“ wurde die Gruppe in drei Kleingruppen geteilt, in denen die Teilnehmenden zunächst Ideen für weitere Dienstleistungen rund um Speicher und Energieversorgung im Quartier sammelten. Jede Gruppe wählte anschließend die drei besten Ideen aus und stellte sie im Plenum vor.
In den Diskussionen setzte das Forschungsteam verschiedene Moderationstechniken ein. Als besonders hilfreich erwiesen sich als Einstieg die Verortung der Teilnehmenden zu unterschiedlichen Aussagen bezüglich der Nutzungsmotive eines Quartierspeichers mittels Punktbewertungen. Ebenfalls aktivierend für die Diskussion war die Einteilung in Kleingruppen.
Literatur und Links
- Informations-Webseite „Solarstrom in der Stadt speichern: Quartierspeicher für die Energiewende“: www.stromspeicher-in-der-stadt.de
- Webseite des ESQUIRE Projektes
- Forschungsgruppe GELENA (2007): Leitfaden Innocope (Download PDF)
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Steckbrief
- Aufwand: je nach Anzahl Fokusgruppen und Auswertungstiefe ca. 1 bis 2 Personenmonate zzgl. Rekrutierung
- Veranstaltungsdauer: 1,5 bis 3 Stunden je Gruppe
- Prozessdauer: ca. 2 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 6 bis 10 Personen
- Integration: Beforschung
Fokusgruppen sind moderierte Diskussionsgruppen zu einem konkreten Thema. Mit einer Fokusgruppe erheben Sie die Assoziationen, Denkmuster, Meinungen und Wahrnehmungen, die die Teilnehmenden mit dem vorgegebenen Thema verbinden. Diese Methode eignet sich besonders dafür, neue Themen zu erkunden.
Durch eine offene Befragung simulieren Fokusgruppen eine alltägliche Kommunikationssituation. Mit der Methode imitieren Sie die soziale Realität also bewusst durch eine soziale Situation. Die dabei entstehenden Daten sind immer das Resultat von gruppendynamischen Prozessen.
Üblicherweise führen Sie mehrere Gruppendiskussionen zum selben Thema durch. So haben Sie die Möglichkeit, Personen mit unterschiedlichen Merkmalen einzubinden. Auch verbessern Sie auf diese Weise die Verallgemeinerbarkeit, Plausibilität und Validität der gewonnenen Informationen – selbst wenn Sie mit Fokusgruppen keine repräsentativen Ergebnisse erzielen können. Außerdem sind Sie mit diesem Vorgehen in der Lage, bereits während des Prozesses Anpassungen des Fokusgruppendesigns vorzunehmen.
Die Zusammensetzung einer Fokusgruppe bestimmen Sie je nach den besonderen Anforderungen Ihres Produkts. Was die sozio-demografischen Merkmale angeht, können Sie entweder homogene oder sozio-demografisch durchmischte Gruppen einsetzen. Wählen Sie eher eine allgemeinere, abstrakte Thematik, bieten sich homogene Gruppen an. Denn so vermeiden Sie Kommunikationsbarrieren, da kulturelle oder Sozialstatus-Unterschiede weitgehend wegfallen. Je konkreter Sie werden, zum Beispiel Diskussion zu bestimmten Produkten oder Technologien, desto besser eignen sich gemischte Gruppen. Durch die sozio-demografische Durchmischung gewinnen Sie an Vielfalt, da mehr unterschiedliche Meinungen und persönliche Voraussetzungen in die Diskussion einfließen können. In diesem Fall bietet es sich an, dass Sie zwischen den Gruppen je nach Produktkenntnis und Erfahrung unterscheiden.
Das wohl wichtigste Auswahlkriterium ist jedoch, wie stark und auf welche Weise eine Person vom Diskussionsthema betroffen ist. Mithilfe eines gezielten Auswahlverfahrens können Sie sicherstellen, dass die Gruppe alle relevanten Arten der Betroffenheit repräsentiert. Je nach Thema können das beispielsweise mehr oder weniger Vorerfahrung mit (verwandten) Produkten sein oder positive bzw. skeptische Einstellungen zum Produkt oder Diskussionsgegenstand.
Anwendungsbereich
Mit einer Fokusgruppe können Sie besonders gut Ideen zu einem neuen Thema erzeugen, indem Sie die kreative Dynamik von lebhaften Gruppendiskussionen nutzen. Sie können die Methode aber auch anwenden, um Motive und Meinungen von Nutzer/innen zu erheben, um Konzepte, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und zu bewerten sowie um Kommunikations- und Marketingstrategien zu überprüfen. Diese Anwendungsbereiche machen Fokusgruppen zu einer guten Entscheidungshilfe im Innovationsmanagement.
Sie können Fokusgruppen in allen Phasen eines Innovationsprozesses, d.h. von der Strategieentwicklung bis zur Markteinführung, einsetzen. Zu Beginn des Innovationsprozesses, in der Phase der Ideenentwicklung, erlaubt Ihnen die Methode, Ideen und Hypothesen zu entwickeln. Im weiteren Verlauf, in der Phase der Ideenauswahl und Spezifikation, hilft sie Ihnen dabei, Ihre konkreten Konzepte zu überprüfen. Am Ende des Prozesses, in der Phase der Realisierung, dient Sie dazu, Ihre Marketingstrategie zu entwickeln oder Ihre Innovation zu evaluieren.
Ablauf
Eine Fokusgruppe beginnt üblicherweise mit einem Stimulus. Dies kann eine Produkt- oder Prototypvorstellung oder eine anders geartete Einführung ins Thema, wie beispielsweise ein kurzer Vortrag oder ein Film sein. Aufbauend auf diesem Stimulus sammeln Sie zunächst allgemeine Eindrücke und Meinungen ein, bevor Sie mit gezielten Nachfragen einzelne Aspekte vertiefen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer Fokusgruppe an:
- Rekrutierung eines Moderators / einer Moderatorin
- Erstellung eines Moderationsplanes
- Durchführung eines Pretests (optional)
- Definition der Teilnehmenden und ihrer Auswahlmerkmale
- Recherche und Rekrutierung der Teilnehmenden
- organisatorische Vorbereitung (zum Beispiel Auswahl des Veranstaltungsortes, Buchung eines Caterers, Vorbereitung des Informationsinputs)
- Durchführung der Fokusgruppe
- Transkription der Audio- oder Videomitschnitte
- Auswertung und Analyse der gesammelten Daten
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung von Fokusgruppen zum Einsatz:
- Informationsinput als Diskussionsstimulus (zum Beispiel mithilfe eines Textes, Videos oder Prototyps)
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Beiträgen (zum Beispiel Stifte, Karteikarten und Flipcharts)
- Audiorecorder oder Videokamera zum Mitschnitt der Diskussion
Expertise
Die Durchführung von Fokusgruppen erfordert ein breites Fachwissen, um sachgerechte und zielorientierte Leitfragen formulieren zu können. Diese Fragen sind die inhaltliche Grundlage für die Moderation der Gruppe. Die Moderation muss über eine hohe methodische Kompetenz verfügen, damit sie den Ertrag der Gruppendiskussion für Sie umfassend sichern kann. Zu ihren Aufgaben zählen, ein gutes Gesprächsklima aufrecht zu erhalten, die gleichberechtigte Einbindung aller Teilnehmenden zu gewährleisten sowie den organisatorischen und inhaltlichen Ablauf einzuhalten.
Die Datenerhebung erfolgt bei Fokusgruppen in Form von Protokollen, Ton- oder Videoaufzeichnungen sowie durch Materialen, die die Teilnehmenden in den Diskussionen erstellt oder bearbeitet haben. Dies können Collagen, Metaplandarstellungen, Flipcharts oder Fragebögen sein. Ton- und Videoaufzeichnungen sind in der Regel zu transkribieren.
Für die Datenauswertung ist ebenfalls ausgewiesene methodische Expertise erforderlich. So kann etwa bei der Auswertung des Transkripts der Ton- oder Videoaufzeichnungen eine Interaktions- oder Inhaltsanalyse in Frage kommen.
Beachten
- Neutrale Gesprächsführung
Gemäß dem Motto „Moderieren, nicht mitdiskutieren“ sollte die Moderation in der Gesprächsführung nicht ihre eigene Meinung oder ihr Expertenwissen zum Ausdruck bringen. Stattdessen sollte sie eine thematisch neutrale und unabhängige Position vertreten und offen und unvoreingenommen moderieren. Bei unklaren Äußerungen sollte sie jedoch nachfragen, um sicherzustellen, dass die Gruppe die Diskussionsfragen zufriedenstellend beantwortet. - Gruppengröße
Die ideale Gruppengröße umfasst sechs bis zehn Personen. Bei dieser Größe stellen Sie sicher, dass alle Teilnehmenden ausreichend Redezeit bekommen und eine Gruppendynamik entstehen kann. - Teilnehmendenrekrutierung
Bei der Rekrutierung der Teilnehmenden kann es sinnvoll sein, ein Marktforschungsinstitut einzubinden. Zum einen ist die Rekrutierung der Teilnehmenden meist mit einem hohen Aufwand verbunden, für den Sie genug Zeit und Ressourcen bereitstellen sollten. Zum anderen kann dadurch sichergestellt werden, dass die Teilnehmenden die passenden Voraussetzungen für die Teilnahme haben. Die Auswahlkriterien sollten Sie in einem Rekrutierungsbogen festlegen. - Aufwandsentschädigung
Den Teilnehmenden sollten Sie eine Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an der Gruppendiskussion zahlen, die je nach Vorbereitungs- und Gruppendauer zwischen 50 und 100 Euro liegen kann. - Vorbereitung der Teilnehmenden
Je nach Kenntnisstand der Teilnehmenden und Komplexität des Diskussionsthemas kann es sinnvoll sein, den Teilnehmenden vorab Vorbereitungsmaterial zum Beispiel in Form eines kurzen Hintergrundpapiers zur Verfügung zu stellen. - Methodenvielfalt
Bei längeren Diskussionen (mehr als anderthalb Stunden) sollten Sie Abwechslung in den Moderationsmethoden einplanen. Anregungen für Moderationsmethoden finden Sie hier.
Beispiele
Beispiel 1: Fokusgruppen zu Quartierspeichern
Das Projekt ESQUIRE untersuchte, unter welchen Bedingungen Quartierspeicher eingeführt werden können, die im Rahmen der Energiewende als dezentrale Stromspeicher zur Entlastung der Stromnetze beitragen sollen. Gemeinsam mit Unternehmen und Nutzer/innen entwickelte das Projekt Energiedienstleistungen für Quartierspeicher und prüfte soziale, technische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Das Projektteam führte neben einer Online-Befragung unter Photovoltaik-Anlagen-Besitzer/innen und Erprobungsworkshops in zwei Projektquartieren mit Quartierspeichern auch Fokusgruppen durch. Die Fokusgruppen bauten auf den Ergebnissen der anderen Formate auf.
In zwei Fokusgruppen-Runden untersuchte das Forschungsteam von ESQUIRE, ob und unter welchen Bedingungen Besitzerinnen und Besitzer von PV-Anlagen einen Quartierspeicher mitnutzen und gemeinschaftlich betreiben würden. Die Fokusgruppen dienten dazu, abzuklären, inwiefern Meinungen zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Vorerfahrungen mit dezentral erzeugtem erneuerbaren Strom im Hinblick auf ihre Einstellung zu Quartierspeichern voneinander abweichen. In der ersten Runde im November 2018 wurden zwei Fokusgruppen durchgeführt; in der zweiten Runde im darauffolgenden Jahr fanden drei weitere Fokusgruppen statt.
Zentrales Auswahlkriterium für die Teilnehmenden war der Besitz einer PV-Anlage zur Eigennutzung des darüber erzeugten Stroms. Darüber hinaus wurde bei der Rekrutierung der Teilnehmenden auf deren beruflichen Hintergrund geachtet: Da die Nutzungsperspektive im Vordergrund stand, sollten keine Personen aus der Energiewirtschaft oder verwandten Bereichen teilnehmen. Zudem sollten in jeder Gruppe ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Teilnehmenden und eine Mischung aus unterschiedlichen Altersgruppen erzielt werden, was nicht in allen Gruppen gelang. Die Rekrutierung für die erste Runde erfolgte über co2-online, wodurch Teilnehmende erreicht wurden, die sich intensiv mit ihrer PV-Anlage beschäftigen und beispielsweise Datenauswertungen zu Erzeugung und Verbrauch erstellen. In der zweiten Runde rekrutierte ein Marktforschungsinstitut, wodurch auch Personen erreicht wurden, die sich wenig mit ihren PV-Anlagen befassen. In der zweiten Runde der Fokusgruppen wurden zudem Personen rekrutiert, die bereits einen individuellen oder Gemeinschaftsstromspeicher betreiben oder über die Anschaffung nachdenken. So konnten auch Erfahrungen mit dem Kauf- und Entscheidungsprozess und der Nutzung behandelt werden.
Die Anzahl der Teilnehmenden variierte zwischen acht und 12 Personen. Die Gruppen dauerten jeweils zweieinhalb bis drei Stunden. Die Fokusgruppen folgten einem strukturierten Gesprächsleitfaden mit den folgenden Themenblöcken 1) grundsätzliche Einstellung gegenüber Quartierspeichern vs. Heimspeichern, 2) geeignete Betreibermodelle 3) mögliche Dienstleistungen, speziell über variable Speicherscheiben und 4) Aspekte der Datennutzung und des Datenschutzes.
Das Forschungsteam setzte verschiedene Moderationstechniken und Stimuli ein. Zur Einführung in das Thema Quartierspeicher wurde in der zweiten Runde der Fokusgruppen eine Entwurfsfassung des ESQUIRE-Erklärfilms als Stimulus gezeigt, der sich als besonders hilfreicher Einstieg in die Diskussion erwies. Außerdem machte die Moderation zu den einzelnen Themenblöcken kurze Inputs mit Powerpoint oder am Flipchart. Neben dem Einsatz von Karten- und Punktabfragen aus der Pinnwandmoderation, wurden auch Mindmaps erstellt. Ergänzend wurde bei der zweiten Runde der Fokusgruppen ein Fragebogen zur individuellen Bearbeitung eingesetzt, der bestimmte Aspekte zu den Motiven einer Speichernutzung abfragte
Von den Diskussionen in den Fokusgruppen wurden sowohl Video- als auch Audiomitschnitte gemacht, die transkribiert und anschließend mit Hilfe von MAXQDA einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen wurden. Die in ESQUIRE beteiligten Unternehmen nutzten die Ergebnisse aus den Fokusgruppen zur Weiterentwicklung ihrer ergänzend zu Quartierspeichern angebotenen Dienstleistungen.
Beispiel 2: Fokusgruppen zu Smart Grids
Ziel des Forschungsprojekts InnoSmart war es, Energieversorgungsunternehmen und Bürger/innen bei der Entwicklung von so genannten Smart Grids zusammenzubringen und so einen partizipativen Innovationsprozess anzustoßen. Smart Grids sind intelligente Stromnetze, deren Komponenten (Stromerzeuger, -verteiler, -speicher und elektrische Verbraucher) kommunikativ vernetzt sind und sich dadurch gegenseitig überwachen und automatisch optimieren lassen. Bisher befinden sich die Smart Grid-Komponenten und ihre Integration in ein Gesamtsystem noch in einer frühen Entwicklungsphase.
In InnoSmart wurden in Ergänzung zu Nutzerinnovationsworkshops in Energieversorgungsunternehmen drei Fokusgruppen mit Bürger/innen durchgeführt. In den jeweils dreistündigen Fokusgruppen wollte das Projekt erfahren, wie die bis zu zehn Teilnehmer/innen zu Smart Grids sowie zu den damit verbundenen Technologien und Dienstleistungen stehen. Dies sollte Hinweise auf Eigenschaften liefern, die Smart-Grid-Innovationen für Bürger/innen attraktiv oder unattraktiv machen.
Bei der Auswahl der Bürger/innen für die drei Gruppen achtete das Projekt darauf, welche Erfahrungen mit privater Energieerzeugung bei den Kandidat/innen vorhanden waren. Die erste Fokusgruppe setzte sich deshalb aus Betreiber/innen einer heimischen Photovoltaik-Anlage zusammen. An der zweiten nahmen dagegen nur Personen teil, die eine solche Anlage nicht installiert hatten. In der dritten Gruppe kombinierte das Projekt Betreiber/innen und Nicht-Betreiber/innen. Hinsichtlich demografischer Merkmale und Einstellungen zur Energiewende waren die Teilnehmenden gemischt. Die Rekrutierung erfolgte durch ein Marktforschungsinstitut. Dabei zeigte sich, dass insbesondere Frauen, die selbst Photovoltaikanlagen betreiben, schwierig zu rekrutieren waren.
Als Diskussionsstimulus kamen ein Kurzpapier und – ab der zweiten Gruppe – ein prägnanter Film zu Smart Grids und Energiespeichern zum Einsatz. Denn bei der Durchführung der ersten Gruppe, die nur das Kurzpapier erhalten hatte, wurde deutlich, dass die Teilnehmenden eine visuelle Aufbereitung des komplexen Themas vermissten. Mit der Vorführung des kurzen Informationsfilms (Ausschnitte aus einer Arte-Produktion) waren die Teilnehmenden der folgenden Gruppen deutlich besser für die Diskussion vorbereitet.
In der Diskussion setzte das Forschungsteam verschiedene Moderationstechniken ein. Als besonders aktivierend erwiesen sich Karten- und Punktabfragen aus der Pinnwandmoderation. Ebenfalls hilfreich war der Einsatz von Bildern und Fotos von verschiedenen Speichertypen. Die Gruppen dauerten drei Stunden. Hierbei zeigte sich, dass nach jeweils einer Stunde Diskussionszeit eine Pause hilfreich war, um die Teilnehmenden wieder zu aktivieren und Ermüdung vorzubeugen.
Literatur und Links
- Bretschneider, U.; Leimeister, J. M.; Krcmar, H. (2009): Methoden der Kundenintegration in den Innovationsprozess: Eine Bestandsaufnahme. München: Technische Universität München.
- Dürrenberger, G.; Behringer, J. (1999): Die Fokusgruppe in Theorie und Anwendung. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg.
- Häder, M. (2010): Empirische Sozialforschung: Eine Einführung. 2. überarbeitete Aufl. VS Verlag
- Henseling, C.; Hahn, T.; Nolting, K. (2006): Die Fokusgruppen-Methode als Instrument in der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung. Berlin: IZT.
- Kühn, T.; Koschel, K.-V. (2011): Gruppendiskussionen: Ein Praxis-Handbuch. Wiesbaden.
- Littig, B.; Wallace, C. (1997): Möglichkeiten und Grenzen von Fokus-Gruppendiskussionen für die sozialwissenschaftliche Forschung. Institut für Höhere Studien (IHS), Wien.
- Mack, B.; Tampe-Mai, K. (2012): Konzeption, Diskussionsleitfaden und Stimuli einer Fokusgruppe am Beispiel eines BMU-Projekts zur Entwicklung von Smart Meter Interfaces und begleitenden einführenden Maßnahmen zur optimalen Förderung des Stromsparens im Haushalt. In: Schulz, M.; Mack, B.; Renn, O. (Hrsg.) Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft: Von der Konzeption bis zur Auswertung; S. 66-87. Heidelberg: Springer VS.
- Schulz, M.; Mack, B.; Renn, O. (Hrsg.) (2012): Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft: Von der Konzeption bis zur Auswertung. Heidelberg: Springer VS.
DOWNLOADS
- Vorbereitungspapier zu Fokusgruppen aus dem Projekt InnoSmart
- Rekrutierungsbogen zu Fokusgruppen aus dem Projekt InnoSmart
TEMPLATE
Hier finden Sie ein Template zur Durchführung der Methode. Bitte ersetzen Sie die rot markierten Stellen durch eigene Angaben
Steckbrief
- Aufwand: ca. 1 Tag
- Veranstaltungsdauer: ca. 2 Stunden
- Prozessdauer: ca. 1 Woche
- Anzahl der Teilnehmenden: 8 bis 20 Personen
- Integration: Konsultation
Mit Hilfe einer partizipativen Produktbewertung können Sie Innovationsideen zusammen mit Nutzer/innen bewerten und erhalten so einen Einblick in deren Bewertungsmaßstäbe und Gewichtungen. Kern der Methode ist die gemeinsame Entwicklung von Kriterien zur Bewertung einer Produkt- oder Dienstleistungsidee.
Die Bewertung von Innovationsideen oder Prototypen anhand gemeinsam entwickelter Kriterien dient der Fokussierung und Auswahl. Mit dieser Methode beziehen Sie Nutzer/innen in besonderem Maße in Ihre Entscheidungsprozesse ein: Bei der Kriterienentwicklung setzen sich alle Beteiligten intensiv damit auseinander, welche Eigenschaften ein Produkt haben sollte. Auf diese Weise ermöglichen Sie differenzierte und begründbare Entscheidungen.
Mit einer partizipativen Produktbewertung können Sie auch gezielt normative Kriterien wie zum Beispiel ökologische Aspekte oder eine faire Herstellung aufgreifen. In der Bewertungsdiskussion lassen sich außerdem Produkteigenschaften vergleichen und gegeneinander abwägen. Beispiele für Bewertungskriterien sind: Nutzungsfreundlichkeit, Innovativität und Vermarktbarkeit. Neben der Bewertung selbst ist die durch die gemeinsame Kriterienentwicklung angestoßene Diskussion eine besondere Stärke dieser Methode.
Anwendungsbereich
Die partizipative Produktbewertung kommt am Übergang von der Ideenentwicklung zur Ideenauswahl zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe können Sie die Eigenschaften von Produktideen konkretisieren, die Ideen vergleichbar machen und in eine Rangfolge bringen. Der partizipativen Produktbewertung kann ein Prozess der partizipativen Ideenentwicklung vorausgehen, zum Beispiel im Rahmen eines Nutzerinnovationsworkshops. Die Rangfolge von Ideen bildet die Grundlage für die anschließende Auswahl: Mit Hilfe von verschiedenen Auswahlmethoden (beispielsweise Handabstimmung oder Punktbewertung) können Nutzer/innen und Unternehmensvertreter/innen die Ideen bestimmen, mit denen weitergearbeitet werden soll.
Ablauf
Kriterien entwickeln und festlegen
Die Gruppe entwickelt gemeinsam die Kriterien, mit denen die Teilnehmenden die Innovationsideen individuell bewerten können. Hilfreich ist es, die Bedeutungen der Kriterien auszuformulieren (zum Beispiel „das Kriterium ist erfüllt, wenn …“ oder „ökologisch bedeutet das konkret, dass …“). Alle Kriterien sollten gleich viele Ausprägungen haben (in der Regel sind es drei, wie beispielsweise „gut erfüllt“, „mittelmäßig erfüllt“, „nicht erfüllt“).
Anzahl der Kriterien begrenzen
Für den weiteren Prozess ist es wichtig, die Anzahl der Kriterien zu begrenzen, da eine Ideenauswahl sonst zu komplex und die Diskussion zu unübersichtlich wird. Eine gut handhabbare Anzahl sind fünf Kriterien. Hier kann die Moderation vorschlagen, ähnliche Kriterien zusammenzulegen oder zu klären, welche Kriterien der Gruppe am wichtigsten sind.
Ideen individuell bewerten
Die Teilnehmenden können nun jede/r für sich die verschiedenen Ideen dahingehend bewerten, ob die Kriterien erfüllt sind.
Bewertung visualisieren
Ihre individuellen Bewertungen tragen die Teilnehmenden in ein vorbereitetes Raster ein, das die Ideen mit den Kriterien verbindet. Die Moderation kennzeichnet anschließend einheitliche und gegensätzliche Bewertungen.
Bewertung diskutieren
Die Moderation hält die Bewertungen fest, in denen sich die Gruppe einig ist. Über Bewertungen, bei denen große Meinungsverschiedenheiten bestehen, regt sie eine stark strukturierte Diskussion an. Ziel muss dabei sein, die unterschiedlichen Standpunkte zu verstehen und nochmals Präferenzen für bestimmte Produkteigenschaften oder generell für Nutzerbedarfe herauszuarbeiten.
Gewichten und vergleichen
Bei bereits konkreter ausgearbeiteten Produktideen bietet es sich an, im Rahmen der Diskussion Bewertungskriterien gegeneinander abzuwägen (zum Beispiel „Ist Preis wichtiger als Qualität?“). Derartige Fragen regen die Diskussion und den Austausch von Argumenten und Ideen an und erinnern an wesentliche Interessen und Bedürfnisse.
Bündeln und abstrahieren
Die Moderation fasst die Argumentationsstränge zu den bei der Bewertungsdiskussion formulierten Wünschen und Bedürfnissen zusammen und bündelt sie. So lassen sich die Prioritäten der Teilnehmenden besser herausarbeiten und die Basis für die anschließende Auswahl von Ideen schaffen.
Die besten Ideen auswählen
Möchten Sie im Rahmen eines partizipativen Innovationsprozesses eine bestimmte Zahl von Ideen aufgreifen und weiterentwickeln, müssen Sie diese am Ende der partizipativen Produktbewertung auswählen lassen. Hierfür bieten sich verschiedene Methoden wie beispielsweise Handzeichen oder Punktbewertung an.Die partizipative Produktbewertung ist üblicherweise Teil eines Nutzerinnovationsworkshops.
Bei der Anwendung der Methode fallen typischerweise die folgenden Arbeitsschritte an:
- Festlegung der Aufgabenstellung
- gegebenenfalls Entwicklung von Vorschlägen für Bewertungskriterien vorab
- Briefing der Moderation
- organisatorische Vorbereitung (zum Beispiel Vorbereitung des Bewertungsrasters)
- Durchführung der partizipativen Bewertung
- Auswertung
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung von partizipativen Produktbewertungen zum Einsatz:
- vorbereitetes Raster zum Eintrag der Kriterien und Produktideen
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Bewertungen (zum Beispiel Stifte, Moderationskarten, Klebepunkte zur Bewertung und Flipcharts).
Expertise
Für die partizipative Entwicklung von Bewertungskriterien ist ein hohes Maß an Moderationserfahrung wichtig. Die Moderation muss einen Konsens darüber herbeiführen, welche Kriterien die Gruppe anwenden will. Sie sollte außerdem in der Lage sein, stets alle Teilnehmenden in die Diskussion einzubeziehen. Das gilt besonders für Personen, für die diese Art der Beteiligung neu ist. Während der Bewertung und der Diskussion können weitere Kriterien hinzukommen. Auch um die Zahl der Kriterien zu begrenzen, sollte die Moderation die Gruppe dazu anleiten können, Kriterien eventuell auch zusammenzufassen. Dafür sind gute Fähigkeiten zur Visualisierung hilfreich.
Beachten
- Zielstellung
Die partizipative Produktbewertung können Sie zum einen für die Priorisierung von Innovationsideen einsetzen. Zum anderen können Sie dieses Vorgehen aber auch einfach als eine Moderations- und Strukturierungsmethode nutzen, mit deren Hilfe Sie Bedürfnisse und Prioritäten von Nutzer/innen herausarbeiten. Welches dieser Ziele Sie verfolgen, sollten Sie im Vorfeld deutlich kommunizieren. - Erläuterung
Die Bewertung mithilfe von Kriterien als eine eher wissenschaftliche Herangehensweise an Entscheidungen kann die Teilnehmenden sehr fordern. Deshalb sollten Sie zum Beispiel nicht voraussetzen, dass die Funktion von Kriterien bekannt ist. Vielmehr sollten Sie die Moderation dazu anhalten, sich am Anfang bei allen Beteiligten zu versichern, dass sie das Prinzip verstanden haben. Ein kleines Beispiel zur Erläuterung ist dabei oft hilfreich. - Emotionale Bewertung
In Ergänzung zur systematischen Bewertung mit Kriterien bietet es sich an, eine spontane Bewertung der Produktideen aus dem Bauch heraus abzufragen. Eventuelle Unterschiede zwischen beiden Bewertungen sollten Sie mit den Teilnehmenden diskutieren, da dies eventuell Unterschiede zwischen einer rationalen und einer emotionalen Entscheidung abbildet und bei Kaufentscheidungen für Produkte die emotionale Komponente häufig eine wichtige ist.
Beispiel
Im Rahmen des Projekts Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit (GELENA) führten Forscher/innen gemeinsam mit dem Berliner Fahrradunternehmen HAWK Bikes Workshops mit Nutzer/innen durch. Nachdem im ersten Workshop Ideen für Produktverbesserungen eines Pedelecs entwickelt wurden, schloss sich eine gemeinsame Bewertung an. Hierfür hatte sich das Projektteam vorab mit dem Unternehmen auf die folgenden Kriterien verständigt:
- Ökologiebezug: Wie hoch ist der Umweltbeitrag?
- Innovativität/Neuheitsgrad: Wie neu ist diese Idee für mich?
- Vermarktbarkeit/Akzeptanz: Wie hoch schätze ich die Vermarktbarkeit der Idee ein?
- Attraktivität: Wie attraktiv finde ich diese Idee?
Die teilnehmenden Nutzer/innen ergänzten diese um die Kriterien
- Benutzerfreundlichkeit: Wie wirkt sich die Produktidee auf die Handhabung des Produktes aus?
- Preis: Wie wirkt sich die Produktidee auf den Preis des Produktes aus?
- Service: Bietet die Idee zusätzlichen Service?
- Image: Welches Produktimage vermittelt die Produktidee?
Für die strukturierte Moderation bereitete das Projektteam ein Raster auf einer Pinnwand vor, das die Ideen für die Verbesserung des Pedelecs mit den Bewertungskriterien verband. Nachdem die Moderation das Raster um die zusätzlichen Kriterien ergänzt hatte, ordneten die Teilnehmenden auf dem Workshop jedem Kriterium drei Ausprägungen zu: „+“ (positiver Zusammenhang – der Idee lässt sich anhand des Bewertungskriteriums ein positiver Effekt zuschreiben), „–“ (negativer Zusammenhang) und „0“ (kein Zusammenhang). Die Anzahl von acht Kriterien erwies sich im Laufe der Diskussion als zu hoch, da die Bewertung so recht lange dauerte und die Teilnehmenden teilweise die Motivation verloren.
Da es in diesem Beispiel keine Gewichtung der Kriterien gab und kein eindeutiges Ergebnis vorlag, wählten die Teilnehmenden die besten Ideen mithilfe eines Punkteverfahrens aus. Dazu erhielt jede/r Teilnehmer/in drei Punkte und ordnete diese nach eigenem Ermessen ausgewählten Ideen zu. Anschließend visualisierte die Moderation die bewerteten Produktideen in Form einer Rangfolge, sodass die Unternehmensvertreter/innen dazu abschließend Stellung nehmen konnten. Das Feedback durch das Unternehmensteam gab einen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung von Nutzerwünschen.
Literatur und Links
- Universität Oldenburg; IÖW [Institut für ökologische Wirtschaftsforschung] (2007): Leitfaden INNOCOPE. GELENA – Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit (www.gelena.uni-oldenburg.de/download/Leitfaden_final.pdf).
- Arnold, M.; Siebenhüner, B. & Hoser, L. (2006): Partizipative Produktentwicklung im Klimaschutz. Wie Unternehmen und Konsumenten voneinander lernen können. In: Ökologisches Wirtschaften 4.2006, S. 15-17 (www.oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/479/479).
- Belz, F.-M. & Schrader, U. (2012): Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration? In: Beck, G. & Kopp, C. (2012): Gesellschaft innovativ - Wer sind die Akteure? Wiesbaden: Springer Fachmedien
- Belz, F.-M.; Schrader, U. & Arnold, M. (2011): Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration. Weimar (Lahn): Metropolis Verlag
- Kleinherz, S. (2009): Nutzerintegration und Nutzerunterstützung in den frühen Phasen der Produktentwicklung. Berlin: Mensch und Buch Verlag
Steckbrief
- Aufwand: 0,25 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: ca. 90 Minuten
- Prozessdauer: ca. 1 Woche
- Anzahl der Teilnehmenden: 8 bis 20 Personen
- Integration: Konsultation
Die Zukunftsprojektion ist eine psychodramatische Methode, die zukünftige Situationen simuliert. Bei einer Variante der Methode sollen sich Nutzer/innen in eine mittelfristige Zukunft hineinversetzen, indem sie sich von aktuellen Einschränkungen und Bedingungen lösen. In dieser Form können Sie diese Methode im Rahmen von Workshops einsetzen.
Die teilnehmenden Nutzer/innen entwickeln dafür das Bild einer möglichen Zukunft, bei der sich Veränderungen vollzogen haben, die sich in der Gegenwart als möglich oder wahrscheinlich abzeichnen. Dabei geht es besonders um solche Entwicklungen, die zumindest Lai/innen bisher nicht im Blick haben.
Die Zukunftsprojektion soll helfen, sich in eine zukünftige Realität oder einen zukünftigen Alltag hineinzuversetzen. Sie soll dazu befähigen, Vorstellungen und Ideen davon zu entwickeln, wie zum Beispiel künftig Energie verbraucht oder konsumiert wird und welche Routinen sich dabei einspielen. Das kreative Potenzial, das durch diese Projektion freigesetzt wird, ist das eigentliche Ziel der Übung.
Die Stärke der Zukunftsprojektion liegt darin, sich von aktuell gültigen, einschränkenden Rahmenbedingungen, Hemmnissen oder gesetzlichen Regelungen zu lösen und „freier“ über Anforderungen von morgen zu assoziieren. Hier grenzt sie sich von Psychodrama ab, wo es eher darauf ankommt, eine in der Zukunft stattfindende Situation möglichst real nachzuspielen (zum Beispiel die Simulation eines Vorstellungsgesprächs).
Anwendungsbereich
Eine Zukunftsprojektion bietet sich für komplexe Fragestellungen in Themenfeldern an, die von sehr dynamischen Entwicklungen und Umbrüchen geprägt sind. Besonders für Unternehmen, die Nutzer/innen in die Entwicklung von Ideen für eher abstrakte und weniger greifbare Produkte und Dienstleistungen einbinden wollen, ist diese Methode ein sinnvoller Einstieg in den partizipativen Prozess:
- Die Methode wird oft mit einer Beschreibung einer Zukunft eingeleitet, die in eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung des Workshops mündet – eine Grundvoraussetzung für die anschließende gemeinsame Arbeit.
- Die Methode unterstützt die Teilnehmenden eines Workshops, sich in eine hypothetische „Welt von morgen“ hineinzuversetzen. Derart losgelöst von aktuellen Zwängen können diese Ideen für Produkte oder Dienstleistungen beziehungsweise deren Eigenschaften, Nutzen oder Einsatzgebiete entwickeln.
An die Zukunftsprojektion schließt sich idealerweise ein kreativer Prozess zur Ideenerzeugung an, bei dem Sie unterschiedliche Techniken einsetzen können. Mithilfe einer Zukunftsprojektion können Nutzer/innen Anforderungen an zukünftige Produkte und Dienstleistungen besser formulieren. Dabei steht nicht die konkrete technische Ausgestaltung der Produkte, sondern deren Nutzungskontext im Vordergrund.
Ablauf
Die Zukunftsprojektion soll auf eine Phase der kreativen Ideenfindung zu einer komplexen Fragestellung vorbereiten. Hierfür soll sie die Teilnehmer/innen auf das Thema einstimmen, auf einen ähnlichen Wissensstand bringen und aktuelle Beschränkungen bewusst ausschalten. Im Rahmen eines mehrstündigen Workshops mit Nutzer/innen kann diese Methode direkt an die Vorstellungsrunde anknüpfen. Folgende Schritte kennzeichnen den Ablauf einer Zukunftsprojektion:
1. Fragestellung formulieren
Zu Beginn vermitteln Sie den thematischen Fokus der Ideenfindung; je konkreter die Fragestellung ist, desto besser gelingen die Projektion und die anschließende gemeinsame Entwicklung von Ideen.
2. Entwicklungspfade vermitteln
Ausgehend von der Gegenwart zeigen Sie mögliche Entwicklungspfade auf, die in unterschiedliche Zukünfte führen. Ihren Input können Sie dabei sehr unterschiedlich gestalten. Je nach Fragestellung bieten sich verschiedene Vermittlungsarten an, die Sie auch miteinander kombinieren können:
- visuell (Bilder, Film, Comic)
- schriftlich (fiktiver Zeitungsartikel, schriftliche Beschreibung)
- mündlich (Experteninput)
- diskursiv (Beschreibung eines künftigen Zustands anhand einer handhabbaren Anzahl von Faktoren, „Mini-Szenario“)
3. Inputs wirken lassen
Die Teilnehmer/innen überlegen zunächst jeweils für sich, wie die Inputs auf sie gewirkt haben, welche Assoziationen sie damit verbinden und wie sie die Fragestellung vor diesem Hintergrund angehen würden.
4. Moderiert diskutieren
Die Teilnehmer/innen entwickeln mögliche Zukünfte anhand der Fragestellung (die Sie gegebenenfalls vorher durch Unterfragen angereichert haben). Dabei sollen diese besonders auf ihre eigene Rolle eingehen sowie auf die Rolle und Aufgaben des Unternehmens in Bezug auf die Fragestellung.
5. Abschließen und einigen
Die Übung wird damit beendet, dass die Gruppe eine Einigung erzielt. Das kann sich auf die wichtigsten Veränderungen, eine zentrale Überschrift oder die Auswahl des plausibelsten Zukunftsbildes beziehen. Dabei geht es weniger darum, dass die Wahl möglichst realistisch ist. Vielmehr sollte sie die gemeinsame Diskussion möglichst gut widerspiegeln.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer Zukunftsprojektion an:
- Definition des Themas und der Fragestellung
- Recherche oder Erarbeitung eines Inputs zur Einstimmung auf die Zukunft
- Rekrutierung der Teilnehmenden
- organisatorische Vorbereitung
- Durchführung der Zukunftsprojektion
- Auswertung
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung von Zukunftsprojektionen zum Einsatz:
- Diskussionsstimulus (zum Beispiel mithilfe eines Textes oder Cartoons)
- Gegebenenfalls Notebook und Beamer
- Materialien zur Unterstützung der Diskussion und der Sammlung von Beiträgen (zum Beispiel Stifte, Karteikarten und Flipcharts)
Expertise
Entscheidend für die erfolgreiche Anwendung der Methode ist es, die Komplexität der Fragestellung soweit zu reduzieren, dass die Projektion kein besonderes Fachwissen voraussetzt. Allerdings dürfen Sie dabei die Fragestellung auch nicht zu stark vereinfachen. Wichtig ist deshalb, dass die Moderation des Workshops ein Gefühl dafür entwickelt, was sie den Teilnehmer/innen an Komplexität zumuten kann und ab wann sie diese überfordert. Außerdem braucht sie ein gewisses Maß an Fachwissen, um diese Komplexität einschätzen und die Diskussion fachgerecht moderieren zu können.
Die Methode regt die Teilnehmer/innen an, sich mit unsicheren zukünftigen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf bestimmte Alltagssituationen auseinanderzusetzen. Dadurch holt sie diese aus ihrer Komfortzone heraus. Die Moderation sollte deshalb in der Lage sein, diese Unsicherheiten aufzunehmen und die Teilnehmer/innen auch in unbequemen Situationen zu motivieren. Dies setzt ein gewisses Maß an Moderationsexpertise und Einfühlungsvermögen voraus.
Beachten
- Klare Fragestellung
Zu Beginn sollten Sie klar definieren, worauf die Zukunftsprojektion abzielt und welche Frage behandelt werden soll. - Ausgangspunkt Alltag
Stellen Sie einen direkten Bezug zur Alltagswirklichkeit der Nutzer/innen her. Ohne dies ist eine Zukunftsprojektion sehr schwierig. Dies zeigt das zweite Anwendungsbeispiel (siehe unten), das zu viele Faktoren integrierte, die mit dem Alltag der Menschen wenig zu tun hatten. - Komplexität reduzieren
Damit die Diskussion nicht zu voraussetzungsvoll wird, sollten Sie die Komplexität Ihrer Fragestellung so weit wie möglich reduzieren. Das zweite Anwendungsbeispiel illustriert eine anspruchsvolle Zukunftsprojektion, die überdurchschnittliches Vorwissen zum Thema voraussetzte. Dennoch bewerteten alle Teilnehmenden sie als eine hilfreiche Vorbereitung auf die anschließenden Diskussionen. - Teilnehmende abholen
Es ist wichtig, dass sich die Moderation einen Überblick über den Informationsstand der Teilnehmenden zur jeweiligen Fragestellung verschafft. Eine Zukunftsprojektion sollte immer auf dem Wissenstand der Teilnehmenden aufbauen. Das erste Anwendungsbeispiel hat hier den Bezug „Haushalt“. Bei der Projektion konnten die Teilnehmenden auf ihren individuellen Erfahrungen aufbauen, Fachwissen war hierfür nicht erforderlich. Vielmehr versuchten die Teilnehmenden sich vorzustellen, wie sie Themen, die ihnen heute wichtig sind, morgen betrachten (zum Beispiel Heizung und Stromkosten).
Beispiel
TRAUMREISE
Im Rahmen eines eintägigen Nutzerinnovationsworkshops des regionalen Energieversorgers MVV wurde die Zukunftsprojektion als thematischer Einstieg in die Ideenfindungsphase gewählt. Die Teilnehmer/innen sollten ein Bild davon entwerfen, wie sie sich ökologische und energieeffiziente Haushalte in der Zukunft vorstellen.
Die Teilnehmer/innen assoziierten frei aufbauend auf verschiedenen Zukunftsbildern (Cartoons) und Zitaten und hielten ihre Gedanken und Visionen in Zweierteams auf Karten und Postern bildlich und schriftlich fest. Anschließend stellte jedes Team seine Visionen vor und ging dabei auf folgende Fragen ein:
- Welche Themen stehen im Mittelpunkt?
- Welche Rolle nehmen Haushalte ein?
- Welche Ansatzpunkte werden über den Haushalt hinaus beschrieben?
Während der Vorstellung notierte sich das Moderationsteam bereits genannte Themen und Anforderungen an Dienstleistungen oder Produkte. Während der Vorstellungen bündelte die Moderation die Themen. Im Anschluss wählten die Teilnehmer/innen über eine einfache Punktbewertung die Themen aus, die sie im Rahmen des Workshops weiter bearbeiten wollten.
ENBW "KOMMUNALES ENERGIEMANAGEMENT 2025"
Im Rahmen eines Nutzerinnovationsworkshops bei der EnBW stand das Thema Energiespeicherung im Fokus. Ziel des Workshops war es, gemeinsam mit den Nutzer/innen Ideen für Speicherkonzepte zu entwickeln. In dieser sehr frühen Phase der Produktentwicklung war es vor allem wichtig, die Teilnehmer/innen an das Thema heranzuführen und zu vermitteln, dass Energiespeicherung ein zentraler Baustein der Energiewende ist. Hierfür schickten ihnen die Veranstalter im Vorfeld einen fiktiven Artikel zu, der die Bedeutung des Netzes für die Stromversorgung der Zukunft, die Rolle von Energieversorgungsunternehmen und Einzelerzeugern sowie die Frage der Eigennutzung von Energie erläuterte.
Als erste Gruppenarbeit im Workshop erarbeiteten die Teilnehmer/innen ein „Mini-Szenario“ für eine fiktive Kommune, indem sie die wichtigsten Faktoren der Energieversorgung (zum Beispiel Anteil erneuerbar erzeugter Energie am Gesamtangebot, Höhe der Einspeisevergütung, Anteil an Mietwohnungen in der Kommune) von morgen definierten und gemeinsam überlegten, welche Ausprägungen diese im Jahr 2025 annehmen könnten. Im Fokus standen dabei Speichertechniken und Haushalte. Die Diskussion machte sowohl die Komplexität des Themas als auch die Unsicherheit in Bezug auf künftige Rahmenbedingungen und deren Veränderungen deutlich. Bei vielen Faktoren konnten sich die Teilnehmenden nicht einigen, welche Ausprägung am wahrscheinlichsten ist.
Die Teilnehmenden betonten, dass die Diskussion half, die Herausforderungen, vor denen Energieversorger aktuell stehen, greifbarer zu machen. Die Komplexität möglicher Wechselwirkungen und das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren überforderten jedoch einige Teilnehmende. Hier spielte eine besondere Rolle, dass die Wissensunterschiede zwischen den Teilnehmenden sehr groß waren und einige Expert/innen die Diskussion dominierten.
Literatur und Links
- Von Ameln, F.; Kramer, J. (2016): Organisationen in Bewegung bringen. Handlungsorientierte Methoden für die Personal-, Team- und Organisationsentwicklung. Berlin/Heidelberg: Springer.
- Von Ameln, F.; Kramer, J. (Hrsg.) (2014): Psychodrama: Praxis. Berlin/Heidelberg: Springer.
- Micic, P. (2013): Die 5 Zukunftsbrillen - So werden Sie zum Vordenker. Offenbach: Gabal Verlag
- Toolbox Uni Marburg - Zukunftsprojektion
DOWNLOADS
Toolbox für Unternehmen (2/3)
Nutzerorientierte Produktentwicklung, aufwändige MethodenDie frühzeitige Einbindung künftiger Nutzer und Nutzerinnen verbessert die Marktchancen von Produkten und Dienstleistungen. Indem Sie deren Wissen, Ideen und kreatives Potenzial für die Innovationsgestaltung einsetzen, stellen Sie ihr Angebot nutzerfreundlicher auf und stärken die Kundenbindung. Mit den hier präsentierten Methoden können Sie Nutzerinnen und Nutzer in allen Phasen des Innovationsprozesses einbeziehen.
Steckbrief*
- Aufwand: ca. 2-6 Personenmonate
- Materialkosten pro Team und Runde: ca. 200-300 Euro
- Raummiete: gute Räumlichkeiten tragen zum Erfolg bei – man kann Räume anmieten, die für Design-Thinking-Prozesse eingerichtet sind
- Veranstaltungsdauer: 2-5 Tage
- Prozessdauer: 1-4 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 4-6 Personen pro Team, Gesamtanzahl der Teams variabel
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
* ausgehend von einem zwei- bis fünftägigen Workshop, der alle sechs Phasen des Design Thinkings mindestens einmal durchläuft
Design Thinking ist ein strukturierter Prozess zur Entwicklung von Lösungen in interdisziplinären Teams. Ausgangspunkt dieser kreativen Entwicklungsmethode sind die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer/innen. Design Thinking regt dazu an, etablierte Denkmuster zu verlassen und „out of the box“ zu denken. Dies gelingt durch vergleichsweise schnelle Ideenentwicklungs- und Feedbackprozesse. Dosiert eingesetzter Zeitdruck fördert intuitive Entscheidungen und rasche Fortschritte im Team. Die so entwickelten Ideen werden in Form von Prototypen früh sichtbar gemacht. Markenzeichen ist das breite Angebot kreativitätsfördernder Materialien und Methoden.
Auch viele der Formate in dieser Toolbox, wie Living Labs oder Nutzerinnovations-Workshops, basieren auf dem Design-Thinking-Ansatz.
Bei Design Thinking handelt es sich um einen iterativen Prozess mit sechs aufeinander aufbauenden Phasen, die in der Regel mehrmals durchlaufen werden. Kreative und analytische Anteile wechseln sich ab, man arbeitet in möglichst heterogenen Teams von 4 bis 6 Personen zusammen. Dabei arbeitet jedes Team in der Regel an einer gesonderten Fragestellung und erhält Feedback von den anderen Teams. Die Ideen eines Design-Thinking-Prozesses werden in Form von „Prototypen“ direkt mit den Nutzer/innen getestet und auf Basis des Feedbacks entweder verworfen oder in einem weiteren Durchgang ausgearbeitet. Ein Prototyp ist noch kein ausgestaltetes Produkt, sondern kann alles sein, was eine Idee konkret und greifbar macht – von einer Papierskizze über ein Legomodell bis hin zum Rollenspiel. Daneben wird Design Thinking auch als Denkhaltung („Mindset”) verstanden, die eine besondere Kultur der Zusammenarbeit ermöglicht. Sie spiegelt sich in einem Set von Prinzipien, wie „Früh und oft scheitern“, „Wilde Ideen ermutigen“, “Visuell arbeiten”, „Die Zeit ist immer knapp“ oder „Auf den Ideen anderer aufbauen“.
Während Forschung und Entwicklung für die Energiewende oft auf technische Problemlösungen fokussieren, setzt Design Thinking konsequent bei den Bedürfnissen potenzieller Nutzer/innen an. Der Abgleich mit diesen Bedürfnissen erfolgt über zahlreiche Feedback- und Testschleifen über den gesamten Prozess hinweg. Zum Beispiel Spotify: Während im üblichen Innovationsprozess für das Bedürfnis „Musik hören“ immer bessere Tonträger wie LPs, CDs oder mp3s entwickelt wurden, hat Spotify mit seinem Musik-Streaming-Abo einschließlich Musikempfehlungen ein völlig neues Angebot geschaffen. Voraussetzung und Ausgangspunkt für diese Innovation war, die zugrundeliegenden Bedürfnisse, Ziele, Gewohnheiten und Einstellungen der Nutzer/innen umfassend zu kennen.
Der Design-Thinking-Prozess besteht aus sechs Phasen (siehe Abbildung). Diese bauen zwar aufeinander auf, jedoch ist es immer möglich, während des Prozesses zu einer vorherigen Phase zurückzuspringen. Dies ist durch die grauen Linien in untenstehender Abbildung angedeutet. In der Regel werden mehrere Test- und Entwicklungsschleifen („Iterationen“) benötigt, um aus einem ersten Prototyp eine umsetzungsreife Lösung zu entwickeln. Für jede Phase des Prozesses bieten sich verschiedene Methoden an und es gibt umfangreiche Sammlungen von Design-Thinking-Instrumenten und ‑Templates (siehe Links und Literatur).
Problemraum
Verstehen, Beobachten, Sichtweise definieren – diese ersten drei Phasen bilden den Problemraum, in dem die Teams ein geschärftes Problemverständnis aus Sicht der (künftigen) Nutzer/innen entwickeln. Über Befragungen, Recherchen und Beobachtungen identifizieren die Teams konkrete Bedürfnisse und fassen die Erkenntnisse zu Zielgruppe, Problem und angestrebtem Mehrwert der Lösung in einer sogenannten WKW-Frage („Wie können wir“) mit folgender Struktur zusammen: „Wie können wir Person x helfen, y zu tun, sodass z?“. Weiterhin notiert sich das Team, welche Annahmen an diese Frage geknüpft sind.
Lösungsraum
Im folgenden Lösungsraum – Ideen entwickeln, Prototypen entwickeln, Testen – findet das Team mithilfe verschiedener Kreativitätstechniken zunächst möglichst viele Antworten auf die WKW-Frage, aus denen es besonders vielversprechende Optionen auswählt. Diese werden mithilfe verschiedenster Materialien wie buntem Papier, Karton, Legosteine, Perlen, Holz, etc. zu einfachen Prototypen weiterentwickelt. Die Ideen werden greifbar: Die Teams können direktes Feedback von den Nutzenden einholen und die Annahmen möglichst frühzeitig auf den Prüfstand stellen. So können sie sowohl die Lösung als auch die Bedürfnisse der Nutzer/innen kontinuierlich konkretisieren, korrigieren oder durch neue Anregungen erweitern.
Double Diamond
Sowohl im Problem- als auch im Lösungsraum wird die Perspektive durch die Sammlung möglichst vieler Eindrücke und Daten erst geweitet (divergierender Prozess), um darauf aufbauend verengt zu werden (konvergierender Prozess). Aufgrund der sich ergebenden Form spricht man auch vom „double diamond“ (siehe Abbildung oben).
Anwendungsbereich
Design Thinking beschränkt sich nicht auf die Entwicklung von Produkten, auch Dienstleistungen oder unkommerzielle Lösungen für gesellschaftliche Probleme lassen sich mit diesem Ansatz entwickeln.
Der Design-Thinking-Prozess dient als Grundgerüst für eine Reihe spezieller Formate, etwa Hackathons für digitale Lösungen oder sogenannte Inkubatoren für Start-Ups. Eines der bekanntesten Formate ist der von Google Ventures entwickelte Design Sprint. Dieser ist detailliert vorstrukturiert, sowohl hinsichtlich der Dauer (insgesamt 5 Tage, 1 Tag pro Arbeitsschritt) als auch der einzelnen Methoden innerhalb jeder Phase. Diese Struktur kann direkt übernommen werden. Sie eignet sich vor allem für gut eingegrenzte Probleme, für die es ggf. bereits erste Lösungsideen gibt. Für wenig konkretisierte Problemstellungen ist es sinnvoller den Design-Thinking-Prozess individuell zu planen.
Ablauf
Der Ablauf orientiert sich an den sechs Design-Thinking-Phasen. Methodische Inputs und kurze Warm-ups im Plenum wechseln sich mit eng getakteten Arbeitsphasen in den einzelnen Teams ab.
Einführungsphase
- Vorstellung der Methode
Zu Beginn gibt die Moderation eine allgemeine Einführung in die Methode und stellt das übergreifende Problem („Challenge“) dar, für das im Rahmen des Prozesses Lösungen entwickelt werden sollen. - Teambuilding und Check-in
Die Teilnehmenden werden zu festen Teams à 4 bis 6 Personen zusammengestellt. Mittels verschiedener Teambuilding-Übungen lernen diese sich besser kennen, definieren Regeln der Zusammenarbeit und bestimmen einen Teamnamen.
Design-Thinking-Prozess
- 1) Verstehen
In der ersten Phase erarbeitet jedes Team zunächst ein gemeinsames Verständnis der Aufgabenstellung. Auf dieser Basis identifiziert es „weiße Flecken” und bereitet die Datensammlung in Schritt 2 vor, indem es etwa Leitfäden für Nutzerinterviews entwickelt. - 2) Beobachten
In dieser Phase versetzt sich das Team in die Nutzer/innen hinein, mit dem Ziel ihre Motivationen, Einstellungen und Bedürfnisse zu erfahren und zu verstehen. Dabei erfasst das Team möglichst viele unterschiedliche, auch gegensätzliche, Perspektiven. Mögliche Methoden reichen dabei von Interviews über teilnehmende Beobachtung bis hin zum eigenem Durchleben von Situationen („Immersion“). - 3) Sichtweise definieren
Aus den gesammelten Daten entwickelt das Team ein empathisch aufgeladenes Bild eines Nutzers bzw einer Nutzerin in Form einer „Persona“. Personas sind in der Regel fiktive Charaktere, die jedoch direkt auf den realen Aussagen und Informationen aus der Beobachtungsphase beruhen. Mit ihren konkret beschriebenen persönlichen Eigenschaften, Wünschen und Problemen geben sie der Zielgruppe ein Gesicht. Bei der Wahl der Persona aus der Vielzahl der erfassten Perspektiven geht es nicht um Repräsentativität, sondern um möglichst konkrete und glaubhafte Bedürfnisse. Sogenannte „extreme user“ eignen sich für diese bewusst radikale Zuspitzung oft am besten. Für eine digitale Lösung können dies etwa Personen völlig ohne PC-Kenntnisse sein. Ergebnis dieser Phase ist eine aus Sicht des Nutzers/der Nutzerin zugespitzte WKW-Frage. - 4) Ideen entwickeln
Mit dieser Phase startet der Lösungsraum und der Blick wird wieder geweitet: Mittels unterschiedlicher Kreativitätstechniken werden in kurzer Zeit möglichst viele Lösungsansätze entwickelt. Oft beginnt diese Phase mit einem individuellen stillen Brainstorming, dem weitere Runden folgen, in denen das Team auf den vorhandenen Ansätzen aufbaut (z. B. Methoden „Heiße Kartoffel“, „6-3-5“, „Gemeinsames Ideenzeichnen“). Das Team wählt den Vielversprechendsten mittels Evaluations- und Priorisierungstechniken aus und konkretisiert ihn. - 5) Prototypen bauen
Der in Schritt 4 ausgewählte Lösungsansatz wird in einen Prototyp übersetzt, das heißt unter Verwendung geeigneten (Bastel-)Materials verbildlicht und modelliert und damit „begreifbar“ gemacht. Der Fokus liegt dabei auf der Visualisierung der Kernfunktionen der Lösungsidee, nicht auf gestalterischen Details. - 6) Testen
Mithilfe des Prototyps führt das Team anschließend Nutzertests durch, um direktes Feedback der Zielgruppe zur entwickelten Lösung einzuholen. Ebenso wie in Phase 2 sammelt das Team mithilfe von Interviews oder Beobachtungen Daten, um Wissenslücken zu schließen. Ziel ist herauszufinden, ob die Idee grundsätzlich zur Lösung des Problems geeignet ist und wo Verbesserungsmöglichkeiten liegen. Tipp: Nach Möglichkeit die gleichen Personen befragen, die ursprünglich die Inspiration für die konkrete Problemstellung geliefert haben. - Iterationen
Das Feedback aus den Testphasen wird im Team ausgewertet. Das Team legt fest, in welche Phase des Prozesses es im nächsten Schritt „zurückspringen“ möchte. Die Weiterentwicklung der Idee kann von kleinen Anpassungen des Prototyps bis zur Neudefinition der Problemstellung reichen.
Abschlussphase
- Reflexion und Ausblick
Zum Abschluss eines Prozesses findet eine Reflexion im Team zum Inhalt und zur Zusammenarbeit statt. Zudem wird festgelegt, ob und wie die Teilnehmenden an der Idee weiterarbeiten. - Check-out und Verabschiedung
Ein Prozesstag endet mit einem Check-out aller Teilnehmenden in den Teams wie auch im Plenum.
► Einen beispielhaften Ablaufplan für einen dreitägigen Workshop mit dazwischengeschalteter Testphase finden Sie hier.
Folgende Arbeitsschritte sollten Sie für einen Design-Thinking-Workshop einplanen:
- Organisatorische Vorbereitung: Einladungsmanagement, Raumbuchung, Catering, Material
- Planung des Prozesses: Auswahl der Methode(n) für jede Phase, Erstellung eines Feinablaufs mit allen Methoden („Microtiming“), Vorbereitung der Inputs
- Briefing aller Moderator/innen
- Durchführung und Moderation des Workshops
- Dokumentation der Ergebnisse (Fotoprotokoll, ggf. schriftliche Dokumentation) und Versendung an die Teilnehmenden
Expertise
Angesichts der Vielfalt an Methoden und der engen Taktung des Prozesses sollte idealerweise jedes Team von einem geschulten Design-Thinking-Coach begleitet werden, der/die die Methoden erläutert, die Teamdynamik im Blick behält und die Einhaltung der Zeitvorgaben und der Arbeitsergebnisse sicherstellt. Zusätzlich sollte mindestens eine weitere Person die Gesamtmoderation übernehmen.
Für die Durchführung von Nutzerinterviews, (teilnehmenden) Beobachtungen und weiteren Methoden wie „Cultural Probes“ ist zudem eine sozialwissenschaftliche oder ethnographische Ausbildung hilfreich. Vorkenntnisse in Produkt-, Service-, oder Interaktionsdesign sind ebenfalls von Vorteil.
Beachten
- Iterationen einplanen
Design Thinking ist iterativ angelegt. Einzelne Workshops bilden jedoch oftmals nur einen Entwicklungszyklus ab. Bis zur finalen Umsetzung einer Idee braucht es in der Regel mehrere Durchläufe, in denen die Idee weiterentwickelt und verbessert wird. - Raum und Material
Der Raum ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im Design Thinking. Unterstützend ist ein großer, heller Raum mit mehreren Whiteboards (mind. 2 pro Team), einfach beweglichen Möbeln und Präsentationstechnik sowie ausreichend Haftnotizen, Stiften und Bastelmaterial für jedes Team. Solche Räume kann man auch anmieten. - Zeitdruck ist Programm
Kurze, sehr konzentrierte und kleinteilig getaktete Arbeitsphasen sind typisch für Design Thinking („Microtiming“). Um schnelle Entscheidungen im Team herbeizuführen, wird weniger diskutiert; vielmehr kommen viele kurze Brainstorming- und Erarbeitungsphasen in Kombination mit Abstimmungstechniken zum Einsatz. - Teamarbeit
Teamarbeit hat im Design Thinking einen hohen Stellenwert. Check-ins und Check-outs, Warm-ups, Teamregeln, Präsenz sowie Feedbackkultur sollten ihren festen Platz im Ablauf erhalten. Auch die Teamgröße von 4 bis 6 Personen sollte eingehalten werden, da diese sich für eine produktive Zusammenarbeit bewährt hat.
Beispiel
Im Projekt CoDesign arbeiteten International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) und die österreichische Stadt Baden zusammen, um herauszufinden, wie Hindernisse bei der Umsetzung der Energiewende in den Klima- und Energiemodellregionen (KEM) in Österreich überwunden werden können. Im ersten Teil des Forschungsprojekts ermittelte das wissenschaftliche Projektteam mithilfe von Stakeholderinterviews erste Herausforderungen bei der Umsetzung der Wärmewende bis 2050. Der Fokus des Workshops lag auf emissionsarmen Heizungssystemen in Wohn- und Nichtwohngebäuden der Stadt Baden. Wie die Lösung für dieses Problem aussehen kann, wurde für den anschließenden Design-Thinking-Prozess bewusst offengehalten.
Dieser fand an zwei Tagen mit der Stadtverwaltung und Bürger/innen der Stadt Baden statt. Zu der Gruppe der 24 Teilnehmenden gehörten zwei Gemeinderatsmitglieder, der Energiereferatsleiter und zwei KEM-Manager/innen aus der Region, die aktiv in den Teams mitarbeiteten, sowie ausgewählte Bürger/innen. Der Bürgermeister und die Vizebürgermeisterin nahmen in erster Linie beobachtende Rollen ein. Die Leitung und Moderation des Workshops übernahm ein Design-Thinking-Coach. Wissenschaftler/innen des IIASA unterstützten die einzelnen Teams als Co-Moderator/innen und beobachteten zudem des Prozesses. Die meisten Teilnehmenden wurden einem der vier Teams zugeordnet, die den gesamten Design-Thinking-Prozess durchliefen; ein kleiner Teil verkörperte die Endnutzer/innen, die für Interviews und Feedback zur Verfügung standen.
In der ersten Phase (Verstehen) setzten die Teams die Methode Customer Journey Mapping ein. Ausgangspunkt für die Teilnehmenden war das Szenario, dass das defekte Heizsystem in ihrem Gebäude erneuert werden müsse. Die Teams überlegten gemeinsam, wie sie ihr Ziel – eine neue und nachhaltige Heizungsanlage – erreichen können, und visualisierten den Ablauf und die voraussichtlichen Schwierigkeiten und Fragen hierfür an einem Zeitstrahl. Mithilfe unterschiedlicher Materialien wie Legobausteinen, Markern und farbigen Stiften antizipierten sie die Perspektive der Nutzer/innen in einem gemeinsamen Bild und identifizierten erste Ansatzpunkte für die darauffolgenden Interviews.
Anschließend teilte sich die Gruppe in vier Teams auf, die für jeweils einen Gebäudetyp Lösungen entwickeln sollten: die Mietwohnung, das Einfamilienhaus, ein Familien-Unternehmen und öffentliche Gebäude. Ausgestattet mit konkreten Fragen ging jedes Team in die Feldarbeit und befragte Endnutzer/innen der vier Gebäudetypen in zweistündigen Interviews zu ihren Problemen und Erfahrungen in Bezug auf Raumwärme und Heizen (Phase Beobachten). Die Erkenntnisse der Feldarbeit wurden in Form von Personas mit Namen, persönlichen Merkmalen sowie einer kurzen Beschreibung der Herausforderungen festgehalten. Für die Gruppe der Mietwohnungen beschrieb das Team beispielsweise die Perspektive der Erzieherin Michi (36): Michi ist Veganerin und legt Wert auf ein umweltbewusstes Leben. Sie hat versucht, ihre Nachbar/innen im Mehrfamilienhaus zu überzeugen, gemeinsam bei den Hausbesitzer/innen eine Umrüstung auf Fernwärme zu erwirken, scheiterte jedoch am fehlenden Interesse für Umweltprobleme. Daraus entwickelt das Team einerseits die Frage, wie man Vordenker/innen in ihrem Engagement unterstützen kann und wie Personen ohne intrinsisches Interesse für Nachhaltigkeitsthemen zur Investition in eine nachhaltigere Wärmeversorgung motiviert werden könnten.
Interviews der Mieter/innen ergaben, dass diese oft keine Möglichkeit haben, über ihre Wärmeversorgung zu entscheiden, während die Eigentümer/innen keinen Vorteil haben, wenn sie in eine emissionsarme Heizung investieren. Nach einem ersten Brainstorming wählten alle Teams aus dem Ideenpool eine bis zwei für sie vielversprechende Optionen aus und visualisierten diese mit Legobausteinen und anderen Materialien in Form von Prototypen.
Die Teams präsentierten die Prototypen den Endnutzer/innen, die Feedback zu jeder Lösungsoption gaben (Phase Testen). Die Teams arbeiteten das Feedback ein (Iteration) und präsentierten die verbesserten Vorschläge allen Teams sowie dem Bürgermeister der Stadt Baden.
Das Mieter/innen-Team entwickelte eine Strategie, mit deren Hilfe Pensionäre, die über mehr zeitliche Ressourcen verfügen, als Multiplikator/innen in Mehrfamilienhäusern in den Heizungsoptimierungsprozess eingebunden werden sollten. Außerdem überlegte sich das Team, eine lokale CO²-Steuer einzuführen, um Emissionen besser regulieren zu können. Allerdings fehlen hier noch Überlegungen dazu, wie das Investor-Nutzer-Dilemma umgangen werden kann.
Besonders positiv für den Erfolg des Design-Thinking-Prozesses wirkte sich die Begeisterung der Teilnehmenden aus, ebenso wie deren Bereitschaft, sich neuen Methoden und Zugängen zu stellen. Ein weiterer Erfolgsfaktor im Projekt Co-Design war die Heterogenität der Teilnehmenden, sowohl bezüglich Alter und Bildung als auch hinsichtlich ihres themenspezifischen Vorwissens.
Literatur und Links
- Bestmann, B. (2018): Design Sprints vs. Design Thinking. Medium (21.08.2018)
- Buhl, A.; Schmidt-Kelich, M.; Muster, V.; Blazejwski, S.; Schrader, U.; Harrach, C.; Schäfer, M.; Süßbauer, E. (2019): Design thinking for sustainability: Why and how design thinking can foster sustainability-oriented innovation development. In: Journal of Cleaner Production 231 (10): S. 1248-1257
- HPI Academy (2020): Was ist Design Thinking? Hasso-Plattner-Institut
- HPI Academy (2020). Brainstorming Methodensammlung. Hasso-Plattner-Institut
- IIASA (2017): CoDesign. International Institute for Applied Systems Analysis
- IIASA (2018): Heat supply for Baden without gas and oil – is that possible? International Institute for Applied Systems Analysis
- IIASA (2019). CoDesign – Addressing Energy Transition Gaps in Climate and Energy Model Regions of Austria Through Policy Co-Design. Final Report. Wien: International Institute for Applied Systems Analysis
- Klima- und Energiefonds (2019): Wie gelingt die Wärmewende? Newsletter 12/2018.
- Knapp, J.; Zeratsky, J.; Kowitz, B. (2016): Sprint: Wie man in nur fünf Tagen neue Ideen testet und Probleme löst. München: Redline Verlag
- Poguntke, S. (2020): Design Sprint. Gabler Wirtschaftslexikon
- Schrader, U.; Muster, V.; Harrach, C.; Schmidt-Keilich, M., Schäfer, M.; Süßbauer, E.; Blazejewski, S.; Buhl, A. (2019): Konzept. Was ist DTN? Design Thinking für Nachhaltigkeit
- Siebel, C. (2020). Top 5 erprobte Kennenlernspiele für Erwachsene. Wilde Workshop Spiele
- Spotify (2019): The Story of Spotify Personas
- Wilson, M. C. (2018): Design Dash Facilitator’s Guide
HANDBÜCHER MIT TEMPLATES
- Dark Horse Innovation (2016): Digital Innovation Playbook. Das unverzichtbare Arbeitsbuch für Gründer*innen, Macher*innen und Manager*innen. Hamburg: Murmann Publishers
- Glitza, C.; Hamburger, R.-S.; Metzger, M. (2019): Hands-on Design Thinking. München: Vahlen
- Lewrick, M., Link, P., Leifer, L. (2018): Das Design Thinking Playbook: Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren. München: Vahlen
- Osann, I.; Mayer, L.; Wiele, I. (2018): Design Thinking Schnellstart. Kreative Workshops gestalten. München: Hanser
- Rustler, F. (2020): Denkwerkzeuge der Kreativität und Innovation. Das kleine Handbuch der Innovationsmethoden. Zürich: Midas Management Verlag
TEMPLATES ZUM DOWNLOAD
- Schrader, U.; Muster, V.; Harrach, C.; Schmidt-Keilich, M., Schäfer, M.; Süßbauer, E.; Blazejewski, S.; Buhl, A. (2019): Templates. Design Thinking für Nachhaltigkeit
- Wilson, M. C. (2018): Design Dash
Steckbrief
- Aufwand: bis zu ca. 3 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: Laufzeit des Wettbewerbs ca. 10 Wochen
- Prozessdauer: mind. 3 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: unbegrenzt
- Integration: Konsultation
Der Ideenwettbewerb stellt ein Mittel der aktiven Kundeneinbindung in offene Innovationsprozesse dar. Mittels eines Ideenwettbewerbs können Sie kreative Ideen generieren, neue Trends ablesen und Lead User identifizieren, die Sie in den weiteren Innovationsprozess einbinden können.
Bei einem Ideenwettbewerb laden Sie die Allgemeinheit oder eine spezielle Zielgruppe dazu ein, zu einer bestimmten Aufgabenstellung innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums Beiträge einzureichen. Eine Jury wertet diese im Anschluss anhand vordefinierter Kriterien aus. Je nach Ausgestaltung des Wettbewerbs können die Beiträge neben den Ideen auch Konzepte und Lösungsvorschläge enthalten. Dadurch gewinnen Sie außer Informationen über Kundenbedürfnisse auch Hinweise zu deren Erfüllung. Zudem können Sie so Ihren Ideenraum zu einem bestimmten Thema erweitern. Die Teilnehmenden nehmen auf diese Weise eine beratende Position für Ihr Unternehmen ein.
Die Zielgruppe ergibt sich in der Regel aus dem Thema und der spezifischen Aufgabenstellung. Offene Ideenwettbewerbe richten sich an die breite Masse, während geschlossene Ideenwettbewerbe eine gezielte Ansprache der Zielgruppe benötigen. Durch eine Prämierung der besten Beiträge fördern Sie den Wettbewerbscharakter und bieten einen Anreiz zur Teilnahme. Die Kreativität und Qualität der Beiträge können Sie dadurch ebenfalls erhöhen. Incentives können Geldpreise, Sachpreise oder immaterielle Ehrungen sein.
Ideenwettbewerbe lassen sich als Online- oder Offline-Wettbewerb gestalten. In den meisten Fällen finden sie jedoch über das Internet statt, wodurch ein einfacher Austausch der Ideen über web-basierte Plattformen ermöglicht wird. Diese Plattformen können als einfache virtuelle „schwarze Bretter“ genutzt werden. Durch die Bereitstellung weiterer Funktionen (wie zum Beispiel Foren, in denen Nutzer/innen die Möglichkeit haben, andere Ideen aufzugreifen, weiterzuentwickeln und zu kommentieren) können Sie den Interaktionsgrad auf solchen Plattformen weiter erhöhen.
Anwendungsbereich
Ideenwettbewerbe dienen vornehmlich der Identifikation und Generierung bereits vorhandener und zukünftiger Bedürfnisse der Nutzer/innen. Weiterhin können Sie mit solchen Wettbewerben Ideen weiterentwickeln oder konkrete Konzepte zur Markteinführung hervorbringen. Daher sollten Sie einen Ideenwettbewerb in einer sehr frühen Phase des Innovationsprozesses – der Phase der Ideengenerierung und -bewertung – einsetzen.
Ablauf
Je nach Umfang und Ausgestaltung des Ideenwettbewerbs fallen für die Planung und Durchführung eines Ideenwettbewerbs folgende Arbeitsschritte an:
- Analyse der Rahmenbedingungen
- Planung, u.a.
- Definition der Ziele
- Bestimmung der Zielgruppe, Ausrichtungsform (online oder offline) und der Incentivierung
- Festlegung der Laufzeit
- Erarbeitung der Möglichkeiten für die Weiterverwendung der Ideen
- Gestaltung und Konzeption, u.a.
- Gestaltung der Ausschreibung (u.a. Formulierung der Aufgabenstellung)
- Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen
- Entscheidung über die Integration von Web 2.0 und Community Funktionalitäten
- Pretest (optional)
- Mobilisierung der Teilnehmer/innen über geeignete Kommunikationskanäle
- Wettbewerbs(- und Community) Management, u.a.
- Kontinuierliches Monitoring der Beiträge
- Ideenbeurteilung und Prämierung
Expertise
Nach Fristende bewertet eine von Ihnen berufene Jury die eingereichten Beiträge anhand vordefinierter Kriterien. Diese Jury können Sie aus Mitgliedern Ihres Unternehmens oder externen Expert/innen zusammensetzen. Die typische Zahl der Jurymitglieder liegt zwischen drei und zehn Personen. Sie sollten im Vorfeld überlegen, wie die Jury die Kreativität der Beiträge bewerten soll und dafür geeignete Kriterien festlegen. Mögliche Kriterien sind: Originalität, Nützlichkeit, Ausarbeitungsgrad und Realisierbarkeit der Idee. Außerdem sollten die Jurymitglieder mit der Thematik des Ideenwettbewerbs genau vertraut sein. Zwischen der Kreativität und anderen Anforderungen an die eingereichten Ideen (wie zum Beispiel die Nachhaltigkeit einer Idee) besteht kein notwendiger Zusammenhang. Daher sollten Sie sicherstellen, dass kompetente Expert/innen in der Jury vertreten sind, die die Ideen hinsichtlich weiterer Anforderungen (zum Beispiel Nachhaltigkeit) bewerten können.
Beachten
- Ausgestaltung
Das Design der Plattform bei Online-Ideenwettbewerben hat eine Auswirkung auf die Teilnahme sowie auf die Qualität der eingereichten Ideen. Eine Plattform, auf der sich eine eigene Community bilden kann, erhöht die Teilnahme am Ideenwettbewerb. Wird der Ideenwettbewerb durch ein Online-Diskussionsforum begleitet, kann die Community zudem erste Ideen filtern oder sinnvoll weiterentwickeln. - Zeitraum
Sie sollten beachten, ob der Ideenwettbewerb in Ferienzeiten oder auf Feiertage fällt. Außerdem ist eine ausreichend lange Laufzeit entscheidend, denn Sie müssen den Wettbewerb kommunizieren, die Zielgruppe zur Teilnahme motivieren und ihr genug Zeit zur Entwicklung der Ideen lassen. - Prämierung
Eine höhere Prämie bedeutet nicht immer automatisch eine bessere Leistung der Teilnehmenden. In manchen Fällen kann eine persönliche, immaterielle Ehrung – zum Beispiel in Form einer öffentlichen Würdigung auf der Unternehmenshomepage, einer Pressemitteilung oder einer persönliche Einladung zur Preisverleihung – mehr Wert sein als eine höhere Prämie. Beide können sich auch ergänzen. - Rechtliche Rahmenbedingungen
Es ist wichtig, dass beide Seiten – Unternehmen und Teilnehmende – wissen, worauf sie sich einlassen. Daher sollten Sie in den Teilnahmebedingungen alle wichtigen Aspekte thematisieren, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Die Zustimmung zu diesen Bedingungen sollten Sie zur Voraussetzung für eine Teilnahme machen. - Bewertung
Für die Bewertung sollten Sie vorab geeignete Kriterien festlegen. Es besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen der Kreativität und der Nachhaltigkeit einer Idee. Sie sollten daher sicherstellen, dass Ihre Jury beide Aspekte separat bewertet. - Teilnahme
Knapp 40 Prozent der eingereichten Beiträge gingen in dem beschriebenen Beispiel am ausgeschriebenen Thema vorbei. Dies sollten Sie bei der Rekrutierung der Teilnehmenden und Ihrer Kosten-Nutzen-Abwägung beachten. Ein Ideenwettbewerb sollte aktiv beworben werden, um genügend Teilnehmende zu rekrutieren und so eine ausreichende Auswahl an Ideen zu garantieren – was jedoch mit sehr viel höheren Kosten einhergeht.
Beispiel
Ziel des Ideenwettbewerbs „Energieeffizientes Wohnen und Mobilität“ war es, gemeinsam mit Bürger/innen Ideen rund um das Thema Energieeffizienz zu generieren und weiterzuentwickeln. Diese sollten die Energieeffizienz in den Bedarfsfeldern Wohnen und Mobilität in München verbessern. Den Wettbewerb führte das vom BMBF geförderte Projekt „OFFIES 2020+: Offene Innovationsprozesse für die energieeffiziente Stadt 2020+” zusammen mit verschiedenen Unternehmen aus den Bereichen Wohnen und Mobilität sowie der Stadt München durch.
Die Dauer der Ausschreibung betrug 12 Wochen (1.9. bis 16.11.2009). Es wurden Sachpreise in Höhe von 1.500 Euro für die ersten drei Gewinner des jeweiligen Bereichs (Wohnen und Mobilität) ausgeschrieben. Der Ideenwettbewerb wies außerdem die folgenden Merkmale auf:
- offener Ideenwettbewerb
- webbasierte Durchführung mit eigener Plattform (die Community auf der Plattform umfasste 320 Mitglieder)
- Teilnahme war auf keine spezielle Zielgruppe beschränkt
- aktive Bewerbung des Ideenwettbewerbs unter anderem per E-Mail (Newsletter), Ankündigungen über die Webseiten der Netzwerkpartner und Postsendungen an Münchner Schulen
- sämtliche Ideen auf der Plattform waren für alle einsehbar
Insgesamt wurden bei diesem Ideenwettbewerb 162 Ideen eingereicht. Davon bewertete die eingesetzte Jury jedoch nur 67. Die übrigen hatten entweder das Thema verfehlt, wurden doppelt eingereicht oder waren bereits im Münchner Raum realisiert. Die hohe Teilnehmerzahl lässt sich unter anderem durch die umfangreichen Kommunikationsaktivitäten erklären. Ein Ansatz, der jedoch auch mit höheren Kosten einhergeht.
Literatur und Links
- Arnold, M. (2011): Ideenwettbewerbe als Methode offener Innovationsprozesse? In: Belz, F.; Schrader, U.; Arnold, M. (Hrsg.): Nachhaltigkeitsinnovation durch Nutzerintegration. Marburg.: Metropolis Verlag, S. 317 – 330.
- Arnold, M. (2011): Methoden der Nutzerintegration. In: Belz, F.; Schrader, U.; Arnold, M. (Hrsg.): Nachhaltigkeitsinnovation durch Nutzerintegration. Marburg: Metropolis Verlag, S. 39 – 49.
- Belz, F.; Silvertant, S.; Füller, J.; Pobisch, J. (2009): Ideenwettbewerbe: Konsumenten involvieren – Ideen generieren – Lead Users identifizieren. München.
- Bretschneider, U.; Leimeister, J. M.; Krcmar, H. (2009): Methoden der Kundenintegration in den Innovationsprozess - Eine Bestandsaufnahme. In: Arbeitspapiere Nr. 34 des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik , No. 34, Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, Technische Universität München (http://pubs.wi-kassel.de/wp-content/uploads/2013/03/JML_177.pdf).
- Piller, F.; Wagner, P.; Antons, D. (2012): Innovationsmanagement in der Energiebranche - Anwendung des Open-Innovation-Ansatzes. In: Servatius, H.; Schneidewind, U.; Rohlfing, D.: Smart Energy: Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem. Berlin: Springer Verlag, S. 173-192.
- Piller, F.; Walcher, D. (2006): Toolkits for idea competitions: a novel method to integrate users in new product development. R&D Management, No. 36 (3), 2006, S. 307-318.
- Walcher, D. (2007): Der Ideenwettbewerb als Methode der aktiven Kundenintegration. Theorie, empirische Analyse und Implikationen für den Innovationsprozess. Wiesbaden: Gabler Verlag.
- Übersicht über unterschiedliche Ideenwettbewerbe, u.a. auf: www.ideenwettbewerbe.com
Steckbrief
- Aufwand: ca. 6 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: 2 bis 3 Tage, ggf. halbtägiger Vorbereitungsworkshop
- Prozessdauer: ca. 4 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 5 bis 10 Personen
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
Die Lead-User-Methode ist ein nutzerzentrierter, qualitativer Ansatz aus der Marktforschung. Sie dient in erster Linie dazu, Innovationsprozesse in Unternehmen zu unterstützen. Sie können damit Innovationsmöglichkeiten erkennen und neue Produktkonzepte entwickeln. Kern der Methode ist die Identifikation einer spezifischen Gruppe von Anwender/innen, die Sie aktiv in laufende Produktentwicklungsprozesse einbinden.
Viele empirische Studien belegen, dass Nutzer/innen eine wertvolle Quelle für Innovationen sind. Nach Eric von Hippel, auf den die Lead-User-Methode zurückgeht, ist klassische Marktforschung stark durch die Konzentration auf durchschnittliche Konsument/innen eingeschränkt. Diese repräsentieren vor allem allgemein übliche Praktiken und sind daher kaum imstande, Ideen für neue Produkte zu liefern. Von Hippel schlug daher vor, dass sich das innovationsorientierte Marketing auf ganz bestimmte Nutzergruppen konzentrieren sollte – die so genannten Lead User.
Lead User sind durch zwei zentrale Attribute charakterisiert: Erstens haben sie Bedürfnisse, die für andere Nutzer/innen erst wesentlich später relevant werden; zweitens profitieren sie selbst entscheidend von Produkten, mit denen sie diese Bedürfnisse befriedigen können. Mit der Fokussierung auf Lead User können Sie bessere Informationen über neu entstehende Kundenbedürfnisse gewinnen. Ihre neuen Produkt- und Servicekonzepte machen Sie dadurch treffsicherer.
Ziel von Lead-User-Projekten ist es, neue Produkt- oder Dienstleistungskonzepte für bestimmte Zielmärkte zu entwickeln. Ein wesentlicher erster Schritt des Verfahrens ist es, Trends in den Zielmärkten zu identifizieren. Lead User können Sie dann entweder direkt aus diesen Zielmärkten (zum Beispiel Anwender/innen, die bereits mit vergleichbaren Lösungen experimentieren) oder aus passenden Analogmärkten rekrutieren. Eine dritte Lead-User-Kategorie sind Personen, die bestimmte Attribute oder Bedürfnisse mit Nutzer/innen aus den Zielmärkten teilen. Bei der Suche und Identifikation von Lead Usern helfen Ihnen verschiede Methoden, wie Screening, Broadcasting oder Pyramiding.
Den Abschluss des Lead-User-Verfahrens bildet eine Serie von Workshops zur Entwicklung von neuen Produkt- oder Dienstleistungskonzepten. Das Workshop-Team setzen Sie dabei aus den ausgewählten Lead Usern, technischen Expert/innen und entsprechenden Produkt- oder Innovationsexpert/innen aus Ihrem Unternehmen zusammen. Dieses Team arbeitet intensiv über meist zwei oder drei Tage daran, die Konzepte zu erstellen und auszuformen. Das Entwicklungsteam Ihres Unternehmens verfeinert die im Workshop erarbeiteten Konzepte und konstruiert entsprechende Business Cases. Ihre Produktentwickler/innen bewerten diese anschließend und wählen diejenigen aus, die sich für die Umsetzung eignen.
Anwendungsbereich
Der Einsatz der Lead-User-Methode ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Unsicherheit über zukünftige Kundenpräferenzen hoch ist und ein Unternehmen größere Innovationsfortschritte erzielen will (Breakthrough Innovation). Die Methode wurde bisher erfolgreich bei industriellen Innovationen und bei der Entwicklung neuer Konsumprodukte eingesetzt. Mit der Energiewende kommt eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die neuartig für Konsument/innen sind. Beispiele dafür sind die Mikrogeneration von Energie, die Anwendung von Speichertechnologien, die Einbindung von Haushalten in Smart Grids oder neue Transportsysteme. Damit bietet sich ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten für die Lead-User-Methode. Sie ermöglicht eine radikale Neuformulierung von Produktkonzepten und eine stärkere Orientierung der Produkte an entstehenden neuen Kundenbedürfnissen. Die Lead-User-Methode eignet sich besonders für die Phase der Ideenentwicklung.
Ablauf
Idealtypisch besteht der Ablauf der Lead-User-Methode aus vier Phasen: (1) Projektstart und Suchfelddefinition, (2) Identifikation von Trends, (3) Identifikation von Lead Usern und (4) Entwicklung von Lösungskonzepten in einem Lead-User-Workshop (siehe Grafik).
Wie die Grafik zeigt, entsteht der größte Aufwand der Lead-User-Methode nicht durch die Einbindung der Nutzer/innen in den Lead-User-Workshops. Die meisten Ressourcen müssen Sie vielmehr für folgende zwei Aufgaben reservieren: zum einen für die Entwicklung eines möglichst tiefen Verständnisses von Trends und aktuellen technischen Entwicklungen in den Zielmärkten der zu entwickelnden Produkte; zum anderen für die Identifikation von Lead Usern, die die Fähigkeit haben, mit unkonventionellen Lösungen auf neu entstehende Bedürfnisse in diesen Märkten zu antworten. Die partizipative Arbeit an neuen Konzepten bildet dann den Abschluss des Prozesses, der typischerweise über einen Zeitraum von etwa vier Monaten läuft.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung der Lead-User-Methode an:
- Festlegung des Suchfeldes (welcher Zielmarkt?)
- Bildung des Projektteams
- Identifikation von Trends und Bedürfnissen durch Recherchen und Interviews
- Identifikation von Lead Usern in Ziel- und Analogmärkten
- Planung der Lead-User-Workshops
- Entwicklung von Ideen und Lösungskonzepten im Workshop
- Bewertung der Konzepte, firmeninterne Weiterbearbeitung
Expertise
Die unterschiedlichen Phasen im Ablauf der Lead-User-Methode erfordern eine Reihe verschiedener Kompetenzen. Die Identifikation von Trends in den Zielmärkten und möglicher Lead User ist nur mit Expertise in der Marktforschung oder den Methoden qualitativer Sozialforschung möglich (zum Beispiel Interviews oder Fokusgruppen). Bei der Durchführung von Lead-User-Workshops sind Kenntnisse in der Moderation von Gruppenprozessen, Kompetenzen in der partizipativen Produktentwicklung sowie technische Expertise und gute Marktkenntnisse in Bezug auf die angestrebten Produktgruppen nötig.
Beachten
- Externe Unterstützung
Wegen des Umfangs und der Komplexität der Lead-User-Methode sollten Sie erfahrene Berater/innen oder Marktforscher/innen hinzuziehen. - Klare Problemdefinition
Für den Erfolg der Lead-User-Methode ist es entscheidend, dass Sie die Problemstellung möglichst eng und konkret definieren. Dies erleichtert sowohl die Identifikation von interessierten Lead Usern als auch die Entwicklung von Produktideen. - Hoher Aufwand bei der Identifikation von Lead Usern
Der Erfolg der Lead-User-Methode hängt stark mit der Identifikation geeigneter Nutzer/innen zusammen. Den Aufwand dafür sollten Sie nicht unterschätzen. Für die Suche nach Lead Usern gibt es zwar eine Reihe von Methoden, diese müssen aber nicht gleich zum gewünschten Ziel führen und erfordern oft mehr Aufwand als ursprünglich geplant. - Perspektivenverschiebung für Innovationsmanager/innen
Explorative Marktforschung und Nutzereinbeziehung bereits in der Frühphase von Innovationsprozessen ist für Innovationsmanager/innen in Unternehmen meist ungewohnt. Eine große Anzahl von dokumentierten Erfolgen der Lead-User-Methode macht jedoch eine solche Verschiebung von Ressourcen empfehlenswert.
Beispiel
Ein Beispiel für die Anwendung der Lead-User-Methode ist ein Projekt zu Anwendungsmöglichkeiten von sogenannten Wood-Plastic-Composites (WPC) im Rahmen des österreichischen Programms „nachhaltig Wirtschaften“. WPC bezeichnen eine Werkstofffamilie, die durch Kombination aus Holz oder lignozellulosehaltigen Teilchen und plastifizierbaren Polymeren entsteht. Neue Anwendungen von WPC können nicht nur einen Beitrag zur besseren Ausschöpfung ökologischer Potenziale des Werkstoffs leisten, sondern stellen auch Impulse für die Weiterentwicklung der Produktionstechnologie dar.
In einer ersten Phase analysierte das Projektteam das Innovationsumfeld von WPC, erhob bestehende Anwendungen und Marktpotenziale und wertete internationale Marktforschungsstudien aus. Außerdem führte es eine Reihe von Experteninterviews zu Entwicklungstrends, kritischen Problemen und Potenzialen dieses Werkstoffs durch. In Zusammenarbeit mit Marktspezialist/innen definierte das Team als Projektziel, mindestens eine „Leuchtturm-Anwendung“ zu finden, um den Werkstoff WPC breiter bekannt zu machen.
In der zweiten Phase befragte das Projektteam Technologie- und Marktexpert/innen sowie 30 zufällig ausgewählte Nutzer/innen telefonisch zu Trends und Bedürnissen im Möbelmarkt – einer der Hauptanwendungsfelder von WPC. Auf dieser Basis erstellte es eine so genannte User-Needs-Matrix, eine Grafik mit mehreren Clustern von Erwartungen und Ansprüchen an innovative Anwendungen im Möbelbereich, sowie eine „Trend-Matrix“ für diesen Sektor.
Lead User suchte das Projektteam dann nach entsprechenden Kriterien, beispielsweise in Bereichen, in denen neue flexible Design- und Formgebung wichtig ist. In mehreren Befragungsrunden wählte es neun Anwender/innen mit einem möglichst hohen Lead-User-Potenzial aus, darunter drei Kunststoffverarbeiter als einem relevanten Analogmarkt zu WPC.
In einem zweitägigen Lead-User-Workshop enstanden schließlich in unterschiedlichen kreativen Gruppenprozessen innovative Anwendungsmöglichkeiten für Wood-Plastic-Composites, die das Workshop-Team nach ihrem Nachhaltigkeitspotenzial bewertete.
Literatur und Links
- Churchill, J.; Von Hippel, E.; Sonnack, M. (2009): Lead user project handbook: A practical guide for lead user project teams (https://evhippel.files.wordpress.com/2013/08/lead-user-project-handbook-full-version.pdf)
- Fichter, K. (2005): Modelle der Nutzerintegration in den Innovationsprozess. Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Verbrauchern in Innovationsprozesse für nachhaltige Produkte und Produktnutzungen in der Internetökonomie, WerkstattBericht Nr. 75, Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin.
- Herstatt, C.; von Hippel, E. (1992): From Experience: Developing New Product Concepts Via the Lead User Method. A Case Study in a “Low-Tech” Field’. Journal of Product Innovation Management 9. S. 213-21.
- Herstatt, C.; Lüthje, C. ; Lettl, C. (2002): Wie fortschrittliche Kunden zu Innovationen stimulieren. Harvard Business Manager 24 (1). S. 60-68.
- Lüthje, C. (2000): Kundenorientierung im Innovationsprozess. Wiesbaden, Germany. Gabler.
- Lüthje, C; Herstatt, C. (2004): The Lead User Method: An Outline of Empirical Findings and Issues for Future Research. R&D Management 34 (5). S. 553-68.
- Ornetzeder, M.; Feichtinger, J.; Rohracher, H.; Schreuer, A.; Loibl, H.; Eder, A.; Weinfurter, S.; Strobl, S. (2008): Open Innovation. Instrumente und Strategien zur aktiven Einbeziehung von NutzerInnen und anderen relevanten sozialen Gruppen in technische Innovationsprozesse am Beispiel Brennstoffzellen-Technologie und Wood-Plastic-Composites. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Wien.
- Springer, S.; Beucker, S.; Lang-Koetz, C.; Bierter, W. (2006): Lead User Integration. Werkstattreihe, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart (http://publica.fraunhofer.de/eprints/urn:nbn:de:0011-n-394430.pdf).
- Von Hippel, E. (1986): Lead users: a source of novel product concepts. Management Science 32 (7). S. 791-805.
- Eric von Hippel: https://evhippel.mit.edu/teaching/
- Insitut für Entrepreneurship und Innovation, Wirtschaftsuniversität Wien: www.wu.ac.at/entrep/forschung/userinnovation/leaduser/
Steckbrief
- Aufwand: falls bestehende Living-Lab-Infrastruktur genutzt werden kann, ca. 2 bis 6 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: eine bis mehrere Wochen Wohnen bzw. Arbeiten im Living Lab
- Prozessdauer: mehrere Wochen bis Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: Mindestens 5 Personen
- Integration: Konsultation bis Mitbestimmung
Ein Living Lab ist eine offene, nutzerzentrierte Innovationsumgebung. Die Methode dient der Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen gemeinsam mit Nutzer/innen und anderen Stakeholdern. Living Labs bilden Anwendungsumgebungen möglichst alltagsnah nach – etwa in Form von Smart Homes, die von Nutzer/innen tatsächlich eine Zeitlang bewohnt werden oder Prototypen, die in bestehende Wohnsituationen integriert werden. In Living Labs können Sie Technologien realitätsnah erproben und weiterentwickeln.
Living Labs können auf unterschiedliche Art aufgebaut sein. Im engeren Sinne bilden sie natürliche Wohn- oder Arbeitsumgebungen nach, in welchen Technologien und Produkte in ihrer konkreten Alltagsnutzung getestet werden können. Ein Beispiel ist das Fraunhofer-inHaus-Zentrum in Duisburg. Dort können Smart Home-Anwendungen in der Praxis erprobt werden. In einer weniger aufwendigen Form von Living Labs werden bestehende natürliche Wohn- oder Arbeitsumgebungen mit Messinstrumenten ausgestattet, um die Leistungsfähigkeit neuer Technologien unter Alltagsbedingungen zu prüfen. Die experimentelle Nutzung und Evaluierung innovativer Produkt-Dienstleistungssysteme in definierten Stadtteilen wird auch häufig als (Urban) Living Lab bezeichnet.
Kern der verschiedenen Living Lab-Formate ist der klare Fokus auf Nutzer/innen in ihren Alltagskontexten. Living Labs sollen Nutzer/innen ermutigen und befähigen, für sie relevante Innovationen mit zu entwickeln. Durch die aktive Rolle von Nutzer/innen im Innovationsprozess unterscheidet sich das Living Lab von Feldtests und den gängigen Marktforschungsinstrumenten.
Der Aufbau eines eigenen Living Labs ist mit sehr großen Aufwand verbunden. Daher ist es sinnvoll, auf vorhandene Living Lab-Infrastrukturen zurückzugreifen. Sie sind in unterschiedlichem Maße offen für die Nutzung durch interessierte Firmen und Forschungsakteure. Die Living Lab Landkarte des Wuppertal Instituts identifiziert Mitte 2020 in Deutschland 98 Living Labs. In den letzten Jahren haben Living Labs in Forschungs- und Entwicklungsprozessen an Bedeutung gewonnen.
Der Einsatz von Living Labs erlaubt Ihnen die Einbeziehung von Nutzer/innen in den Entwicklungsprozess auf eine sehr alltagsnahe, intensive Art. Ein wesentliches Element dieses Verfahrens ist die Auswahl von geeigneten Teilnehmenden. Als Grundregel gilt, dass diese die späteren Nutzer/innen möglichst gut repräsentieren und unterschiedliche Typen von potenziellen Nutzer/innen berücksichtigen soll.
Anwendungsbereich
Living Labs gehören zu den offenen oder partizipativen Innovationsprozessen. Mit ihrer Hilfe können Sie die Interaktion von Nutzer/innen mit neuen Produkten und die dabei entstehenden spezifischen Nutzungsformen studieren. Außerdem fließen über Living Labs Nutzerperspektiven und -ideen in Ihren Entwicklungsprozess ein.
Living Labs wurden anfangs besonders bei der nutzerzentrierten Entwicklung innovativer Informationstechnologien eingesetzt. Als Mittel zu deren Erprobung und Entwicklung unter realistischen Bedingungen bauen Living Labs vor allem alltägliche Wohnsituationen oder Wohnumgebungen nach. Zur Entwicklung nachhaltiger Technologien wird in Living Labs beispielsweise die Alltagstauglichkeit von energieeffizienten Gebäuden, Smart Homes oder von Mobilitätssystemen getestet.
Allgemein können Sie durch Living Labs nachhaltige Produkt-Service-Innovationen aus einer Anwenderperspektive entwickeln und testen. Während des Innovationsprozesses eignen sich Living Labs am besten für die Auswahl und Eingrenzung von Ideen sowie für die Realisierung und Erprobung konkreter Produktkonzepte.
Ablauf
Unter dem Begriff Living Labs werden vielfältige Varianten zusammengefasst und ein standardisierter methodischer Ablauf lässt sich kaum festhalten. Allerdings lässt sich ein Living Lab grundsätzlich in vier Phasen unterteilen. Die erste Phase ist die Co-Kreation, hier werden Ideen gemeinsam mit den Nutzer/innen ausgetauscht oder Ideen für Prototypen entwickelt. Die Erkundungsphase dient dem Test von Prototypen oder der Bewertung verschiedener Szenarien. Danach folgt der Kern des Living Labs mit dem realen Experiment oder Feldversuch. In der letzten Phase – der Evaluation – werden die Innovationen und der Prozess rückblickend bewertet. Nicht jedes Living Lab muss alle vier Phasen durchlaufen; diese sind auch nicht immer zeitlich nacheinander angesiedelt. Die vier Phasen bieten jedoch eine Orientierung für die Planung. Jede Phase fordert eigene Zielsetzungen sowie den Einsatz unterschiedlicher Methoden:
Co-Kreation
Hier soll die Designidee für das Produkt oder die Dienstleistung entwickelt werden. Der Fokus in dieser Phase liegt auf Bedürfnissen und Erwartungen von Nutzer/innen. Folgende Methoden eignen sich für diese Phase:
- Interviews und Befragungen
- Tagebücher und Selbstdokumentation
- Teilnehmende Beobachtung
- Think Aloud/lautes Denken
Basierend auf grundlegenden Nutzerbedürfnissen soll ein Möglichkeitsraum für das geplante Produkt erschlossen werden. Grundlegende Frage ist: Auf welche Arten könnte das Produkt auf diese Bedürfnisse reagieren? Auf der so geschaffenen Grundlage werden Designideen mit den Nutzer/innen entwickelt.
Erkundung
In dieser Phase werden Prototypen designt und Anwendungen beschrieben. Potenzielle Nutzer/innen können die Prototypen mitentwickeln und auch testen. Am Ende können auch mehrere Prototypen entstehen. Für die Entwicklung und den Test der Prototypen eignen sich z.B. folgende Methoden:
- Nutzerinnovations-Workshops
- Mock-ups, d.h. Attrappen oder Vorführmodelle
- User Toolkit
- Designorientierte Szenarien
Feldversuch
In der dritten Phase testen Nutzer/innen das Produkt oder die Dienstleistungen in einer alltagsnahen Umgebung. Damit sollen möglichst alltagsnahe Nutzungserfahrungen erfasst werden und mögliche Routinen identifiziert werden, die bei der Nutzung entstehen können. Mit jeweils auf das Produkt oder die Dienstleistung zugeschnittenen Methoden oder Messinstrumenten werden zuvor festgelegte Paramater erfasst, etwa die Nutzungshäufigkeit bestimmter Geräte oder die Raumtemperatur. Entsprechend breit sind die Erfassungsmethoden:
- Beobachtung der Nutzung
- Sensorik und Messung
- Dokumentation / Tagebücher
Evaluation
In dieser Phase werden die Testphase und die Erfahrungen mit dem Produkt oder der Dienstleistung gemeinsam mit den Nutzer/innen bewertet. Zentraler Bewertungsparameter ist hierbei die Nutzungsfreundlichkeit (Usability). Aber auch der Prozess und die Umsetzung im Lab werden bewertet. Geeignete Methoden hierfür sind:
- Checklisten
- Umfragen
- Workshops oder Fokusgruppen
Expertise
Für die Entwicklung von Produkt-Servicesystemen in Living Labs sollten nach Möglichkeit bereits Vorerfahrungen oder Kompetenzen im Bereich der partizipativen Produktentwicklung vorhanden sein, zum Beispiel partizipative Designmethoden, wie sie bei der Entwicklung von Informationstechnologien eingesetzt werden.
Darüber hinaus ist sozialwissenschaftliche Expertise erforderlich, um Nutzerperspektiven und -erfahrungen zu erfassen, zu bewerten und in den Designprozess einfließen zu lassen. In erster Linie handelt es sich dabei um Methoden qualitativer Sozialforschung (narrative Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtung, Tagebücher) sowie deren Auswertung durch Inhalts- oder Interaktionsanalyse.
Außerdem sind Kompetenzen für das Design und die Moderation von Gruppenprozessen wichtig, etwa für Workshops mit Nutzer/innen, Produktentwickler/innen und anderen für den Prozess relevanten Stakeholdern.
Expertise
Für die Entwicklung von Produkt-Servicesystemen in Living Labs sollten nach Möglichkeit bereits Vorerfahrungen oder Kompetenzen im Bereich der partizipativen Produktentwicklung vorhanden sein, zum Beispiel partizipative Designmethoden, wie sie bei der Entwicklung von Informationstechnologien eingesetzt werden.
Darüber hinaus ist sozialwissenschaftliche Expertise erforderlich, um Nutzerperspektiven und -erfahrungen zu erfassen, zu bewerten und in den Designprozess einfließen zu lassen. In erster Linie handelt es sich dabei um Methoden qualitativer Sozialforschung (narrative Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtung, Tagebücher) sowie deren Auswertung durch Inhalts- oder Interaktionsanalyse.
Außerdem sind Kompetenzen für das Design und die Moderation von Gruppenprozessen wichtig, etwa für Workshops mit Nutzer/innen, Produktentwickler/innen und anderen für den Prozess relevanten Stakeholdern.
Beachten
- Intensive Planung und Vorbereitung
Eine gute Planung ist immer gut - aufgrund des verhältnismäßig hohen Ressourceneinsatzes und der Vielzahl der einsetzbaren Methoden gilt dies für diese Methode besonders. Bei Nutzung bestehender Living Lab-Infrastrukturen muss das Projekt ggf. auf die vorgegebenen zeitlichen und technischen Rahmenbedingungen angepasst werden. - Auswahl der Nutzer/innen
Nutzer/innen spielen eine zentrale Rolle als Co-Entwickler/innen von Innovationen in Living Labs. Das Living Lab-Team sollte daher im Vorfeld Nutzertypen und Nutzungsanforderungen an die angestrebten Produkte oder Dienstleistungen recherchieren und diese differenzieren. Je genauer die Recherchen und Auswertungen, desto besser finden sich geeignete Kandidat/innen für die Zusammensetzung der Testpersonen. - Empowerment
Kernidee von Living Labs ist das Co-Design von Produkten und Dienstleistungen, also die Möglichkeiten für eine tatsächliche Mitgestaltung der Innovationen. Über eine bloße Evaluation der Nutzungserfahrungen durch die Testperson sollte die Methodik daher hinausgehen, da sonst viel Potenzial verloren geht. Dabei ist es hilfreich offen zu sein für alternative Produktdesigns und die Nutzer/innen dazu zu ermutigen, eigene Lösungswege zu suchen. - Realitätsnahe Anwendung der Produkte und Dienstleistungen
Ein weiterer Kernaspekt von Living Labs ist die Anwendung der entsprechenden Innovationen in einem möglichst lebensnahen und realistischen Umfeld. So sollte man etwa darauf hinwirken, dass Innovationen möglichst in bestehenden Haushalten getestet werden. Auch hier ist eine gute Kenntnis möglicher Anwendungssituationen und Kontexte wichtig, etwa, um verschiedene Haushaltstypen, Wohnkonstellationen oder Einkommensunterschiede zu berücksichtigen.
Beispiele
Beispiel 1: SusLab Nordrhein-Westfalen
Das SusLab Nordrhein-Westfalen testete Innovationen zur effizienteren Beheizung und Verbesserung des Innenraumklimas in echten Wohnumgebungen in der Stadt Bottrop und entwickelte diese mit den Bewohner/innen weiter. In einer ersten Phase führte das Projektteam eine Breitenbefragung zu bestehenden Nutzungspraktiken und -bedürfnissen in Bezug auf Heizung und Kühlung von Wohnungen durch. In ausgewählten Haushalten erfasste das Projektteam mit mobilen Datenloggern über zwei Wochen Daten etwa zur Raumtemperatur und CO2-Konzentration und ergänzte diese Informationen durch Tagebuchaufzeichnungen der Bewohner/innen, Interviews und Beobachtungen. Danach installierten die beteiligten Firmen ihre Systeme (Prototypen) zur Gebäudeautomatisierung, die die Steuerung von Heizung und Lüftung in den Gebäuden und ein Feedback dazu verbessern sollten. Anschließend führte das Projekt eine weitere zweiwöchige Mess- und Beobachtungsphase durch (Feldtest).
Darauf aufbauend wurden Workshops zur Produktentwicklung mit Nutzer/innen und Stakeholdern durchgeführt mit dem Ziel, neue Prototypen für Assistenzfunktionen als Teil von Systemen zur Gebäudeautomatisierung zu entwickeln, die Nutzer/innen durch erweitertes Feedback dabei helfen sollen, energieeffizienter zu heizen und zu kühlen.
Beispiel 2: Living Lab Suburbane Wärmewende
Im Rahmen der Living Labs Suburbane Wärmewende (SubWW) wurden alle potenziellen Interessengruppen in den Planungsprozess für ein Nahwärmenetz in der Gemeinde Weyhe (Ortsteil Leeste) in der Nähe von Bremen eingebunden. Das Projekt Suburbane Wärmewende wurde vorab vom Umweltzentrum Stuhr-Weyhe, der Technischen Universität Berlin und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung betreut. Das Projektteam hat zunächst verschiedene technische und ökonomische Möglichkeiten des Nahwärmenetzes konzipiert und bewertet. Das EU-Horizon 2020 Projekt PROSEU hat dieses Projekt 18 Monate lang begleitet und im Rahmen eines Living Labs die Bedarfe und Herausforderungen für die geplante Umsetzung eines Nahwärmenetzes in einem co-kreativen Prozess ermittelt.
In der ersten Veranstaltungsrunde hat das Projekt in mehreren Vorgesprächen mit dem Projektteam vor Ort, den begleitenden Wissenschaftler/innen und Gemeindemitgliedern die Bedarfe und Herausforderungen des Projekts SubWW ermittelt. Diese wurden in der zweiten und dritten Veranstaltungsrunde mit potenziellen Posumern (Anwohner/innen, Hauseigentümer/innen, Unternehmer/innen, Schulen) und lokalen Akteuren aus Politik und Verwaltung diskutiert, um gemeinsam mögliche und gewünschte Rahmenbedingungen und Organisationsformen für das Nahwärmenetz zu erarbeiten (Round-Table-Gespräch, Befragung). Dabei wurde deutlich, dass – jenseits der Bezahlbarkeit - vor allem ökologische Kriterien und Partizipation wichtige Anforderungen an ein Nahwärmenetz sind. Zusätzlich sind noch Komfort und Ansprechpartner vor Ort als wünschenswert genannt worden, was für eine lokal verankerten Betrieb spricht. Abschließend wurden mit den Projektbeteiligten in einem letzten gemeinsamen Gespräch die Beobachtungen und Ergebnisse des Living Labs diskutiert und Ablauf, Erwartungen, Nutzen und zukünftige Entwicklungen gemeinsam evaluiert. Zusammen mit einer technischen Machbarkeitsstudie werden nun Szenarien für die Umsetzung entwickelt, bevor es in die Erprobung geht.
Literatur und Links
- Almirall, E.; Wareham, J. (2011): Living Labs: arbiters of mid- and ground-level innovation', Technology Analysis & Strategic Management 23 (1). S. 87-102.
- Baedeker, C.; Greiff, K. et al. (2014): Transition through sustainable Product and Service Innovations in Sustainable Living Labs: application of user-centred research methodology within four Living Labs in Northern Europe. Paper presented at 5th International Sustainability Transitions Conference, Utrecht.
- Beecroft, R., Parodi, O. (Hg.) (2016): Reallabore als Orte der Nachhaltigkeitsforschung und Transformation (TATuP Schwerpunktheft). Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 25(2016)3. S. 1-51.
- Bergvall-Kåreborn, B.; Stahlbrost, A. (2009): Living Lab: an open and citizen-centric approach for innovation. International Journal of Innovation and Regional Development 1 (4). S. 356 - 70.
- Botero, L., Bossert, M., Eicker, U., Cremers, J., Palla, N., Schoch, C. (2017): A Real-World Lab Approach to the Carbon Neutral Campus Transition: A Case Study. In: Leal Filho, W., Mifsud, M., Shiel, C., Pretorius, R. (eds). Handbook of Theory and Practice of Sustainable Development in Higher Education. World Sustainability Series. Springer, Cham.
- Dutilleul, B.; Birrer, F.A.J.; Mensink, W. (2010): Unpacking European Living Labs: Analysing Innovation’s Social Dimensions. Central European Journal of Public Policy 4. (1). S. 60-85.
- Geibler J.v. / Piwowar J. (2017) Living Labs in Deutschland - Charakteriska der Living Labs in Deutschland: Services von Living Labs. Präsentation auf dem Syntheseworkshop „Innovationen 2.0: Welchen Nutzen haben innovative Unternehmen von Living Labs?“ am 13. Juni 2017 am Wuppertal Institut in Wuppertal. Wuppertal: Wuppertal Institut.
- Geibler, J. v., Erdmann, L., Dönitz, E., Stadler, K., Zern, R. (2018): Roadmap Living Labs für eine Green Economy 2030. Kurzfassung. Broschüre zum Arbeitspaket 7 (AP 7.4) im INNOLAB Projekt: „Living Labs in der Green Economy: Realweltliche Innovationsräume für Nutzerintegration und Nachhaltigkeit“. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI; Wuppertal und Karlsruhe. Verfügbar unter: www.innolab-livinglabs.de
- Keyson, D. V., Guerra-Santin, O., Lockton, D. (2017): Living Labs – Design and Assessment of Sustainable Living. Springer International Publishing.
- Liedtke, C.; Baedeker, C.; Hasselkuß, M.; Rohn, H.; Grinewitschus, V. (2015): User-integrated innovation in Sustainable LivingLabs: an experimental infrastructure for researching and developing sustainable product service systems. Journal of Cleaner Production 97. S. 106-16.
- Meurer, J.; Erdmann, L.; von Geibler, J.; Echternacht, L. (2015): Arbeitsdefinition und Kategorisierung von Living Labs (Siegen: Universität Siegen).
- Schuurman, D. / Tõnurist, P. (2017): Innovation in the Public Sector: Living Labs and Innovation Labs. In: McPhee, C. / Schuurman, D. / Ballon, P. / Leminen, S. (Westerlund, M. (Hg.): Innovation in Living Labs. Technology Innovation Management Review, January 2017 (Volume 7, Issue 1), S.7-14
- Schäpke, N./Stelzer, F./Caniglia, G./Bergmann, M./Wanner, M./Singer-Brodowski, M./Loorbach, D./Olsson, P./Baedeker, C./Lang, D. J. (2018): Jointly experimenting for transformation? Shaping real-world laboratories by comparing them. In: GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society, 27(1), S. 85-96.
- Ståhlbröst, A.; Holst, M. (2012): The Living Lab Methodology Handbook (Luleå: Luleå University).
- Verhoef, L.A., and Bossert, M. (2019): The university campus as living lab for sustainability – a practitioners guide and handbook. Delft/Stuttgart.
- Verhoef, L.A., Bossert, M., Newman, J. Ferraz, F., Robinson, Z.P., Agarwala, Y. Wolff III, P., Jiranek, P., Hellinga, C. (2019): Towards a learning system for University Campuses as Living Labs for sustainability. In: Universities as Living Labs for Sustainable Development: Supporting the Implementation of the Sustainable Development Goals-Volume 2. Springer 2018
- Von Geibler. J.; Greven, A. (2018): Living Labs – Innovationspotenzial für Unternehmen. Produkte praxisnah und gemeinsam mit Nutzern entwickeln. Informationsblatt für UnternehmerInnen im Arbeitspaket 8 (AP 8) des INNOLAB Projekts. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
- von Geibler, J.; Erdmann, L.; Liedtke, C.; Rohn, H.; Stabe, M.; Berner, S.; Jordan, N.D.; Leismann, K.; Schnalzer, K. (2013): Living Labs für nachhaltige Entwicklung Potenziale einer Forschungsinfrastruktur zur Nutzerintegration in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen (Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH).
LINKS
- European Network of Living Labs: www.openlivinglabs.eu
- FZI House of Living Labs: www.fzi.de/forschung/fzi-house-of-living-labs
- FISSAC Living Labs: fissacproject.eu/en/living-labs
- Future City Lab der Universität Stuttgart: www.r-n-m.net
- Living Labs in der Green Economy: www.innolab-livinglabs.de
- Übersicht über Methoden im Living Lab: www.innolab-livinglabs.de/de/ergebnisse/methoden-im-living-lab.html
- LivingLab der Fraunhofer Gesellschaft: www.inhaus.fraunhofer.de
- Projektnetzwerk zu Urban Living Labs: www.urbanlivinglabs.net
- Living Labs in Projekt PROSEU: proseu.eu/living-labs
- Reallabor 131: KIT findet Stadt: www.quartierzukunft.de/forschung/reallabor-131
- The Green Village der TU Delft: www.thegreenvillage.org
- Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit: www.reallabor-netzwerk.de
Steckbrief
- Aufwand: 1-2 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: je Workshop 0,5 bis 1,5 Tage
- Prozessdauer: 2 bis 3 Workshops über 0,25 bis 0,5 Jahre
- Anzahl Teilnehmende: 10 bis 20 Personen
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
In Nutzerinnovations-Workshops entwickeln Sie gemeinsam mit Nutzer/innen Ideen und Konzepte für neue Produkte und Dienstleistungen. Idealerweise führen Sie mehrere aufeinander aufbauende Workshops mit den gleichen Teilnehmenden durch. Auf diese Weise unterstützen Sie die Produktentwicklung über einen längeren Zeitraum, indem Sie wiederholt Anregungen, Ideen und Feedback von Nutzer/innen einbeziehen.
In Nutzerinnovations-Workshops tauschen sich Produktentwickler/innen und Nutzer/innen direkt aus. Die Nutzer/innen nehmen eine Rolle als aktive Partner bei der Entwicklung von Lösungen ein. Die gemeinsame Arbeit an Problemlösungen fördert eine konstruktive Gruppendynamik, die gegenseitige Lernprozesse anstößt und die Entwicklung innovativer Ideen begünstigt.
Wenn Sie mehrere aufeinander aufbauende Workshops durchführen, wählen Sie jeweils Zeitpunkte, zu denen der Input von Nutzer/innen Sie in Ihrem Entwicklungsprozess voranbringt. Dies kann beispielsweise bei der Ideenentwicklung, der Bewertung eines Produktkonzeptes oder bei der Entwicklung von Marketing- und Vertriebsstrategien sein. An den Workshops sollten jeweils auf Unternehmens- und Nutzerseite die gleichen Personen teilnehmen. Dadurch lassen sich längerfristige Lernprozesse anstoßen. Außerdem erreichen Sie so eine steigende Arbeitsfähigkeit der Gruppe und damit hochwertigere Ergebnisse.
Auf Unternehmensseite bietet es sich an, Mitarbeiter/innen aus den Bereichen Forschung und Entwicklung, Umwelt und Nachhaltigkeit, Marketing und Vertrieb sowie Management ins Verfahren einzubinden. So erreichen Sie, dass die Workshop-Ergebnisse in eine bereichsübergreifende Produktentwicklung einfließen.
Anwendungsbereich
Nutzerinnovations-Workshops können Sie in verschiedenen Phasen des Innovationsprozesses einsetzen. Ideal ist die Begleitung eines Innovationsprozesses mit drei Workshops. Die Workshops dienen dann der Ideenentwicklung, der Ideenauswahl und der Ideenspezifikation in der Phase der Realisierung.
Nutzerinnovations-Workshops eignen sich für Unternehmen aller Größenklassen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die aufgrund finanzieller Engpässe nicht auf systematische Methoden zur Ermittlung von Nutzerwünschen zurückgreifen können, profitieren von diesem Partizipationsverfahren.
Ablauf
In Nutzerinnovations-Workshops kommen verschiedene Moderations- und Kreativitätstechniken zum Einsatz. Bei den Workshops sollten Sie zwischen Arbeitsphasen im Plenum und in Kleingruppen wechseln. So können Sie eine größere Vielfalt an Ideen entwickeln und aufgreifen. Zu Beginn des ersten Workshops sollten Sie in das Thema einstimmen und das Produktkonzept oder das Problem, für das Sie Produkt- und Dienstleistungsideen suchen, veranschaulichen.
In Themenfeldern wie der Energiewende, in denen das Innovationsumfeld stark im Wandel ist, sollten Sie zu Beginn mit Methoden arbeiten, die die Nutzer/innen auf die Zukunft und auf mögliche Veränderungen vorbereiten. Anschließend nutzen Sie Kreativitätstechniken, um die partizipative Entwicklung von Ideen anzuregen. Diese Ideen sollten die Teilnehmenden gemeinsam bewerten, die besonders interessanten weiter konkretisieren und dann gemeinsam ausarbeiten.
Wenn Sie mehrere aufeinander aufbauende Workshops durchführen, präsentieren Sie im jeweils folgenden Workshop zunächst die Verfeinerung oder Ausarbeitung der Idee(n) und arbeiten daran gemeinsam mit den Nutzer/innen weiter. So kommen Sie im Verlauf der Workshops zu abgestimmten Produktdesigns.
Wie das zweite Anwendungsbeispiel zeigt, können Sie Nutzerinnovations-Workshops auch mit Testphasen kombinieren. In diesen können die Nutzer/innen Prototypen der Neuentwicklung im Alltag testen und anschließend konkrete Nutzungserfahrungen in die folgenden Veranstaltungen einbringen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung von Nutzerinnovations-Workshops an:
- Erstellung eines Moderationsplans mit Diskussionsfragen
- Rekrutierung des Moderators/der Moderatorin
- Identifikation und Einladung von Teilnehmenden
- Organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen etc.)
- Durchführung des Workshops
- Dokumentation und Auswertung
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung eines Nutzerinnovations-Workshops zum Einsatz:
- Moderationsmaterialien (Flipchartblätter, Stifte, Moderationswände)
- Laptop, Beamer, Fotoapparat
Expertise
Nutzer/innen einzubeziehen erfordert zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Konfliktfähigkeit und Urteilsvermögen. Dies fordert besonders das Moderationsteam heraus. Die Moderation muss dafür Sorge tragen, dass zwischen den Unternehmensvertreter/innen und Nutzer/innen ein enger Austausch erfolgt und eine gleichberechtige Kommunikationssituation entsteht.
Beachten
- Innovationsgegenstand
Fokussieren Sie das Thema so, dass es für die Nutzer/innen alltagsrelevant und leicht verständlich ist. Die Komplexität des Innovationsgegenstandes sollten Sie so weit wie möglich reduzieren. Die Workshops selbst sollten Sie auf klar begrenzte Aspekte einer Innovation beschränken. Wichtig ist dabei, dass Sie diese Aspekte für die Nutzer/innen praxisnah und allgemeinverständlich aufbereiten. - Rolle des Unternehmens
In den Innovationsworkshops können die Mitarbeiter/innen Ihres Unternehmens unterschiedliche Rollen einnehmen. In der Phase der Ideenentwicklung sollten sie eher passiv und beobachtend sein und der Kreativität der Nutzer/innen weitgehend freien Lauf lassen. Eine beratende Rolle kommt ihnen bei der Konkretisierung und Weiterentwicklung der Innovationsideen zu. Ihr Wissen ist hier entscheidend, um eine umsetzbare Produktgestaltung zu ermöglichen. Aktiv teilnehmen sollten Ihre Mitarbeiter/innen bei der Bewertung von Produktideen und der Entwicklung von Vermarktungsstrategien. - Kontinuierliche Teilnahme
Schaffen Sie Anreize, damit Nutzer/innen und Ihre Mitarbeiter/innen wiederholt an den Workshops teilnehmen. Den Nutzer/innen können Sie zu diesem Zweck beispielsweise Aufwandsentschädigungen oder die Möglichkeit anbieten, Ihre Produkte zu testen. - Feedback an die Nutzer/innen
Für die Motivation der Nutzer/innen ist es wichtig, dass Sie ihnen zu Beginn ihre Rolle und möglichen Beiträge verdeutlichen. Zudem sollten Sie in Folgeworkshops darstellen, ob und wie Sie Anregungen und Ideen von Nutzer/innen aufgegriffen haben. Nach Abschluss der Workshop-Reihe sollten Sie die Teilnehmenden über die Folgen des Prozesses informieren. Sie können sie beispielsweise über den Abschluss des Innovationsprojektes sowie gegebenenfalls die Markteinführung in Kenntnis setzen.
Beispiele
Beispiel 1: Nutzerinnovations-Workshop zu Elektromobilität bei Entega
Das Energieversorgungsunternehmen Entega arbeitet daran, stationäre und mobile Speicher in das Stromnetz einzubinden. Bei den mobilen Speichern handelt es sich um Elektroautos, und Entega sucht nach Wegen, deren Fahrer/innen für Anpassungen ihres Ladeverhaltens an die Erfordernisse des Stromnetzes zu gewinnen. Ein solches netzdienliches Verhalten kann zum Beispiel darin bestehen, bei einem Überangebot an Windstrom die Autobatterien zu laden. Im Rahmen des Forschungsprojektes InnoSmart fanden bei Entega zwei aufeinander aufbauende Workshops mit einer Gruppe von sieben bzw. neun Nutzer/innen statt. Hierbei nahm ein Teil der Nutzer/innen an beiden Workshops teil, andere nur an jeweils einem. Von Seiten des Unternehmens war eine Person aus der Forschungsabteilung beteiligt. Der erste Workshop dauerte gut drei, der zweite gut vier Stunden.
Im ersten Workshop ging es um die Anforderungen der Nutzer/innen und um die Frage, unter welchen Bedingungen diese ein Elektroauto so auf- und entladen können, dass es netzdienlich ist. Zudem bewerteten die Teilnehmer/innen eine von Entega entwickelte Ampel, die anzeigt, wann das Laden aus Netzsicht sinnvoll ist, und erarbeiteten verschiedene Ideen zur Weiterentwicklung der Ampel. Unter anderem kam die Idee auf, eine App zu entwickeln, mit deren Hilfe Nutzer/innen das Laden automatisch an Grünphasen anpassen können. Nach dem Workshop realisierte Entega die App gemeinsam mit Partnern im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts. Anschließend konnten die Workshop-Teilnehmer/innen die Lade-App in einer einwöchigen Testphase ausprobieren. Dafür standen ihnen Elektroautos zur Verfügung.
Im zweiten Workshop, der im Abstand von neun Monaten stattfand, werteten die Teilnehmer/innen die Erfahrungen mit der App aus, evaluierten sie mit Hilfe von Leistungsindikatoren und erarbeiteten Ideen zu ihrer Weiterentwicklung. Zusätzlich entwickelten die Nutzer/innen mit Hilfe der Analogietechnik Ideen für Dienstleistungen rund um mobile und stationäre Speicher. Die Ergebnisse des Workshops flossen sowohl in die weitere Verbesserung der App als auch in andere Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu mobilen und stationären Energiespeichern ein.
Das Beispiel zeigt, dass die Verknüpfung von Workshops mit einer Testphase vorteilhaft ist. Die Nutzer/innen gewinnen so einen detaillierten Einblick in die Alltagstauglichkeit der Innovation und können sie auf dieser Basis reflektiert und kritisch bewerten. Zudem handelte es sich in diesem Beispiel um Nutzer/innen, die bereits an anderen Forschungsvorhaben oder Modellversuchen von Entega teilgenommen und darüber eine enge Bindung an das Unternehmen entwickelt hatten.
Beispiel 2: Nutzerinnovations-Workshops nach den INNOCOPE-Verfahren
INNOCOPE steht für “INNOvation through COnsumer-integrated Product dEvelopment”. Das vom IÖW gemeinsam mit der Universität Oldenburg entwickelte INNOCOPE-Verfahren ist eine Serie von drei Workshops, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Produktentwicklung (Ideenentwicklung, Ideenauswahl, Realisierung) stattfinden.
Gemeinsam mit dem Berliner Fahrradunternehmen HAWK Bikes setzten die Forscher/innen diese Methode bei der Entwicklung eines Pedelecs ein. Hierfür konnten sie mit Hilfe eines Marktforschungsinstituts, das die Rekrutierung nach festgelegten Kriterien (Mischung hinsichtlich Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Berufstätigkeit; Hälfte mit/ohne Kinder im Haushalt; Hälfte umweltbewusst; unterschiedliches Radfahrverhalten (alle können Radfahren, ein Drittel fährt kein Rad, ein Drittel fährt wenig, ein Drittel viel; keine Radsportler/innen) übernahm, eine Gruppe von 20 Nutzer/innen gewinnen, die innerhalb eines halben Jahres an drei Workshops teilnahmen (15 davon waren bei allen drei Workshops anwesend). Die Nutzer/innen erhielten eine Aufwandsentschädigung von 300 Euro für die Teilnahme an allen drei Workshops und drei zusätzlichen Interviews.
Aus dem Unternehmen nahmen der Geschäftsführer, ein Designer und der Produktmanager an den Workshops teil. Der erste Workshop konzentrierte sich auf die Entwicklung von Ideen, die am Ende des Workshops mit gemeinsam erarbeiteten Kriterien bewertet wurden. Ausgewählte Produktideen verfeinerten die Teilnehmer/innen im zweiten Workshop. Hierbei kamen verschiedene Methoden zum Einsatz: durch Storytelling wurden die Anforderungen an Pedelecs ausdifferenziert und in einer Mindmap strukturiert. Durch Zeichnungen an vorgefertigten Designvorlagen wurden Produktanforderungen und –merkmale visualisiert.
Zudem wurde in diesem Workshop diskutiert, für welche Alltagswege die teilnehmenden ein Pedelec nutzen würden und mit Hilfe eines Ökobilanztools wurden die Klimawirkungen von mit Pedelecs zurückgelegten Wegen mit anderen Verkehrsmitteln verglichen. Im dritten Workshop stellte das Unternehmen einen Prototypen zur Diskussion, den die Teilnehmenden mit Hilfe der 6-Hüte-Technik bewerteten. Anschließend entwickelten die Teilnehmenden gemeinsam Vermarktungsstrategien. Zwischen und nach den Workshops arbeitete das Unternehmen mit den entwickelten Ideen weiter.
Das Vorgehen und das Beispiel sind in einem Leitfaden ausführlich dargestellt.
Literatur und Links
- Arnold, M. (2011): Ideenwettbewerbe als Methode offener Innovationsprozesse. In: Belz, F., Schrader U., Arnold, M.: Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration, S. 39-49.
- Arnold, M.; Siebenhüner, B.; Hoffmann, E. (2007): INNOCOPE - ein partizipatives Produktentwicklungsverfahren: Konzept, Erprobung und Reflexion. In: Hoffmann, E.; Siebenhüner, B.; Beschorner, T. et al. (Hrsg., 2007): Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit. Marburg: Metropolis; S. 247-272.
- Forschungsgruppe GELENA (2007): Leitfaden Innocope, www.gelena.uni-oldenburg.de/download/Leitfaden_final.pdf
- Hoffmann, E. (2012): User Integration in Sustainable Product Development. Organisational Learning trough boundary-spanning processes. Sheffield, UK.
- Pobisch, J., Eckert, S., Kustermann, W. (2007): Konsumentenintegration in Nachhaltigkeits?Innovationen – ein Beitrag zur unternehmerischen Verbraucherbildung? Consumer Science, Diskussionsbeitrag Nr. 12, München: TU München,
- Schrader, U.; Belz, F.-M. (2011): Nutzerintegration in Nachhaltigkeitsinnovationen: Ein- und Ausblicke. In: Belz, F.; Schrader U.; Arnold, M.: Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration; S. 331-346.
- Schrader, U.; Belz, F.-M (2011): Mit Nutzerintegration zu Nachhaltigkeitsinnovationen. In: Defila et al: Wesen und Wege nachhaltigen Konsums. Ergebnisse aus dem Themenschwerpunkt “ Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsums“. München: oekom; S. 363-380.
TEMPLATE
Hier finden Sie ein Template zur Durchführung der Methode. Bitte ersetzen Sie die rot markierten Stellen durch eigene Angaben.
Steckbrief
- Aufwand: abhängig von der Dauer und Komplexität der Community
- Veranstaltungsdauer: von mehrtägigen Sprints bis zu mehreren Wochen
- Prozessdauer: bei einer 2-wöchigen (mittelfristigen) Onlinepräsenz ca. 3 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: zwischen 20 und 400 Personen
- Integration: Beforschung bis Konsultation
Moderierte Online Research Communities (ORC) sind Plattformen, die Unternehmen vielfältige Möglichkeiten bieten, um gemeinsam mit Nutzer/innen an Fragestellungen der innovativen Produkt- und Dienstleitungsentwicklung zu arbeiten. Ihr Vorteil ist es, dass sie tiefe Einblicke in die reale Lebenswelt der Nutzer/innen und zu ihren Einstellungen ermöglichen. Aufgrund der Durchführung im digitalen Raum können unabhängig von Ort und Zeit eine große Anzahl von Nutzer/innen mit einbezogen werden.
Für die Methode existieren verschiedene Bezeichnungen, wobei die Begriffe Online Research Community (ORC), Online-Innovations-Community, Insight Community, temporäre Studien Community und Market Research Online Community (MROC) am häufigsten verwendet werden.
Im Zuge der Energie- und Verkehrswende müssen viele neue Technologien und Dienstleistungen entwickelt werden, welche zum Teil direkten Einfluss auf das Alltagsleben von Nutzer/innen haben. Aus diesem Grunde ist es wichtig, Nutzer/innen bei der Entwicklung dieser Technologien frühzeitig mit einzubinden. Im Rahmen einer ORC können Sie über den direkten Austausch lernen, welche Anforderungen und Bedürfnisse potenzielle Nutzer/innengruppen haben und von welchen Produkten und Dienstleistungen sie sich angesprochen fühlen. Gerade durch ORC können Nutzer/innen örtlich ungebunden beforscht oder konsultiert werden – sie bieten einen geschützten Raum, in dem persönliche Meinungen und Einstellungen abgefragt werden können, haben aber auch den Nachteil, dass keine spontanen, nonverbalen Reaktionen zu beobachten sind.
Die Aufgaben und Ziele einer ORC sind vielfältig – meistens dient die Methode der Beantwortung einer konkreten Fragestellung und wird dieser entsprechend ausgerichtet und moderiert. Anders als beispielweise in sozialen Netzwerken, in denen die Mitglieder selbst entscheiden, wie öffentlich oder anonym sie agieren möchten, können Sie bei einer ORC bestimmen, in welcher Form die Mitglieder interagieren können und zu welchen Themen ihre Meinungen gefragt sind. Gerade durch diese aktive Steuerung des Kommunikationsgeschehens durch eine Moderation unterscheiden sich ORCs von anderen Online-Communities.
Im Rahmen von ORC kommen verschiedene Formate zum Einsatz, die beliebig kombiniert werden können: die Mitglieder der ORC können aufgefordert werden in Foren einzelne Aspekte im Rahmen der Innovationsentwicklung zu diskutieren, individuelle Online-Tagebücher (Blogs) über ihr Nutzungsverhalten von Prototypen zu führen, an gezielten Online-Diskussionen (ähnlich wie Fokusgruppen) zu spezifischen Themen teilzunehmen sowie Fragebogen- und Kreativaufgaben zu lösen.
Die Zielgruppe der ORC hängt von der Zielsetzung ab. Sollen beispielsweise die Perspektiven von Jugendlichen zu einer bestimmten Produkt- oder Dienstleistungsinnovation erfasst werden, sollten dementsprechend junge Menschen zwischen 14 und 25 rekrutiert werden. Zielt die ORC darauf ab, mit einer bestimmten technologischen Innovation verbundene Bedürfnisse von (potenziellen) Nutzer/innen zu ermitteln, so bietet es sich an, einen entsprechenden Personenkreis zu rekrutieren.
Besonders wichtig für den Erfolg einer ORC ist es, dass die Teilnehmenden sich mit dem Thema der Community identifizieren und sich gerne mit anderen zu diesem Thema austauschen möchten. So zeigt die Praxis, dass nicht nur Internet-affine Zielgruppen, sondern auch Teilnehmer/innen aus den weniger digital erprobten Generationen für ORC zu gewinnen sind. Grundsätzlich sollten Sie aber darauf achten, dass die Benutzeroberfläche keine technischen Hürden aufbaut und die Plattform möglichst einfach und selbsterklärend zu bedienen ist.
Abbildung: Beispiel einer Online Research Community; Quelle: Screenshot der ORC im Projekt „Zukunft? Jugend fragen!“
Der gesamte Kommunikationsprozess innerhalb einer ORC wird aufgezeichnet und wird anschließend analysiert und ausgewertet. Bei der Datenanalyse können je nach eingesetzter Messmethode unterschiedliche quantitative und qualitative Techniken zum Einsatz kommen: sei es die Auswertung durch statistische Verfahren, qualitative Inhaltsanalysen, semantische Netzwerkanalysen oder Netnographien (Anwendung von Methoden der Ethnografie auf Communitys im Internet).
Dabei werden drei Betrachtungsebenen (Makro, Meso- und Mikro-Ebene) unterschieden, wofür jeweils unterschiedliche Daten benötigt werden:
- Auf der Makro-Ebene werden die grundlegendsten Eigenschaften der ORC erfasst. Die hier erhobenen Daten umfassen Kennzahlen wie Mitgliederanzahl, Geschlechterverhältnisse und Durchschnittsalter der Teilnehmenden sowie deren Produktivität und (durchschnittliche) Verweildauer auf der Plattform.
- Auf der Meso-Ebene werden die Kommunikation und das Nutzungsverhalten der Teilnehmenden sowie die von ihnen geteilten Inhalte untersucht z.B. über Drop-Out-Analysen oder qualitative Inhaltsanalysen von Diskussions-Threads.
- Auf der Mikro-Ebene werden schließlich einzelne Community-Mitglieder oder Beiträge analysiert z.B. wie viele Beiträge sie verfasst haben, wie lange sie auf der Plattform online waren, wie sehr sie sich vernetzt haben und welche soziodemografischen Merkmale sie besitzen. Einzelne Beiträge können wiederum bezüglich ihrer Follow-Ups, ihrer Länge und ihrer Lesbarkeit untersucht werden.
Die Ergebnisse der meisten ORCs haben nicht den Anspruch, bevölkerungsrepräsentativ zu sein. Sie können jedoch repräsentativ für bestimmte Zielgruppen sein.
Anwendungsbereich
Als Unternehmen können Sie durch eine Community wertvolle Einblicke in die Lebenswirklichkeit ihrer Nutzer/innen, ihre potenziellen Nutzungsmotive für ein neues Produkt oder ihre Einstellungen zu einer Dienstleistungsinnovation gewinnen.
Unternehmen können ORCs also nutzen, um gemeinsam mit Nutzer/innen innovative Produkt- oder Dienstleistungsideen zu entwickeln. Auch bereits entwickelte Innovationen und Prototypen können Sie in einer ORC bewerten lassen und sich diesbezüglich das Feedback von Nutzer/innen einholen. ORC ermöglichen also eine Beteiligung von Nutzer/innen in Form von Beforschung bis hin zur Konsultation.
Ablauf
Im Rahmen von ORC können verschiedene Abläufe umgesetzt und unterschiedliche Formate modular miteinander kombiniert werden. Es gibt also keinen typischen Ablauf, er sollte aber auf die Fragestellung und Ziele Ihres Vorhabens angepasst sein. Idealerweise sollte ein möglichst abwechslungsreicher Methoden-Mix entstehen. Diskussionen in Foren, individuelle Online-Tagebücher (Blogs), Online-Diskussionen sowie Fragebogen- und Kreativaufgaben sind Formate, die besonders geeignet sind.
Durch gezieltes Fragen in Foren können Sie anhand ausführlicher, reflektierter Antworten vertiefende Einblicke erhalten. Ergänzend zu schriftlichen Beiträgen können auch Bild-, Video- oder Audiomaterial zugelassen werden. Die Diskussion kann über einen längeren Zeitraum stattfinden, sodass nicht alle Teilnehmenden gleichzeitig online sein müssen (asynchrone Diskussion).
In Online-Tagebüchern (Blogs) ermöglichen Sie es den Teilnehmenden ihre persönliche Wahrnehmung und ihre Erlebnisse bei der Nutzung eines Produkts oder Prototyps zu beschreiben und mit Fotos, Videos oder Audioaufnahmen zu dokumentieren. Die Methode eignet sich also besonders für Produkttests vor der Markteinführung. Blogs sind besonders wertvoll, da eine fundierte Interpretation der Einträge möglich ist.
Eine Online-Diskussion (oder Online-Fokusgruppe) ist ein Format, in dem 6-10 Teilnehmende synchron über ein Thema diskutieren. Da die Teilnehmenden zahlreiche Beiträge parallel verfolgen müssen, ist eine Online-Diskussion für sie sehr anspruchsvoll. Aus diesem Grund sollte sie nicht länger als 1,5 Stunden dauern und eher zum Ende einer ORC eingesetzt werden, wenn die Teilnehmenden mit den Funktionen bereits vertraut sind. Es bietet sich an, Online-Diskussionen von einem Team mit zwei oder mehr Moderator/innen durchzuführen. Wie bei einer analogen Fokusgruppe führt und strukturiert die Moderation die Diskussion und blendet zu den passenden Zeitpunkten vorbereitete Textbausteine, Präsentationen oder Grafiken ein.
Fragebogen- oder Kreativaufgaben sind abwechslungsreiche Methoden und gelten in ORCs als Stimuli. Unabhängig von der Aufgabe sollten Sie den Teilnehmenden ein bis drei Tage Bearbeitungszeit geben. Beim Lösen von Aufgaben setzen sich die Teilnehmenden tiefer mit dem Thema der ORC auseinander. Dabei sind die Antworten meistens nur für die Moderator/innen sichtbar. Zudem können Sie in einem „Call for Action“ die Teilnehmenden auffordern, bspw. eine collagenartige Seite zu ihren Produktvorlieben zu gestalten oder ein vorgefertigtes Template zur Bewertung einer Dienstleistung auszufüllen. Eine weitere Kreativaufgabe, die gleichzeitig als Stimuli gilt, ist der Ideenwettbewerb, bei dem unter den besten Ideen auch ein Gewinn vergeben wird.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer Online Research Community an:
- Forschungsplan entwickeln: Themen, Leitfaden inkl. Zeitplan und Form der Stimuli festlegen
- Definition der Teilnehmenden und ihrer Auswahlmerkmale
- Vorbereitung der Datenerhebung
- Auswahl einer passenden technischen Softwarelösung
- Rekrutierung des Moderationsteams
- Testen der Demo-Version des Tools
- Rekrutierung der Teilnehmenden
- Zugangsdaten verschicken (mindesten drei Tage vor Start der ORC)
- Ggf. Abstimmung über grundlegende Verhaltensweisen mit den Teilnehmenden
- Aufzeichnung und Analyse der gesammelten Daten
Expertise
- Online-Moderation: Grundsätzliches Ziel ist es, eine konstruktive Gesprächsführung und angenehme Atmosphäre in der Community herzustellen. Die gelingt, indem Sie die Diskussionen aktiv steuern, zurückhaltende Teilnehmer/innen auffordern sich zu beteiligen, durch gezieltes Nachfragen Inhalte vertiefen, bei missverständlichen Beiträgen um Ausführung bitten, Themen bündeln und einordnen. Hilfreich ist es, die Teilnehmenden mit unterhaltsamen und spannenden Fragen anzusprechen und „Präsenz“ zu zeigen, indem Sie auf die Beiträge eingehen und reagieren. Die Moderation kann meinungsstarke Teilnehmer/innen bitten, sich zurückzuhalten. Gerade bei synchronen Formaten bietet es sich an mehrere Moderator/innen einzusetzen.
- Social Media Kompetenzen & Netiquette: Für die Online-Moderation sollte Sie mit der Technik, mit Social Media sowie der Online-Arbeit vertraut sein. Legen Sie zudem eine Netiquette fest bspw., dass Beiträge aus vollständigen Sätzen bestehen müssen. Unfreundlichkeiten, Pöbeleien und Beleidigungen sollten geahndet werden und im Zweifelsfall zum Ausschluss aus der Community führen. Diese Regeln sollten transparent an alle Teilnehmenden kommuniziert werden.
- Datenauswertung: Für die Datenauswertung ist ausgewiesene quantitative und qualitative methodische Expertise erforderlich. Hierfür können Sie gegebenenfalls entsprechende Expert/innen beauftragen. Zum Teil bieten auch Marktforschungsinstitute entsprechende Dienstleistungen zu ihren ORC-Angeboten an.
Beachten
- Datenerhebung
Legen Sie vorab fest, wie breit und tief Sie die ORC auswerten möchten. Denn davon hängt es ab, welche Daten überhaupt erhoben werden müssen. Schließlich sollten Sie geeignete quantitative und qualitative Auswertungsmethoden und -werkzeuge auswählen. - Auswahl der Softwarelösung
Da für ORCs das Betreiben einer entsprechende Software-Plattform notwendig ist, die komplexe Funktionen und Interaktionsformen ermöglichen soll, bietet es sich an dafür Angebote von entsprechenden Dienstleistern einzuholen. Sie sollten die Softwarelösung dann je nach den von Ihnen benötigten Funktionen wie Foren, Blogs für Online-Tagebücher, Uploads von Videos und Bildern, Like & Dislike Funktionen und Umfragen auswählen. Achten Sie bei der Auswahl auch darauf, welche Daten erhoben werden sollen und ob die Softwarelösung entsprechende Möglichkeiten bietet. - Rekrutierung
Da es sich als besonders wichtig herausgestellt hat, dass die Teilnehmenden eine hohe Identifikation mit dem Thema der ORC aufweisen, bietet es sich möglicherweise an, die Teilnehmenden über alternative Rekrutierungswege wie Unternehmensdatenbanken sowie soziale Netzwerke zu rekrutieren. Auch können Website-Besucher/innen des Unternehmens angefragt werden. Eine weitere Option ist es, die Rekrutierung von einem Marktforschungsinstitut durchführen zu lassen. Überlegen Sie zuvor, ob Sie möchten, dass die Teilnehmenden wissen, für welches Unternehmen oder zu welchem Thema die Studie durchgeführt wird, um Verzerrungen in der ORC bspw. durch soziale Erwünschtheit zu vermeiden. - Incentivierung
Um zur Teilnahme an einer ORC zu motivieren, sollten Sie den Community-Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung zahlen, die je nach Vorbereitungs- und Community-Dauer zwischen 50 und 150 Euro liegen kann. Weitere unterstützende Anreize können auch ein Ideenwettbewerb oder die Verlosung eines Gewinns/Preises sein, die im Rahmen der ORC stattfinden. - Stimuli
Um neue Themen oder Fragen einzuleiten, überlegen Sie sich Stimuli. Dies kann ein Video, ein Foto, eine Präsentation oder auch ein „Call for Action“ sein, in dem die Mitglieder der Community mit Aufgaben zum Mitwirken und Interagieren aufgerufen werden. - Zeitplanung
Menschen können nur in ihrer frei verfügbaren Zeit an einer ORC teilnehmen, also vor allem früh morgens, mittags, nach Feierabend und am Wochenende. Planen Sie daher als Moderationsteam ausreichend Kapazitäten zu den Stoßzeiten ein. - Community-Regeln
Unter Community-Regeln sind all jene Aspekte zu verstehen, die das digitale Miteinander bestimmen und meist unter den Begriffen Netiquette oder Chatiquette zusammengefasst werden. Folgende Regeln haben sich in ORCs bewährt:- Emoticons verwenden: Sie ergänzen das geschriebene Wort um Kontextinformationen wie Mimik, Gestik und Tonfall eines Beitrags.
- „Ruhe bitte"-Signal festlegen: Dies kann entweder technisch über ein Handzeichensignal oder in schriftliche Form z.B. über drei Ausrufezeichen realisiert werden.
- Klarnamen (keine Fantasienamen) nutzen und bei diesen bleiben: So können Sie die Teilnehmenden immer klar zuordnen und erleichtern die Gruppenkoordination.
- Multi-Threading vermeiden: Thematisch ähnliche Fragen sollten Sie in Foren bündeln. Auch sollten nicht zu viele Fragen und Themen gleichzeitig diskutiert werden, um die Teilnehmenden nicht zu überfordern. Stellen Sie lieber eine Frage nach dem anderen und weisen Sie als Moderation daraufhin, in welchem Format (Forum, Chat, etc.) ein bestimmtes Thema behandelt wird.
- Vorbereitung von Einträgen: Die Community-Mitglieder können über „Calls for Action“ dazu aufgefordert werden Einträge im Vorfeld vorzubereiten und dann zu einem bestimmten von der Moderation vergebenen Zeitpunkt hochzuladen. Dies bietet sich vor allem bei synchronen Kommunikationsformen an (z.B. bei Chats).
- Referenzierungen verwenden: Um einen inhaltlichen Zusammenhang herzustellen, ist es hilfreich, Personen mit Namen anzusprechen oder sich auf einen bestimmten Eintrag zu beziehen, indem dieser kopiert bzw. zitiert wird.
- Schreibweise: Legen Sie fest, dass Beiträge aus vollständigen Sätzen bestehen sowie Groß- und Kleinschreibung beachtet werden sollen.
- Sanktionierung: Beleidigungen und Verleumdungen oder ähnliche Verstöße sollten Sie sanktionieren und ein klares und transparentes Verfahren für Ausschlüsse aus der Community festlegen.
- Datenanalyse
Warten Sie mit der Auswertung der gesammelten Daten nicht erst bis zum Ende der Community-Laufzeit. Da permanent Daten anfallen, lohnt es sich die anfallenden Informationen täglich auszuwerten bzw. kurze Notizen zu erstellen. So können Sie auch Entwicklungen bei den Teilnehmenden über die Zeit festhalten.
Beispiele
Beispiel 1: Online Research Community zur Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen
Das Forschungsprojekt „Community-basierte Dienstleistungsinnovation für e-Mobility“ (CODIFeY) widmete sich der Frage, wie potenzielle E-Mobilitätsnutzer/innen zu tatsächlichen Nutzer/innen gemacht werden könnten. Dafür wurden im Rahmen des Projekts die Online Research Community eMobilisten entwickelt, die sowohl der Dienstleistungsinnovation auf Seiten der Forscher/innen als auch dem Wissensaufbau auf Seiten der Teilnehmenden diente. Die ORC wurde von einem Forschungsteam von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg, der Technischen Universität Chemnitz und der Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (Fraunhofer IIS) betreut und begleitet.
Um ganzheitliche und integrierte Produkt-Dienstleistungs-Bündel im Bereich der E-Mobilität zu entwickeln, wurde in der ORC gemeinsam mit den Community-Mitgliedern Ideen generiert und Konzepte evaluiert. Die Mitglieder wurden durch sogenannte „Calls for Action“ über die Plattform aufgerufen, ihre Ideen und Meinungen zu verschiedenen Themen der E-Mobilität mit der Community zu teilen sowie verschiedene Dienstleistungskonzepte zu diskutieren. So wurden beispielsweise zu den Themen „Was macht E-Mobilität wirklich umweltfreundlich?“ und „Ein zweites Leben für E-Autobatterien“ Ideen gesammelt.
Insgesamt gab es während der Projektlaufzeit 13 solcher Ideenaufrufe, auf die die Community-Mitglieder mit insgesamt 724 Beiträgen in Form von Kommentaren reagierten. Außerdem konnten die Mitglieder Beiträge bewerten und an Befragungen teilnehmen. Die Beiträge der Mitglieder wurden für die Entwicklung und Erprobung unterschiedlicher Dienstleistungen im Bereich der e-Mobilität verwendet. Die ORC eMobilisten hatte im Projektzeitraum mehr als 400 aktive Mitglieder.
Insgesamt wurden im Projekt CODIFeY sieben Dienstleistungsprototypen zu unterschiedlichen Aspekten der E-Mobilität entwickelt. Diese sind als Bausteine einer E-Mobilisierungsstrategie anzusehen, um aus Interessent/innen überzeugte Nutzer/innen von E-Mobilitäts-Angeboten zu machen. Sie zielten auf unterschiedliche Facetten der Aktivierung ab: der Wissensvermittlung, der Auswahl eines Fahrzeugs, dessen Nutzung und Ladung sowie Recycling. Unter den Prototypen befand sich beispielsweise der unabhängige und web-basierte Kaufberater „Smart-e-Choice“, mithilfe dessen interessierte Käufer/innen Marktangebote vergleichen können. Die Dienstleistungsprototypen wurden nach Abschluss der Entwicklungsphase in einem Innovationslabor einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und konnten dort ausprobiert, evaluiert und weiterentwickelt werden.
Beispiel 2: Online Research Community in der Jugendforschung
Im Projekt „Zukunft? Jugend fragen!“, gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), wurde erforscht, was Umwelt- und Naturschutz sowie eine nachhaltige Stadtentwicklung für Jugendliche und junge Erwachsene bedeuten. Um zu verstehen, wie junge Menschen zu diesen Themen stehen, was sie in dieser Hinsicht bewegt, was sie denken und fühlen, wurde im Rahmen des Projektes unter anderem eine ORC durchgeführt. Sie war ein Baustein eines Methoden-Mixes, den das Forschungsteam vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, der holzhauerei, Muliplicities und sociodimensions einsetzte.
Die ORC im Mai 2017 dauerte zwei Wochen und es nahmen insgesamt 44 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 22 Jahren teil. Männliche und weibliche Teilnehmende waren zu gleichen Teilen vertreten. Um das gesamte Spektrum junger Lebenswelten zu repräsentieren, wurde bei der Rekrutierung darauf geachtet, dass junge Menschen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus, sozialen Lebenssituationen und Wertorientierungen teilnahmen. Sie wurden nach Quoten-Vorgaben von einem Marktforschungsinstitut rekrutiert.
Im Rahmen der ORC konnten die jungen Teilnehmenden ihre Meinungen zu verschiedenen Themen wie Leben in der Stadt, Nachhaltigkeit im Alltag, Umwelt im Bildungsbereich oder Erwartungen an politische Entscheiderinnen und Entscheider mitteilen und sich dazu austauschen. Dafür plante das Projektteam einen Aufgaben-Mix aus Foren, Einzelaufgaben, Diskussionen in Kleingruppen und kreativen Aufgaben. Die Teilnehmenden wurden abwechslungsreich angesprochen, um sicherzustellen, dass die Teilnehmenden eine geeignete Form finden konnten, um sich auszudrücken.
Bei einer Assoziationsaufgabe wurden die Teilnehmenden beispielsweise aufgefordert, alles zu notieren, was ihnen spontan zu den Begriffen „Natur“, „Umwelt“, „Nachhaltigkeit“, „Wirtschaftswachstum“ oder „Gerechtigkeit“ einfällt. Eine weitere Aufgabe zielte darauf ab, herauszufinden, wie Angebote im Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) beschaffen sein sollten, um das Interesse und die Akzeptanz bei jungen Menschen zu wecken. Dazu sollten die Teilnehmenden der ORC verschiedene Angebote bewerten, die ihnen in Form von Projektsteckbriefen zu fünf unterschiedlichen Bildungsformaten vorgelegt wurden.
Die Rückmeldungen zeigten, dass die ORC von den Teilnehmenden sehr positiv aufgenommen wurde. Den meisten hat es Spaß gemacht, sich zu beteiligen und sich mit den anderen auszutauschen. Auch konnten einige Teilnehmer/innen dazu angeregt werden, sich im Alltag mehr mit Nachhaltigkeitsthemen zu befassen. Somit konnte mit der ORC auch ein Lerneffekt bei den Teilnehmenden ausgelöst werden. Die Ergebnisse der ORC flossen gemeinsam mit den Ergebnissen aus den zuvor im Projekt durchgeführten Experteninterviews im Bereich der Jugendforschung und zwei Workshops mit jungen Menschen in die Erstellung des Fragebogens für eine repräsentative Befragung von jungen Menschen zu ihren Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen hinsichtlich ihrer Werte und Lebensziele, Zukunftsvorstellungen ein.
Literatur und Links
- Aust, A. et al. (2018). Gemeinsam unter Strom – Abschlussbericht des Projektes Community-basierte Dienstleistungsinnovation für e-Mobility (CODIFeY)
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU); Gossen, M.; Fünning, H.; Holzhauer, B.; Schipperges, M. (2018): Zukunft? Jugend fragen! Nachhaltigkeit, Politik, Engagement – eine Studie zu Einstellungen und Alltag junger Menschen
- Dössel, C. (2012): Status Quo “Online Research Communities”. Hürth: Smart News Fachverlag GmbH
- Eisele, J. (2011): Marktforschung 2.0 mit Market Research Online Communities (MROCs). In: Wagner U., Wiedmann KP., von der Oelsnitz D. (Hrsg.): Das Internet der Zukunft. Wiesbaden: Springer Gabler.
- Kühn, E. (2019): 14 Tipps zur Durchführung einer Research Community. Blogbeitrag. Hamburg: produktbezogen.de
- Schey, S.; Wieseke, D. (2010): Hand in Hand: Qualitative Online- und Offline-Forschung kreativ kombinieren. Berlin: Kernwert
- Schmidt, M.; Schatilow, M. (2017): Das ganz normale Leben. Online-Communitys als flexibles Tool. München: Reitmeier Input Management Services GmbH
- Scholl, G.; Fünning, H.; Holzhauer, B.; Lange, B.; Schipperges, M. (2018): Junge Perspektiven auf Umwelt- und Stadtpolitik. Prozessbericht zum Projekt „Zukunft? Jugend fragen!“. Berlin: Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
- Beckmann S.C., Langer R. (2007): Netnographie. In: Buber R., Holzmüller H.H. (Hrsg) Qualitative Marktforschung. Wiebaden: Springer Gabler.
Weiterführende Links zur Online-Moderation
- Informationen und Tipps für die Moderation von (Online-) Gruppen des „Informationsportal Hochschullehre“ der Universität Bremen
- Hinweise zu Online Moderationsregeln im „Informationsportal Hochschullehre“ der Universität Bremen
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Tipps für die Moderation von Online-Diskussionen
- Wiki zur E-Moderation des „Zentrums für multimediales Lehren und Lernen“ (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Steckbrief
- Aufwand: bis zu 4 Personenmonaten zzgl. kontinuierlicher Pflege
- Dauer: dauerhaft einsetzbar
- Anzahl der Teilnehmenden: k. A.
- Integration: Konsultation
Ein User Toolkit bietet Ihnen die Möglichkeit, Nutzer/innen als Co-Designer/innen oder Co-Kreator/innen in Innovationen einzubinden. Auf einer meist webbasierten Design- und Innovationsplattform können User mithilfe kombinierbarer Elemente und spezifischer Tools vom Hersteller angebotene Produkte den eigenen Wünschen anpassen. Zusätzlich ermöglicht es Ihnen ein Toolkit, mit geringem Aufwand wertvolle Informationen über die Präferenzen Ihrer Zielgruppe zu erfassen.
Idee der User-Toolkit-Methode ist, den oft aufwändigen Trial-and-Error Prozess in der Produktgestaltung an die Nutzer/innen abzugeben. Üblicherweise versucht der Hersteller durch Variation, Kombination und Evaluation sich mit der Lösung eines Innovationsproblems den Bedürfnissen der Nutzer/innen anzunähern. Mit User Toolkits befähigen Sie die Nutzer/innen, ihre Bedürfnisse zu konkretisieren und in eine fertige Lösung zu überführen.
Es gibt drei Typen von User Toolkits. Sie folgen alle derselben Idee, unterscheiden sich aber mit Blick auf den Lösungsspielraum, den die Nutzer/innen haben:
- Toolkits for User Innovation bieten Nutzer/innen die Möglichkeit, neuartige Produkte zu schaffen. Ziel dieses Toolkits ist es, Nutzer/innen in den kreativen Entwicklungsprozess einzubinden und Erfindungen zuzulassen, die im Verlauf auch der breiten Masse angeboten werden können. Daher sollten Sie bei diesem Toolkit so wenig Einschränkungen wie möglich machen, um nicht nur Anpassungen sondern auch tatsächliche Neuentwicklungen durch die Nutzer/innen zu ermöglichen. Dieses Toolkit bietet aufgrund der höheren Freiheiten im Gestaltungsprozess potenziell höhere Erkenntnisgewinne. Bezogen auf den Aufwand für die Programmierung und die Evaluation der Entwürfe sowie in Sachen Bedienbarkeit ist es der anspruchsvollste Toolkit-Typ.
- Toolkits for User Co-Design ermöglichen die Anpassung und Individualisierung von Produkten an spezifische Kundenwünsche. Dabei begrenzen Sie durch die Vorgabe von kombinierbaren Standardkomponenten die Gestaltungsmöglichkeiten für die Nutzer/innen. Gleichzeitig stellen Sie dadurch die Umsetzbarkeit der Kundenwünsche sicher und erleichtern die Planung des Ressourceneinsatzes. Diese Toolkits spielen daher eine zentrale Rolle in sogenannten Mass-Customization-Verfahren, bei denen Nutzer/innen Massenprodukte individualisieren können.
- Toolkits zum Ideentransfer zielen auf die Weitergabe von kreativen Lösungsvorschlägen von Nutzer/innen an die Unternehmen. Sie entsprechen weitestgehend den Methoden externen Vorschlagwesens und sind mit geringem Ressourcenaufwand gut realisierbar.
Den geeigneten Toolkit-Typ wählen Sie je nach Zielsetzung und verfügbaren Ressourcen.
Anwendungsbereich
Grundsätzlich können Sie User Toolkits in verschiedenen Phasen des Innovationsprozesses einsetzen. Die Nutzung ist dabei auch von der Art des gewählten Toolkits abhängig. Toolkits for User Innovation können Sie bereits in der Ideengenerierung anwenden. Toolkits for User Co-Design setzen Sie dagegen eher zu Beginn des Produktionsprozesses ein. Durch die mit dieser Methode entstehenden individualisierten Produkte erhalten Sie wichtige Informationen über Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Nutzer/innen. Diese können Sie in zukünftige Produktentwicklungen nutzen.
Ablauf
- 1. Schritt: Erstellung eines Anforderungskatalogs für die partizipative Gestaltungsaufgabe und Wahl eines dafür geeigneten Toolkit-Typs
- 2. Schritt: Programmierung des Toolkits; hier kann eine kontinuierliche Testung und Überprüfung der Programmierschritte notwendig sein
- 3. Schritt: Pretest des Toolkits, um nachträgliche Änderungen zu vermeiden
- 4. Schritt: kontinuierliche Pflege des Toolkits und Interaktion mit den Nutzer/innen auf der Plattform (unter anderem Beantwortung thematischer Fragen sowie Fragen zur Handhabung des Toolkits)
Expertise
Die User-Toolkit-Methode verlangt Fachwissen und Kompetenzen für die Interaktion mit den Nutzer/innen sowie für die Umsetzung des direkten Feedbacks an die Nutzer/innen zu ihren Lösungsvorschlägen. Letzteres erfordert häufig sehr aufwändige Berechnungen (zum Beispiel für die Energieeffizienz eines Passivhauses, siehe Abschnitt Anwendungsbeispiel). Als Ansprechpartner für die Nutzer/innen zu inhaltlichen Fragen, sollten Sie Personen bestimmen, die vertiefte Produktkenntnisse haben und fundiert Auskunft geben können.
Beachten
Kosten der Umsetzung
Der Aufwand zur Einrichtung und Pflege eines Toolkits for User Innovation ist besonders hoch. Besondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sollten dies beachten. Diese Toolkits sind in KMU nur bedingt einsetzbar.
Durchführung eines Pretests
Mit der Durchführung eines sorgfältigen Pretests können Sie nachträgliche, kostenwirksame Anpassungen vermeiden.
Gestaltung des Toolkits
- Trial-and-Error: Sie sollten den Nutzer/innen die Möglichkeit bieten zu experimentieren und unter verschiedenen Optionen zu wählen. Die Toolkit-Anwendung sollte die Konsequenzen dieser Aktionen durch geeignete Kenngrößen darstellen, Dadurch erhalten die Nutzer/innen ein direktes Feedback zu Erfolg und Realisierbarkeit ihrer Vorschläge. Im Anwendungsbeispiel geschah dies durch die Berechnung des Primärenergiebedarfs und der Wirtschaftlichkeit der entwickelten Passivhäuser.
- Zulässiger Lösungsraum: Der Lösungsraum eines Toolkits ist die Gesamtzahl möglicher Kombinationen, die Nutzer/innen wählen können. Den Lösungsraum definieren Sie bereits im Vorhinein. Seine Größe hängt auch vom gewählten Toolkit-Typ ab. Beim Toolkit for User Co-Design wird er zum Beispiel durch die Vorgabe einzelner Komponenten begrenzt. Dabei sollten Sie zwischen einem hohen Maß an Gestaltungsfreiheit und der damit einhergehenden Komplexität abwägen. Zu viele Optionen bei der Individualisierung des Produkts könnten für Nutzer/innen zu aufwändig sein und sich negativ auf die Beteiligung auswirken. Außerdem ist es wichtig, nur solche Kombinationen zuzulassen, die sich aus technischer und wirtschaftlicher Perspektive auch tatsächlich produzieren lassen.
- Nutzerfreundlichkeit: Die Nutzerfreundlichkeit beschreibt die durch die Nutzer/innen wahrgenommene Qualität der Interaktion mit einem Toolkit. Diese wird besonders dadurch beeinflusst, wie die Nutzer/innen die Kosten (Zeit, intellektueller Aufwand) und den Nutzen (Zufriedenheit mit der entwickelten Leistung, Spaß bei der Entwicklung) wahrnehmen. Bei der Entwicklung des Toolkits sollten Sie daher besondere Sorgfalt walten lassen. Während des gesamten Prozesses stellt es die Kommunikationsplattform zwischen Ihnen und den Nutzer/innen dar. Eine einfache, intuitive Bedienung des Toolkits ist daher entscheidend, um die Zufriedenheit und die Leistung der Nutzer/innen zu erhöhen.
- Übersetzung der Kundenlösung: Die Nutzer/innen übermitteln ihre entwickelte Lösung (und mögliche Zusatzinformationen) an Sie als Betreiber der Toolbox. Dies erfordert eine fehlerfreie Übermittlung, zum Beispiel durch eine Speicherfunktion mit der Möglichkeit, ergänzende Kommentare zu den entwickelten Lösungen zu hinterlassen.
Beispiel
Ziel des User Toolkits „Der Hausoptimierer“ war die beschleunigte Verbreitung des Passivhauskonzepts, das aufgrund seiner hohen Energieeffizienz als eine zentrale Nachhaltigkeitsinnovation gilt. Die Technische Universität Berlin entwickelte das Toolkit zusammen mit seinem Praxispartner 81fünf, einem Netzwerk aus regionalen Holzbauunternehmen, Zimmereien, Architekten und Haustechnikern. Eine glaubwürdige Informationsvermittlung, die nutzerbasierte Produktdifferenzierung sowie die Ansprache von interessierten Personen zur Teilnahme an Innovationsworkshops waren die zentralen Anforderungen an den Hausoptimierer.
Aufgrund begrenzter Ressourcen realisierten die Projektpartner ein Toolkit for User Co-Design. Dieses Toolkit begrenzt den zulässigen Lösungsraum für die Nutzer/innen, indem es die für ein Passivhaus typischen Elemente vorgibt (zum Beispiel Dämmstandards sowie Heizungs-, Lüftungs- und Solaranlagenkonzepte). Über die Angabe des Primärenergiebedarfs und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung stellte das Tool die Auswirkungen individueller Lösungsvorschläge dar. Infoboxen mit Hintergrundinformationen sollten dabei zusätzlich eine bewusste Auswahl ermöglichen.
Die Projektpartner bewarben das Toolkit über viele verschiedene Kommunikationskanäle (Pressemitteilungen, Flyer, Newsletter). In den ersten sechs Monaten wurden über 7.000 Besucher/innen auf der Plattform gezählt. Zusätzlich förderten der Austausch der Nutzer/innen untereinander und mit dem Unternehmen das Vertrauen in das Projekt sowie die Bereitschaft, eine Teilnahme weiterzuempfehlen. Eine solche Kommunikation bedarf jedoch einer kontinuierlichen Pflege. Dies bedeutete im Fall des Hausoptimierers vor allem, Fragen bezüglich der Verwendung des Toolkits und der Thematik des Passivhauses zu beantworten.
Nach den ersten sechs Monaten wurde ein Redesign des Toolkits vorgenommen, um seine Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Die vorgenommenen Änderungen basierten auf einem Usability-Test. Der Zweck des Toolkits wurde dadurch besser erläutert sowie Inhalt und Design reduziert und klarer strukturiert. Außerdem verfügte das überarbeitete User Toolkit über eine vereinfachte Navigation und Spielelemente, wie das Fassaden-Einfärben, eine Haus-Illustration und ein Quiz. Auf diese Weise ließen sich die Motivation, die Nutzerfreundlichkeit sowie der Lernzuwachs der Nutzer/innen steigern.
Literatur und Links
- Diehl, B.; Steiner, S.; Reinstadler, E. (2011): Das Toolkit – Verstehen und Gestalten von Passivhäusern. In: Belz, F.; Schrader, U.; Arnold, M. (Hrsg.) (2011): Nachhaltigkeitsinnovation durch Nutzerintegration. Marburg. S. 304-315
- Hoffmann, E. (2012): User Integration in Sustainable Product Development. Organisational Learning trough boundary-spanning processes. Sheffield, UK.
- Humphrey, s.; Laass, M.; Falk, B; Drobny, D.; Schmitt, R.(2014): EMOTIO – Design of a Toolkit Enabling User Innovation. Procedia CIRP 16. Product Services Systems and Value Creation. Proceedings of the 6th CIRP Conference on Industrial Product-Service Systems. S. 181–186.
- Reichwald, R.; Piller, F. (2009): Interaktive Wertschöpfung. Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung. 2. Vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden.
Toolbox für Unternehmen (2/3)
Nutzerorientierte Produktentwicklung, aufwändige MethodenDie frühzeitige Einbindung künftiger Nutzer und Nutzerinnen verbessert die Marktchancen von Produkten und Dienstleistungen. Indem Sie deren Wissen, Ideen und kreatives Potenzial für die Innovationsgestaltung einsetzen, stellen Sie ihr Angebot nutzerfreundlicher auf und stärken die Kundenbindung. Mit den hier präsentierten Methoden können Sie Nutzerinnen und Nutzer in allen Phasen des Innovationsprozesses einbeziehen.
Steckbrief*
- Aufwand: ca. 2-6 Personenmonate
- Materialkosten pro Team und Runde: ca. 200-300 Euro
- Raummiete: gute Räumlichkeiten tragen zum Erfolg bei – man kann Räume anmieten, die für Design-Thinking-Prozesse eingerichtet sind
- Veranstaltungsdauer: 2-5 Tage
- Prozessdauer: 1-4 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 4-6 Personen pro Team, Gesamtanzahl der Teams variabel
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
* ausgehend von einem zwei- bis fünftägigen Workshop, der alle sechs Phasen des Design Thinkings mindestens einmal durchläuft
Design Thinking ist ein strukturierter Prozess zur Entwicklung von Lösungen in interdisziplinären Teams. Ausgangspunkt dieser kreativen Entwicklungsmethode sind die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer/innen. Design Thinking regt dazu an, etablierte Denkmuster zu verlassen und „out of the box“ zu denken. Dies gelingt durch vergleichsweise schnelle Ideenentwicklungs- und Feedbackprozesse. Dosiert eingesetzter Zeitdruck fördert intuitive Entscheidungen und rasche Fortschritte im Team. Die so entwickelten Ideen werden in Form von Prototypen früh sichtbar gemacht. Markenzeichen ist das breite Angebot kreativitätsfördernder Materialien und Methoden.
Auch viele der Formate in dieser Toolbox, wie Living Labs oder Nutzerinnovations-Workshops, basieren auf dem Design-Thinking-Ansatz.
Bei Design Thinking handelt es sich um einen iterativen Prozess mit sechs aufeinander aufbauenden Phasen, die in der Regel mehrmals durchlaufen werden. Kreative und analytische Anteile wechseln sich ab, man arbeitet in möglichst heterogenen Teams von 4 bis 6 Personen zusammen. Dabei arbeitet jedes Team in der Regel an einer gesonderten Fragestellung und erhält Feedback von den anderen Teams. Die Ideen eines Design-Thinking-Prozesses werden in Form von „Prototypen“ direkt mit den Nutzer/innen getestet und auf Basis des Feedbacks entweder verworfen oder in einem weiteren Durchgang ausgearbeitet. Ein Prototyp ist noch kein ausgestaltetes Produkt, sondern kann alles sein, was eine Idee konkret und greifbar macht – von einer Papierskizze über ein Legomodell bis hin zum Rollenspiel. Daneben wird Design Thinking auch als Denkhaltung („Mindset”) verstanden, die eine besondere Kultur der Zusammenarbeit ermöglicht. Sie spiegelt sich in einem Set von Prinzipien, wie „Früh und oft scheitern“, „Wilde Ideen ermutigen“, “Visuell arbeiten”, „Die Zeit ist immer knapp“ oder „Auf den Ideen anderer aufbauen“.
Während Forschung und Entwicklung für die Energiewende oft auf technische Problemlösungen fokussieren, setzt Design Thinking konsequent bei den Bedürfnissen potenzieller Nutzer/innen an. Der Abgleich mit diesen Bedürfnissen erfolgt über zahlreiche Feedback- und Testschleifen über den gesamten Prozess hinweg. Zum Beispiel Spotify: Während im üblichen Innovationsprozess für das Bedürfnis „Musik hören“ immer bessere Tonträger wie LPs, CDs oder mp3s entwickelt wurden, hat Spotify mit seinem Musik-Streaming-Abo einschließlich Musikempfehlungen ein völlig neues Angebot geschaffen. Voraussetzung und Ausgangspunkt für diese Innovation war, die zugrundeliegenden Bedürfnisse, Ziele, Gewohnheiten und Einstellungen der Nutzer/innen umfassend zu kennen.
Der Design-Thinking-Prozess besteht aus sechs Phasen (siehe Abbildung). Diese bauen zwar aufeinander auf, jedoch ist es immer möglich, während des Prozesses zu einer vorherigen Phase zurückzuspringen. Dies ist durch die grauen Linien in untenstehender Abbildung angedeutet. In der Regel werden mehrere Test- und Entwicklungsschleifen („Iterationen“) benötigt, um aus einem ersten Prototyp eine umsetzungsreife Lösung zu entwickeln. Für jede Phase des Prozesses bieten sich verschiedene Methoden an und es gibt umfangreiche Sammlungen von Design-Thinking-Instrumenten und ‑Templates (siehe Links und Literatur).
Problemraum
Verstehen, Beobachten, Sichtweise definieren – diese ersten drei Phasen bilden den Problemraum, in dem die Teams ein geschärftes Problemverständnis aus Sicht der (künftigen) Nutzer/innen entwickeln. Über Befragungen, Recherchen und Beobachtungen identifizieren die Teams konkrete Bedürfnisse und fassen die Erkenntnisse zu Zielgruppe, Problem und angestrebtem Mehrwert der Lösung in einer sogenannten WKW-Frage („Wie können wir“) mit folgender Struktur zusammen: „Wie können wir Person x helfen, y zu tun, sodass z?“. Weiterhin notiert sich das Team, welche Annahmen an diese Frage geknüpft sind.
Lösungsraum
Im folgenden Lösungsraum – Ideen entwickeln, Prototypen entwickeln, Testen – findet das Team mithilfe verschiedener Kreativitätstechniken zunächst möglichst viele Antworten auf die WKW-Frage, aus denen es besonders vielversprechende Optionen auswählt. Diese werden mithilfe verschiedenster Materialien wie buntem Papier, Karton, Legosteine, Perlen, Holz, etc. zu einfachen Prototypen weiterentwickelt. Die Ideen werden greifbar: Die Teams können direktes Feedback von den Nutzenden einholen und die Annahmen möglichst frühzeitig auf den Prüfstand stellen. So können sie sowohl die Lösung als auch die Bedürfnisse der Nutzer/innen kontinuierlich konkretisieren, korrigieren oder durch neue Anregungen erweitern.
Double Diamond
Sowohl im Problem- als auch im Lösungsraum wird die Perspektive durch die Sammlung möglichst vieler Eindrücke und Daten erst geweitet (divergierender Prozess), um darauf aufbauend verengt zu werden (konvergierender Prozess). Aufgrund der sich ergebenden Form spricht man auch vom „double diamond“ (siehe Abbildung oben).
Anwendungsbereich
Design Thinking beschränkt sich nicht auf die Entwicklung von Produkten, auch Dienstleistungen oder unkommerzielle Lösungen für gesellschaftliche Probleme lassen sich mit diesem Ansatz entwickeln.
Der Design-Thinking-Prozess dient als Grundgerüst für eine Reihe spezieller Formate, etwa Hackathons für digitale Lösungen oder sogenannte Inkubatoren für Start-Ups. Eines der bekanntesten Formate ist der von Google Ventures entwickelte Design Sprint. Dieser ist detailliert vorstrukturiert, sowohl hinsichtlich der Dauer (insgesamt 5 Tage, 1 Tag pro Arbeitsschritt) als auch der einzelnen Methoden innerhalb jeder Phase. Diese Struktur kann direkt übernommen werden. Sie eignet sich vor allem für gut eingegrenzte Probleme, für die es ggf. bereits erste Lösungsideen gibt. Für wenig konkretisierte Problemstellungen ist es sinnvoller den Design-Thinking-Prozess individuell zu planen.
Ablauf
Der Ablauf orientiert sich an den sechs Design-Thinking-Phasen. Methodische Inputs und kurze Warm-ups im Plenum wechseln sich mit eng getakteten Arbeitsphasen in den einzelnen Teams ab.
Einführungsphase
- Vorstellung der Methode
Zu Beginn gibt die Moderation eine allgemeine Einführung in die Methode und stellt das übergreifende Problem („Challenge“) dar, für das im Rahmen des Prozesses Lösungen entwickelt werden sollen. - Teambuilding und Check-in
Die Teilnehmenden werden zu festen Teams à 4 bis 6 Personen zusammengestellt. Mittels verschiedener Teambuilding-Übungen lernen diese sich besser kennen, definieren Regeln der Zusammenarbeit und bestimmen einen Teamnamen.
Design-Thinking-Prozess
- 1) Verstehen
In der ersten Phase erarbeitet jedes Team zunächst ein gemeinsames Verständnis der Aufgabenstellung. Auf dieser Basis identifiziert es „weiße Flecken” und bereitet die Datensammlung in Schritt 2 vor, indem es etwa Leitfäden für Nutzerinterviews entwickelt. - 2) Beobachten
In dieser Phase versetzt sich das Team in die Nutzer/innen hinein, mit dem Ziel ihre Motivationen, Einstellungen und Bedürfnisse zu erfahren und zu verstehen. Dabei erfasst das Team möglichst viele unterschiedliche, auch gegensätzliche, Perspektiven. Mögliche Methoden reichen dabei von Interviews über teilnehmende Beobachtung bis hin zum eigenem Durchleben von Situationen („Immersion“). - 3) Sichtweise definieren
Aus den gesammelten Daten entwickelt das Team ein empathisch aufgeladenes Bild eines Nutzers bzw einer Nutzerin in Form einer „Persona“. Personas sind in der Regel fiktive Charaktere, die jedoch direkt auf den realen Aussagen und Informationen aus der Beobachtungsphase beruhen. Mit ihren konkret beschriebenen persönlichen Eigenschaften, Wünschen und Problemen geben sie der Zielgruppe ein Gesicht. Bei der Wahl der Persona aus der Vielzahl der erfassten Perspektiven geht es nicht um Repräsentativität, sondern um möglichst konkrete und glaubhafte Bedürfnisse. Sogenannte „extreme user“ eignen sich für diese bewusst radikale Zuspitzung oft am besten. Für eine digitale Lösung können dies etwa Personen völlig ohne PC-Kenntnisse sein. Ergebnis dieser Phase ist eine aus Sicht des Nutzers/der Nutzerin zugespitzte WKW-Frage. - 4) Ideen entwickeln
Mit dieser Phase startet der Lösungsraum und der Blick wird wieder geweitet: Mittels unterschiedlicher Kreativitätstechniken werden in kurzer Zeit möglichst viele Lösungsansätze entwickelt. Oft beginnt diese Phase mit einem individuellen stillen Brainstorming, dem weitere Runden folgen, in denen das Team auf den vorhandenen Ansätzen aufbaut (z. B. Methoden „Heiße Kartoffel“, „6-3-5“, „Gemeinsames Ideenzeichnen“). Das Team wählt den Vielversprechendsten mittels Evaluations- und Priorisierungstechniken aus und konkretisiert ihn. - 5) Prototypen bauen
Der in Schritt 4 ausgewählte Lösungsansatz wird in einen Prototyp übersetzt, das heißt unter Verwendung geeigneten (Bastel-)Materials verbildlicht und modelliert und damit „begreifbar“ gemacht. Der Fokus liegt dabei auf der Visualisierung der Kernfunktionen der Lösungsidee, nicht auf gestalterischen Details. - 6) Testen
Mithilfe des Prototyps führt das Team anschließend Nutzertests durch, um direktes Feedback der Zielgruppe zur entwickelten Lösung einzuholen. Ebenso wie in Phase 2 sammelt das Team mithilfe von Interviews oder Beobachtungen Daten, um Wissenslücken zu schließen. Ziel ist herauszufinden, ob die Idee grundsätzlich zur Lösung des Problems geeignet ist und wo Verbesserungsmöglichkeiten liegen. Tipp: Nach Möglichkeit die gleichen Personen befragen, die ursprünglich die Inspiration für die konkrete Problemstellung geliefert haben. - Iterationen
Das Feedback aus den Testphasen wird im Team ausgewertet. Das Team legt fest, in welche Phase des Prozesses es im nächsten Schritt „zurückspringen“ möchte. Die Weiterentwicklung der Idee kann von kleinen Anpassungen des Prototyps bis zur Neudefinition der Problemstellung reichen.
Abschlussphase
- Reflexion und Ausblick
Zum Abschluss eines Prozesses findet eine Reflexion im Team zum Inhalt und zur Zusammenarbeit statt. Zudem wird festgelegt, ob und wie die Teilnehmenden an der Idee weiterarbeiten. - Check-out und Verabschiedung
Ein Prozesstag endet mit einem Check-out aller Teilnehmenden in den Teams wie auch im Plenum.
► Einen beispielhaften Ablaufplan für einen dreitägigen Workshop mit dazwischengeschalteter Testphase finden Sie hier.
Folgende Arbeitsschritte sollten Sie für einen Design-Thinking-Workshop einplanen:
- Organisatorische Vorbereitung: Einladungsmanagement, Raumbuchung, Catering, Material
- Planung des Prozesses: Auswahl der Methode(n) für jede Phase, Erstellung eines Feinablaufs mit allen Methoden („Microtiming“), Vorbereitung der Inputs
- Briefing aller Moderator/innen
- Durchführung und Moderation des Workshops
- Dokumentation der Ergebnisse (Fotoprotokoll, ggf. schriftliche Dokumentation) und Versendung an die Teilnehmenden
Expertise
Angesichts der Vielfalt an Methoden und der engen Taktung des Prozesses sollte idealerweise jedes Team von einem geschulten Design-Thinking-Coach begleitet werden, der/die die Methoden erläutert, die Teamdynamik im Blick behält und die Einhaltung der Zeitvorgaben und der Arbeitsergebnisse sicherstellt. Zusätzlich sollte mindestens eine weitere Person die Gesamtmoderation übernehmen.
Für die Durchführung von Nutzerinterviews, (teilnehmenden) Beobachtungen und weiteren Methoden wie „Cultural Probes“ ist zudem eine sozialwissenschaftliche oder ethnographische Ausbildung hilfreich. Vorkenntnisse in Produkt-, Service-, oder Interaktionsdesign sind ebenfalls von Vorteil.
Beachten
- Iterationen einplanen
Design Thinking ist iterativ angelegt. Einzelne Workshops bilden jedoch oftmals nur einen Entwicklungszyklus ab. Bis zur finalen Umsetzung einer Idee braucht es in der Regel mehrere Durchläufe, in denen die Idee weiterentwickelt und verbessert wird. - Raum und Material
Der Raum ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im Design Thinking. Unterstützend ist ein großer, heller Raum mit mehreren Whiteboards (mind. 2 pro Team), einfach beweglichen Möbeln und Präsentationstechnik sowie ausreichend Haftnotizen, Stiften und Bastelmaterial für jedes Team. Solche Räume kann man auch anmieten. - Zeitdruck ist Programm
Kurze, sehr konzentrierte und kleinteilig getaktete Arbeitsphasen sind typisch für Design Thinking („Microtiming“). Um schnelle Entscheidungen im Team herbeizuführen, wird weniger diskutiert; vielmehr kommen viele kurze Brainstorming- und Erarbeitungsphasen in Kombination mit Abstimmungstechniken zum Einsatz. - Teamarbeit
Teamarbeit hat im Design Thinking einen hohen Stellenwert. Check-ins und Check-outs, Warm-ups, Teamregeln, Präsenz sowie Feedbackkultur sollten ihren festen Platz im Ablauf erhalten. Auch die Teamgröße von 4 bis 6 Personen sollte eingehalten werden, da diese sich für eine produktive Zusammenarbeit bewährt hat.
Beispiel
Im Projekt CoDesign arbeiteten International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) und die österreichische Stadt Baden zusammen, um herauszufinden, wie Hindernisse bei der Umsetzung der Energiewende in den Klima- und Energiemodellregionen (KEM) in Österreich überwunden werden können. Im ersten Teil des Forschungsprojekts ermittelte das wissenschaftliche Projektteam mithilfe von Stakeholderinterviews erste Herausforderungen bei der Umsetzung der Wärmewende bis 2050. Der Fokus des Workshops lag auf emissionsarmen Heizungssystemen in Wohn- und Nichtwohngebäuden der Stadt Baden. Wie die Lösung für dieses Problem aussehen kann, wurde für den anschließenden Design-Thinking-Prozess bewusst offengehalten.
Dieser fand an zwei Tagen mit der Stadtverwaltung und Bürger/innen der Stadt Baden statt. Zu der Gruppe der 24 Teilnehmenden gehörten zwei Gemeinderatsmitglieder, der Energiereferatsleiter und zwei KEM-Manager/innen aus der Region, die aktiv in den Teams mitarbeiteten, sowie ausgewählte Bürger/innen. Der Bürgermeister und die Vizebürgermeisterin nahmen in erster Linie beobachtende Rollen ein. Die Leitung und Moderation des Workshops übernahm ein Design-Thinking-Coach. Wissenschaftler/innen des IIASA unterstützten die einzelnen Teams als Co-Moderator/innen und beobachteten zudem des Prozesses. Die meisten Teilnehmenden wurden einem der vier Teams zugeordnet, die den gesamten Design-Thinking-Prozess durchliefen; ein kleiner Teil verkörperte die Endnutzer/innen, die für Interviews und Feedback zur Verfügung standen.
In der ersten Phase (Verstehen) setzten die Teams die Methode Customer Journey Mapping ein. Ausgangspunkt für die Teilnehmenden war das Szenario, dass das defekte Heizsystem in ihrem Gebäude erneuert werden müsse. Die Teams überlegten gemeinsam, wie sie ihr Ziel – eine neue und nachhaltige Heizungsanlage – erreichen können, und visualisierten den Ablauf und die voraussichtlichen Schwierigkeiten und Fragen hierfür an einem Zeitstrahl. Mithilfe unterschiedlicher Materialien wie Legobausteinen, Markern und farbigen Stiften antizipierten sie die Perspektive der Nutzer/innen in einem gemeinsamen Bild und identifizierten erste Ansatzpunkte für die darauffolgenden Interviews.
Anschließend teilte sich die Gruppe in vier Teams auf, die für jeweils einen Gebäudetyp Lösungen entwickeln sollten: die Mietwohnung, das Einfamilienhaus, ein Familien-Unternehmen und öffentliche Gebäude. Ausgestattet mit konkreten Fragen ging jedes Team in die Feldarbeit und befragte Endnutzer/innen der vier Gebäudetypen in zweistündigen Interviews zu ihren Problemen und Erfahrungen in Bezug auf Raumwärme und Heizen (Phase Beobachten). Die Erkenntnisse der Feldarbeit wurden in Form von Personas mit Namen, persönlichen Merkmalen sowie einer kurzen Beschreibung der Herausforderungen festgehalten. Für die Gruppe der Mietwohnungen beschrieb das Team beispielsweise die Perspektive der Erzieherin Michi (36): Michi ist Veganerin und legt Wert auf ein umweltbewusstes Leben. Sie hat versucht, ihre Nachbar/innen im Mehrfamilienhaus zu überzeugen, gemeinsam bei den Hausbesitzer/innen eine Umrüstung auf Fernwärme zu erwirken, scheiterte jedoch am fehlenden Interesse für Umweltprobleme. Daraus entwickelt das Team einerseits die Frage, wie man Vordenker/innen in ihrem Engagement unterstützen kann und wie Personen ohne intrinsisches Interesse für Nachhaltigkeitsthemen zur Investition in eine nachhaltigere Wärmeversorgung motiviert werden könnten.
Interviews der Mieter/innen ergaben, dass diese oft keine Möglichkeit haben, über ihre Wärmeversorgung zu entscheiden, während die Eigentümer/innen keinen Vorteil haben, wenn sie in eine emissionsarme Heizung investieren. Nach einem ersten Brainstorming wählten alle Teams aus dem Ideenpool eine bis zwei für sie vielversprechende Optionen aus und visualisierten diese mit Legobausteinen und anderen Materialien in Form von Prototypen.
Die Teams präsentierten die Prototypen den Endnutzer/innen, die Feedback zu jeder Lösungsoption gaben (Phase Testen). Die Teams arbeiteten das Feedback ein (Iteration) und präsentierten die verbesserten Vorschläge allen Teams sowie dem Bürgermeister der Stadt Baden.
Das Mieter/innen-Team entwickelte eine Strategie, mit deren Hilfe Pensionäre, die über mehr zeitliche Ressourcen verfügen, als Multiplikator/innen in Mehrfamilienhäusern in den Heizungsoptimierungsprozess eingebunden werden sollten. Außerdem überlegte sich das Team, eine lokale CO²-Steuer einzuführen, um Emissionen besser regulieren zu können. Allerdings fehlen hier noch Überlegungen dazu, wie das Investor-Nutzer-Dilemma umgangen werden kann.
Besonders positiv für den Erfolg des Design-Thinking-Prozesses wirkte sich die Begeisterung der Teilnehmenden aus, ebenso wie deren Bereitschaft, sich neuen Methoden und Zugängen zu stellen. Ein weiterer Erfolgsfaktor im Projekt Co-Design war die Heterogenität der Teilnehmenden, sowohl bezüglich Alter und Bildung als auch hinsichtlich ihres themenspezifischen Vorwissens.
Literatur und Links
- Bestmann, B. (2018): Design Sprints vs. Design Thinking. Medium (21.08.2018)
- Buhl, A.; Schmidt-Kelich, M.; Muster, V.; Blazejwski, S.; Schrader, U.; Harrach, C.; Schäfer, M.; Süßbauer, E. (2019): Design thinking for sustainability: Why and how design thinking can foster sustainability-oriented innovation development. In: Journal of Cleaner Production 231 (10): S. 1248-1257
- HPI Academy (2020): Was ist Design Thinking? Hasso-Plattner-Institut
- HPI Academy (2020). Brainstorming Methodensammlung. Hasso-Plattner-Institut
- IIASA (2017): CoDesign. International Institute for Applied Systems Analysis
- IIASA (2018): Heat supply for Baden without gas and oil – is that possible? International Institute for Applied Systems Analysis
- IIASA (2019). CoDesign – Addressing Energy Transition Gaps in Climate and Energy Model Regions of Austria Through Policy Co-Design. Final Report. Wien: International Institute for Applied Systems Analysis
- Klima- und Energiefonds (2019): Wie gelingt die Wärmewende? Newsletter 12/2018.
- Knapp, J.; Zeratsky, J.; Kowitz, B. (2016): Sprint: Wie man in nur fünf Tagen neue Ideen testet und Probleme löst. München: Redline Verlag
- Poguntke, S. (2020): Design Sprint. Gabler Wirtschaftslexikon
- Schrader, U.; Muster, V.; Harrach, C.; Schmidt-Keilich, M., Schäfer, M.; Süßbauer, E.; Blazejewski, S.; Buhl, A. (2019): Konzept. Was ist DTN? Design Thinking für Nachhaltigkeit
- Siebel, C. (2020). Top 5 erprobte Kennenlernspiele für Erwachsene. Wilde Workshop Spiele
- Spotify (2019): The Story of Spotify Personas
- Wilson, M. C. (2018): Design Dash Facilitator’s Guide
HANDBÜCHER MIT TEMPLATES
- Dark Horse Innovation (2016): Digital Innovation Playbook. Das unverzichtbare Arbeitsbuch für Gründer*innen, Macher*innen und Manager*innen. Hamburg: Murmann Publishers
- Glitza, C.; Hamburger, R.-S.; Metzger, M. (2019): Hands-on Design Thinking. München: Vahlen
- Lewrick, M., Link, P., Leifer, L. (2018): Das Design Thinking Playbook: Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren. München: Vahlen
- Osann, I.; Mayer, L.; Wiele, I. (2018): Design Thinking Schnellstart. Kreative Workshops gestalten. München: Hanser
- Rustler, F. (2020): Denkwerkzeuge der Kreativität und Innovation. Das kleine Handbuch der Innovationsmethoden. Zürich: Midas Management Verlag
TEMPLATES ZUM DOWNLOAD
- Schrader, U.; Muster, V.; Harrach, C.; Schmidt-Keilich, M., Schäfer, M.; Süßbauer, E.; Blazejewski, S.; Buhl, A. (2019): Templates. Design Thinking für Nachhaltigkeit
- Wilson, M. C. (2018): Design Dash
Steckbrief
- Aufwand: bis zu ca. 3 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: Laufzeit des Wettbewerbs ca. 10 Wochen
- Prozessdauer: mind. 3 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: unbegrenzt
- Integration: Konsultation
Der Ideenwettbewerb stellt ein Mittel der aktiven Kundeneinbindung in offene Innovationsprozesse dar. Mittels eines Ideenwettbewerbs können Sie kreative Ideen generieren, neue Trends ablesen und Lead User identifizieren, die Sie in den weiteren Innovationsprozess einbinden können.
Bei einem Ideenwettbewerb laden Sie die Allgemeinheit oder eine spezielle Zielgruppe dazu ein, zu einer bestimmten Aufgabenstellung innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums Beiträge einzureichen. Eine Jury wertet diese im Anschluss anhand vordefinierter Kriterien aus. Je nach Ausgestaltung des Wettbewerbs können die Beiträge neben den Ideen auch Konzepte und Lösungsvorschläge enthalten. Dadurch gewinnen Sie außer Informationen über Kundenbedürfnisse auch Hinweise zu deren Erfüllung. Zudem können Sie so Ihren Ideenraum zu einem bestimmten Thema erweitern. Die Teilnehmenden nehmen auf diese Weise eine beratende Position für Ihr Unternehmen ein.
Die Zielgruppe ergibt sich in der Regel aus dem Thema und der spezifischen Aufgabenstellung. Offene Ideenwettbewerbe richten sich an die breite Masse, während geschlossene Ideenwettbewerbe eine gezielte Ansprache der Zielgruppe benötigen. Durch eine Prämierung der besten Beiträge fördern Sie den Wettbewerbscharakter und bieten einen Anreiz zur Teilnahme. Die Kreativität und Qualität der Beiträge können Sie dadurch ebenfalls erhöhen. Incentives können Geldpreise, Sachpreise oder immaterielle Ehrungen sein.
Ideenwettbewerbe lassen sich als Online- oder Offline-Wettbewerb gestalten. In den meisten Fällen finden sie jedoch über das Internet statt, wodurch ein einfacher Austausch der Ideen über web-basierte Plattformen ermöglicht wird. Diese Plattformen können als einfache virtuelle „schwarze Bretter“ genutzt werden. Durch die Bereitstellung weiterer Funktionen (wie zum Beispiel Foren, in denen Nutzer/innen die Möglichkeit haben, andere Ideen aufzugreifen, weiterzuentwickeln und zu kommentieren) können Sie den Interaktionsgrad auf solchen Plattformen weiter erhöhen.
Anwendungsbereich
Ideenwettbewerbe dienen vornehmlich der Identifikation und Generierung bereits vorhandener und zukünftiger Bedürfnisse der Nutzer/innen. Weiterhin können Sie mit solchen Wettbewerben Ideen weiterentwickeln oder konkrete Konzepte zur Markteinführung hervorbringen. Daher sollten Sie einen Ideenwettbewerb in einer sehr frühen Phase des Innovationsprozesses – der Phase der Ideengenerierung und -bewertung – einsetzen.
Ablauf
Je nach Umfang und Ausgestaltung des Ideenwettbewerbs fallen für die Planung und Durchführung eines Ideenwettbewerbs folgende Arbeitsschritte an:
- Analyse der Rahmenbedingungen
- Planung, u.a.
- Definition der Ziele
- Bestimmung der Zielgruppe, Ausrichtungsform (online oder offline) und der Incentivierung
- Festlegung der Laufzeit
- Erarbeitung der Möglichkeiten für die Weiterverwendung der Ideen
- Gestaltung und Konzeption, u.a.
- Gestaltung der Ausschreibung (u.a. Formulierung der Aufgabenstellung)
- Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen
- Entscheidung über die Integration von Web 2.0 und Community Funktionalitäten
- Pretest (optional)
- Mobilisierung der Teilnehmer/innen über geeignete Kommunikationskanäle
- Wettbewerbs(- und Community) Management, u.a.
- Kontinuierliches Monitoring der Beiträge
- Ideenbeurteilung und Prämierung
Expertise
Nach Fristende bewertet eine von Ihnen berufene Jury die eingereichten Beiträge anhand vordefinierter Kriterien. Diese Jury können Sie aus Mitgliedern Ihres Unternehmens oder externen Expert/innen zusammensetzen. Die typische Zahl der Jurymitglieder liegt zwischen drei und zehn Personen. Sie sollten im Vorfeld überlegen, wie die Jury die Kreativität der Beiträge bewerten soll und dafür geeignete Kriterien festlegen. Mögliche Kriterien sind: Originalität, Nützlichkeit, Ausarbeitungsgrad und Realisierbarkeit der Idee. Außerdem sollten die Jurymitglieder mit der Thematik des Ideenwettbewerbs genau vertraut sein. Zwischen der Kreativität und anderen Anforderungen an die eingereichten Ideen (wie zum Beispiel die Nachhaltigkeit einer Idee) besteht kein notwendiger Zusammenhang. Daher sollten Sie sicherstellen, dass kompetente Expert/innen in der Jury vertreten sind, die die Ideen hinsichtlich weiterer Anforderungen (zum Beispiel Nachhaltigkeit) bewerten können.
Beachten
- Ausgestaltung
Das Design der Plattform bei Online-Ideenwettbewerben hat eine Auswirkung auf die Teilnahme sowie auf die Qualität der eingereichten Ideen. Eine Plattform, auf der sich eine eigene Community bilden kann, erhöht die Teilnahme am Ideenwettbewerb. Wird der Ideenwettbewerb durch ein Online-Diskussionsforum begleitet, kann die Community zudem erste Ideen filtern oder sinnvoll weiterentwickeln. - Zeitraum
Sie sollten beachten, ob der Ideenwettbewerb in Ferienzeiten oder auf Feiertage fällt. Außerdem ist eine ausreichend lange Laufzeit entscheidend, denn Sie müssen den Wettbewerb kommunizieren, die Zielgruppe zur Teilnahme motivieren und ihr genug Zeit zur Entwicklung der Ideen lassen. - Prämierung
Eine höhere Prämie bedeutet nicht immer automatisch eine bessere Leistung der Teilnehmenden. In manchen Fällen kann eine persönliche, immaterielle Ehrung – zum Beispiel in Form einer öffentlichen Würdigung auf der Unternehmenshomepage, einer Pressemitteilung oder einer persönliche Einladung zur Preisverleihung – mehr Wert sein als eine höhere Prämie. Beide können sich auch ergänzen. - Rechtliche Rahmenbedingungen
Es ist wichtig, dass beide Seiten – Unternehmen und Teilnehmende – wissen, worauf sie sich einlassen. Daher sollten Sie in den Teilnahmebedingungen alle wichtigen Aspekte thematisieren, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Die Zustimmung zu diesen Bedingungen sollten Sie zur Voraussetzung für eine Teilnahme machen. - Bewertung
Für die Bewertung sollten Sie vorab geeignete Kriterien festlegen. Es besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen der Kreativität und der Nachhaltigkeit einer Idee. Sie sollten daher sicherstellen, dass Ihre Jury beide Aspekte separat bewertet. - Teilnahme
Knapp 40 Prozent der eingereichten Beiträge gingen in dem beschriebenen Beispiel am ausgeschriebenen Thema vorbei. Dies sollten Sie bei der Rekrutierung der Teilnehmenden und Ihrer Kosten-Nutzen-Abwägung beachten. Ein Ideenwettbewerb sollte aktiv beworben werden, um genügend Teilnehmende zu rekrutieren und so eine ausreichende Auswahl an Ideen zu garantieren – was jedoch mit sehr viel höheren Kosten einhergeht.
Beispiel
Ziel des Ideenwettbewerbs „Energieeffizientes Wohnen und Mobilität“ war es, gemeinsam mit Bürger/innen Ideen rund um das Thema Energieeffizienz zu generieren und weiterzuentwickeln. Diese sollten die Energieeffizienz in den Bedarfsfeldern Wohnen und Mobilität in München verbessern. Den Wettbewerb führte das vom BMBF geförderte Projekt „OFFIES 2020+: Offene Innovationsprozesse für die energieeffiziente Stadt 2020+” zusammen mit verschiedenen Unternehmen aus den Bereichen Wohnen und Mobilität sowie der Stadt München durch.
Die Dauer der Ausschreibung betrug 12 Wochen (1.9. bis 16.11.2009). Es wurden Sachpreise in Höhe von 1.500 Euro für die ersten drei Gewinner des jeweiligen Bereichs (Wohnen und Mobilität) ausgeschrieben. Der Ideenwettbewerb wies außerdem die folgenden Merkmale auf:
- offener Ideenwettbewerb
- webbasierte Durchführung mit eigener Plattform (die Community auf der Plattform umfasste 320 Mitglieder)
- Teilnahme war auf keine spezielle Zielgruppe beschränkt
- aktive Bewerbung des Ideenwettbewerbs unter anderem per E-Mail (Newsletter), Ankündigungen über die Webseiten der Netzwerkpartner und Postsendungen an Münchner Schulen
- sämtliche Ideen auf der Plattform waren für alle einsehbar
Insgesamt wurden bei diesem Ideenwettbewerb 162 Ideen eingereicht. Davon bewertete die eingesetzte Jury jedoch nur 67. Die übrigen hatten entweder das Thema verfehlt, wurden doppelt eingereicht oder waren bereits im Münchner Raum realisiert. Die hohe Teilnehmerzahl lässt sich unter anderem durch die umfangreichen Kommunikationsaktivitäten erklären. Ein Ansatz, der jedoch auch mit höheren Kosten einhergeht.
Literatur und Links
- Arnold, M. (2011): Ideenwettbewerbe als Methode offener Innovationsprozesse? In: Belz, F.; Schrader, U.; Arnold, M. (Hrsg.): Nachhaltigkeitsinnovation durch Nutzerintegration. Marburg.: Metropolis Verlag, S. 317 – 330.
- Arnold, M. (2011): Methoden der Nutzerintegration. In: Belz, F.; Schrader, U.; Arnold, M. (Hrsg.): Nachhaltigkeitsinnovation durch Nutzerintegration. Marburg: Metropolis Verlag, S. 39 – 49.
- Belz, F.; Silvertant, S.; Füller, J.; Pobisch, J. (2009): Ideenwettbewerbe: Konsumenten involvieren – Ideen generieren – Lead Users identifizieren. München.
- Bretschneider, U.; Leimeister, J. M.; Krcmar, H. (2009): Methoden der Kundenintegration in den Innovationsprozess - Eine Bestandsaufnahme. In: Arbeitspapiere Nr. 34 des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik , No. 34, Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, Technische Universität München (http://pubs.wi-kassel.de/wp-content/uploads/2013/03/JML_177.pdf).
- Piller, F.; Wagner, P.; Antons, D. (2012): Innovationsmanagement in der Energiebranche - Anwendung des Open-Innovation-Ansatzes. In: Servatius, H.; Schneidewind, U.; Rohlfing, D.: Smart Energy: Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem. Berlin: Springer Verlag, S. 173-192.
- Piller, F.; Walcher, D. (2006): Toolkits for idea competitions: a novel method to integrate users in new product development. R&D Management, No. 36 (3), 2006, S. 307-318.
- Walcher, D. (2007): Der Ideenwettbewerb als Methode der aktiven Kundenintegration. Theorie, empirische Analyse und Implikationen für den Innovationsprozess. Wiesbaden: Gabler Verlag.
- Übersicht über unterschiedliche Ideenwettbewerbe, u.a. auf: www.ideenwettbewerbe.com
Steckbrief
- Aufwand: ca. 6 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: 2 bis 3 Tage, ggf. halbtägiger Vorbereitungsworkshop
- Prozessdauer: ca. 4 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 5 bis 10 Personen
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
Die Lead-User-Methode ist ein nutzerzentrierter, qualitativer Ansatz aus der Marktforschung. Sie dient in erster Linie dazu, Innovationsprozesse in Unternehmen zu unterstützen. Sie können damit Innovationsmöglichkeiten erkennen und neue Produktkonzepte entwickeln. Kern der Methode ist die Identifikation einer spezifischen Gruppe von Anwender/innen, die Sie aktiv in laufende Produktentwicklungsprozesse einbinden.
Viele empirische Studien belegen, dass Nutzer/innen eine wertvolle Quelle für Innovationen sind. Nach Eric von Hippel, auf den die Lead-User-Methode zurückgeht, ist klassische Marktforschung stark durch die Konzentration auf durchschnittliche Konsument/innen eingeschränkt. Diese repräsentieren vor allem allgemein übliche Praktiken und sind daher kaum imstande, Ideen für neue Produkte zu liefern. Von Hippel schlug daher vor, dass sich das innovationsorientierte Marketing auf ganz bestimmte Nutzergruppen konzentrieren sollte – die so genannten Lead User.
Lead User sind durch zwei zentrale Attribute charakterisiert: Erstens haben sie Bedürfnisse, die für andere Nutzer/innen erst wesentlich später relevant werden; zweitens profitieren sie selbst entscheidend von Produkten, mit denen sie diese Bedürfnisse befriedigen können. Mit der Fokussierung auf Lead User können Sie bessere Informationen über neu entstehende Kundenbedürfnisse gewinnen. Ihre neuen Produkt- und Servicekonzepte machen Sie dadurch treffsicherer.
Ziel von Lead-User-Projekten ist es, neue Produkt- oder Dienstleistungskonzepte für bestimmte Zielmärkte zu entwickeln. Ein wesentlicher erster Schritt des Verfahrens ist es, Trends in den Zielmärkten zu identifizieren. Lead User können Sie dann entweder direkt aus diesen Zielmärkten (zum Beispiel Anwender/innen, die bereits mit vergleichbaren Lösungen experimentieren) oder aus passenden Analogmärkten rekrutieren. Eine dritte Lead-User-Kategorie sind Personen, die bestimmte Attribute oder Bedürfnisse mit Nutzer/innen aus den Zielmärkten teilen. Bei der Suche und Identifikation von Lead Usern helfen Ihnen verschiede Methoden, wie Screening, Broadcasting oder Pyramiding.
Den Abschluss des Lead-User-Verfahrens bildet eine Serie von Workshops zur Entwicklung von neuen Produkt- oder Dienstleistungskonzepten. Das Workshop-Team setzen Sie dabei aus den ausgewählten Lead Usern, technischen Expert/innen und entsprechenden Produkt- oder Innovationsexpert/innen aus Ihrem Unternehmen zusammen. Dieses Team arbeitet intensiv über meist zwei oder drei Tage daran, die Konzepte zu erstellen und auszuformen. Das Entwicklungsteam Ihres Unternehmens verfeinert die im Workshop erarbeiteten Konzepte und konstruiert entsprechende Business Cases. Ihre Produktentwickler/innen bewerten diese anschließend und wählen diejenigen aus, die sich für die Umsetzung eignen.
Anwendungsbereich
Der Einsatz der Lead-User-Methode ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Unsicherheit über zukünftige Kundenpräferenzen hoch ist und ein Unternehmen größere Innovationsfortschritte erzielen will (Breakthrough Innovation). Die Methode wurde bisher erfolgreich bei industriellen Innovationen und bei der Entwicklung neuer Konsumprodukte eingesetzt. Mit der Energiewende kommt eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die neuartig für Konsument/innen sind. Beispiele dafür sind die Mikrogeneration von Energie, die Anwendung von Speichertechnologien, die Einbindung von Haushalten in Smart Grids oder neue Transportsysteme. Damit bietet sich ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten für die Lead-User-Methode. Sie ermöglicht eine radikale Neuformulierung von Produktkonzepten und eine stärkere Orientierung der Produkte an entstehenden neuen Kundenbedürfnissen. Die Lead-User-Methode eignet sich besonders für die Phase der Ideenentwicklung.
Ablauf
Idealtypisch besteht der Ablauf der Lead-User-Methode aus vier Phasen: (1) Projektstart und Suchfelddefinition, (2) Identifikation von Trends, (3) Identifikation von Lead Usern und (4) Entwicklung von Lösungskonzepten in einem Lead-User-Workshop (siehe Grafik).
Wie die Grafik zeigt, entsteht der größte Aufwand der Lead-User-Methode nicht durch die Einbindung der Nutzer/innen in den Lead-User-Workshops. Die meisten Ressourcen müssen Sie vielmehr für folgende zwei Aufgaben reservieren: zum einen für die Entwicklung eines möglichst tiefen Verständnisses von Trends und aktuellen technischen Entwicklungen in den Zielmärkten der zu entwickelnden Produkte; zum anderen für die Identifikation von Lead Usern, die die Fähigkeit haben, mit unkonventionellen Lösungen auf neu entstehende Bedürfnisse in diesen Märkten zu antworten. Die partizipative Arbeit an neuen Konzepten bildet dann den Abschluss des Prozesses, der typischerweise über einen Zeitraum von etwa vier Monaten läuft.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung der Lead-User-Methode an:
- Festlegung des Suchfeldes (welcher Zielmarkt?)
- Bildung des Projektteams
- Identifikation von Trends und Bedürfnissen durch Recherchen und Interviews
- Identifikation von Lead Usern in Ziel- und Analogmärkten
- Planung der Lead-User-Workshops
- Entwicklung von Ideen und Lösungskonzepten im Workshop
- Bewertung der Konzepte, firmeninterne Weiterbearbeitung
Expertise
Die unterschiedlichen Phasen im Ablauf der Lead-User-Methode erfordern eine Reihe verschiedener Kompetenzen. Die Identifikation von Trends in den Zielmärkten und möglicher Lead User ist nur mit Expertise in der Marktforschung oder den Methoden qualitativer Sozialforschung möglich (zum Beispiel Interviews oder Fokusgruppen). Bei der Durchführung von Lead-User-Workshops sind Kenntnisse in der Moderation von Gruppenprozessen, Kompetenzen in der partizipativen Produktentwicklung sowie technische Expertise und gute Marktkenntnisse in Bezug auf die angestrebten Produktgruppen nötig.
Beachten
- Externe Unterstützung
Wegen des Umfangs und der Komplexität der Lead-User-Methode sollten Sie erfahrene Berater/innen oder Marktforscher/innen hinzuziehen. - Klare Problemdefinition
Für den Erfolg der Lead-User-Methode ist es entscheidend, dass Sie die Problemstellung möglichst eng und konkret definieren. Dies erleichtert sowohl die Identifikation von interessierten Lead Usern als auch die Entwicklung von Produktideen. - Hoher Aufwand bei der Identifikation von Lead Usern
Der Erfolg der Lead-User-Methode hängt stark mit der Identifikation geeigneter Nutzer/innen zusammen. Den Aufwand dafür sollten Sie nicht unterschätzen. Für die Suche nach Lead Usern gibt es zwar eine Reihe von Methoden, diese müssen aber nicht gleich zum gewünschten Ziel führen und erfordern oft mehr Aufwand als ursprünglich geplant. - Perspektivenverschiebung für Innovationsmanager/innen
Explorative Marktforschung und Nutzereinbeziehung bereits in der Frühphase von Innovationsprozessen ist für Innovationsmanager/innen in Unternehmen meist ungewohnt. Eine große Anzahl von dokumentierten Erfolgen der Lead-User-Methode macht jedoch eine solche Verschiebung von Ressourcen empfehlenswert.
Beispiel
Ein Beispiel für die Anwendung der Lead-User-Methode ist ein Projekt zu Anwendungsmöglichkeiten von sogenannten Wood-Plastic-Composites (WPC) im Rahmen des österreichischen Programms „nachhaltig Wirtschaften“. WPC bezeichnen eine Werkstofffamilie, die durch Kombination aus Holz oder lignozellulosehaltigen Teilchen und plastifizierbaren Polymeren entsteht. Neue Anwendungen von WPC können nicht nur einen Beitrag zur besseren Ausschöpfung ökologischer Potenziale des Werkstoffs leisten, sondern stellen auch Impulse für die Weiterentwicklung der Produktionstechnologie dar.
In einer ersten Phase analysierte das Projektteam das Innovationsumfeld von WPC, erhob bestehende Anwendungen und Marktpotenziale und wertete internationale Marktforschungsstudien aus. Außerdem führte es eine Reihe von Experteninterviews zu Entwicklungstrends, kritischen Problemen und Potenzialen dieses Werkstoffs durch. In Zusammenarbeit mit Marktspezialist/innen definierte das Team als Projektziel, mindestens eine „Leuchtturm-Anwendung“ zu finden, um den Werkstoff WPC breiter bekannt zu machen.
In der zweiten Phase befragte das Projektteam Technologie- und Marktexpert/innen sowie 30 zufällig ausgewählte Nutzer/innen telefonisch zu Trends und Bedürnissen im Möbelmarkt – einer der Hauptanwendungsfelder von WPC. Auf dieser Basis erstellte es eine so genannte User-Needs-Matrix, eine Grafik mit mehreren Clustern von Erwartungen und Ansprüchen an innovative Anwendungen im Möbelbereich, sowie eine „Trend-Matrix“ für diesen Sektor.
Lead User suchte das Projektteam dann nach entsprechenden Kriterien, beispielsweise in Bereichen, in denen neue flexible Design- und Formgebung wichtig ist. In mehreren Befragungsrunden wählte es neun Anwender/innen mit einem möglichst hohen Lead-User-Potenzial aus, darunter drei Kunststoffverarbeiter als einem relevanten Analogmarkt zu WPC.
In einem zweitägigen Lead-User-Workshop enstanden schließlich in unterschiedlichen kreativen Gruppenprozessen innovative Anwendungsmöglichkeiten für Wood-Plastic-Composites, die das Workshop-Team nach ihrem Nachhaltigkeitspotenzial bewertete.
Literatur und Links
- Churchill, J.; Von Hippel, E.; Sonnack, M. (2009): Lead user project handbook: A practical guide for lead user project teams (https://evhippel.files.wordpress.com/2013/08/lead-user-project-handbook-full-version.pdf)
- Fichter, K. (2005): Modelle der Nutzerintegration in den Innovationsprozess. Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Verbrauchern in Innovationsprozesse für nachhaltige Produkte und Produktnutzungen in der Internetökonomie, WerkstattBericht Nr. 75, Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin.
- Herstatt, C.; von Hippel, E. (1992): From Experience: Developing New Product Concepts Via the Lead User Method. A Case Study in a “Low-Tech” Field’. Journal of Product Innovation Management 9. S. 213-21.
- Herstatt, C.; Lüthje, C. ; Lettl, C. (2002): Wie fortschrittliche Kunden zu Innovationen stimulieren. Harvard Business Manager 24 (1). S. 60-68.
- Lüthje, C. (2000): Kundenorientierung im Innovationsprozess. Wiesbaden, Germany. Gabler.
- Lüthje, C; Herstatt, C. (2004): The Lead User Method: An Outline of Empirical Findings and Issues for Future Research. R&D Management 34 (5). S. 553-68.
- Ornetzeder, M.; Feichtinger, J.; Rohracher, H.; Schreuer, A.; Loibl, H.; Eder, A.; Weinfurter, S.; Strobl, S. (2008): Open Innovation. Instrumente und Strategien zur aktiven Einbeziehung von NutzerInnen und anderen relevanten sozialen Gruppen in technische Innovationsprozesse am Beispiel Brennstoffzellen-Technologie und Wood-Plastic-Composites. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Wien.
- Springer, S.; Beucker, S.; Lang-Koetz, C.; Bierter, W. (2006): Lead User Integration. Werkstattreihe, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart (http://publica.fraunhofer.de/eprints/urn:nbn:de:0011-n-394430.pdf).
- Von Hippel, E. (1986): Lead users: a source of novel product concepts. Management Science 32 (7). S. 791-805.
- Eric von Hippel: https://evhippel.mit.edu/teaching/
- Insitut für Entrepreneurship und Innovation, Wirtschaftsuniversität Wien: www.wu.ac.at/entrep/forschung/userinnovation/leaduser/
Steckbrief
- Aufwand: falls bestehende Living-Lab-Infrastruktur genutzt werden kann, ca. 2 bis 6 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: eine bis mehrere Wochen Wohnen bzw. Arbeiten im Living Lab
- Prozessdauer: mehrere Wochen bis Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: Mindestens 5 Personen
- Integration: Konsultation bis Mitbestimmung
Ein Living Lab ist eine offene, nutzerzentrierte Innovationsumgebung. Die Methode dient der Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen gemeinsam mit Nutzer/innen und anderen Stakeholdern. Living Labs bilden Anwendungsumgebungen möglichst alltagsnah nach – etwa in Form von Smart Homes, die von Nutzer/innen tatsächlich eine Zeitlang bewohnt werden oder Prototypen, die in bestehende Wohnsituationen integriert werden. In Living Labs können Sie Technologien realitätsnah erproben und weiterentwickeln.
Living Labs können auf unterschiedliche Art aufgebaut sein. Im engeren Sinne bilden sie natürliche Wohn- oder Arbeitsumgebungen nach, in welchen Technologien und Produkte in ihrer konkreten Alltagsnutzung getestet werden können. Ein Beispiel ist das Fraunhofer-inHaus-Zentrum in Duisburg. Dort können Smart Home-Anwendungen in der Praxis erprobt werden. In einer weniger aufwendigen Form von Living Labs werden bestehende natürliche Wohn- oder Arbeitsumgebungen mit Messinstrumenten ausgestattet, um die Leistungsfähigkeit neuer Technologien unter Alltagsbedingungen zu prüfen. Die experimentelle Nutzung und Evaluierung innovativer Produkt-Dienstleistungssysteme in definierten Stadtteilen wird auch häufig als (Urban) Living Lab bezeichnet.
Kern der verschiedenen Living Lab-Formate ist der klare Fokus auf Nutzer/innen in ihren Alltagskontexten. Living Labs sollen Nutzer/innen ermutigen und befähigen, für sie relevante Innovationen mit zu entwickeln. Durch die aktive Rolle von Nutzer/innen im Innovationsprozess unterscheidet sich das Living Lab von Feldtests und den gängigen Marktforschungsinstrumenten.
Der Aufbau eines eigenen Living Labs ist mit sehr großen Aufwand verbunden. Daher ist es sinnvoll, auf vorhandene Living Lab-Infrastrukturen zurückzugreifen. Sie sind in unterschiedlichem Maße offen für die Nutzung durch interessierte Firmen und Forschungsakteure. Die Living Lab Landkarte des Wuppertal Instituts identifiziert Mitte 2020 in Deutschland 98 Living Labs. In den letzten Jahren haben Living Labs in Forschungs- und Entwicklungsprozessen an Bedeutung gewonnen.
Der Einsatz von Living Labs erlaubt Ihnen die Einbeziehung von Nutzer/innen in den Entwicklungsprozess auf eine sehr alltagsnahe, intensive Art. Ein wesentliches Element dieses Verfahrens ist die Auswahl von geeigneten Teilnehmenden. Als Grundregel gilt, dass diese die späteren Nutzer/innen möglichst gut repräsentieren und unterschiedliche Typen von potenziellen Nutzer/innen berücksichtigen soll.
Anwendungsbereich
Living Labs gehören zu den offenen oder partizipativen Innovationsprozessen. Mit ihrer Hilfe können Sie die Interaktion von Nutzer/innen mit neuen Produkten und die dabei entstehenden spezifischen Nutzungsformen studieren. Außerdem fließen über Living Labs Nutzerperspektiven und -ideen in Ihren Entwicklungsprozess ein.
Living Labs wurden anfangs besonders bei der nutzerzentrierten Entwicklung innovativer Informationstechnologien eingesetzt. Als Mittel zu deren Erprobung und Entwicklung unter realistischen Bedingungen bauen Living Labs vor allem alltägliche Wohnsituationen oder Wohnumgebungen nach. Zur Entwicklung nachhaltiger Technologien wird in Living Labs beispielsweise die Alltagstauglichkeit von energieeffizienten Gebäuden, Smart Homes oder von Mobilitätssystemen getestet.
Allgemein können Sie durch Living Labs nachhaltige Produkt-Service-Innovationen aus einer Anwenderperspektive entwickeln und testen. Während des Innovationsprozesses eignen sich Living Labs am besten für die Auswahl und Eingrenzung von Ideen sowie für die Realisierung und Erprobung konkreter Produktkonzepte.
Ablauf
Unter dem Begriff Living Labs werden vielfältige Varianten zusammengefasst und ein standardisierter methodischer Ablauf lässt sich kaum festhalten. Allerdings lässt sich ein Living Lab grundsätzlich in vier Phasen unterteilen. Die erste Phase ist die Co-Kreation, hier werden Ideen gemeinsam mit den Nutzer/innen ausgetauscht oder Ideen für Prototypen entwickelt. Die Erkundungsphase dient dem Test von Prototypen oder der Bewertung verschiedener Szenarien. Danach folgt der Kern des Living Labs mit dem realen Experiment oder Feldversuch. In der letzten Phase – der Evaluation – werden die Innovationen und der Prozess rückblickend bewertet. Nicht jedes Living Lab muss alle vier Phasen durchlaufen; diese sind auch nicht immer zeitlich nacheinander angesiedelt. Die vier Phasen bieten jedoch eine Orientierung für die Planung. Jede Phase fordert eigene Zielsetzungen sowie den Einsatz unterschiedlicher Methoden:
Co-Kreation
Hier soll die Designidee für das Produkt oder die Dienstleistung entwickelt werden. Der Fokus in dieser Phase liegt auf Bedürfnissen und Erwartungen von Nutzer/innen. Folgende Methoden eignen sich für diese Phase:
- Interviews und Befragungen
- Tagebücher und Selbstdokumentation
- Teilnehmende Beobachtung
- Think Aloud/lautes Denken
Basierend auf grundlegenden Nutzerbedürfnissen soll ein Möglichkeitsraum für das geplante Produkt erschlossen werden. Grundlegende Frage ist: Auf welche Arten könnte das Produkt auf diese Bedürfnisse reagieren? Auf der so geschaffenen Grundlage werden Designideen mit den Nutzer/innen entwickelt.
Erkundung
In dieser Phase werden Prototypen designt und Anwendungen beschrieben. Potenzielle Nutzer/innen können die Prototypen mitentwickeln und auch testen. Am Ende können auch mehrere Prototypen entstehen. Für die Entwicklung und den Test der Prototypen eignen sich z.B. folgende Methoden:
- Nutzerinnovations-Workshops
- Mock-ups, d.h. Attrappen oder Vorführmodelle
- User Toolkit
- Designorientierte Szenarien
Feldversuch
In der dritten Phase testen Nutzer/innen das Produkt oder die Dienstleistungen in einer alltagsnahen Umgebung. Damit sollen möglichst alltagsnahe Nutzungserfahrungen erfasst werden und mögliche Routinen identifiziert werden, die bei der Nutzung entstehen können. Mit jeweils auf das Produkt oder die Dienstleistung zugeschnittenen Methoden oder Messinstrumenten werden zuvor festgelegte Paramater erfasst, etwa die Nutzungshäufigkeit bestimmter Geräte oder die Raumtemperatur. Entsprechend breit sind die Erfassungsmethoden:
- Beobachtung der Nutzung
- Sensorik und Messung
- Dokumentation / Tagebücher
Evaluation
In dieser Phase werden die Testphase und die Erfahrungen mit dem Produkt oder der Dienstleistung gemeinsam mit den Nutzer/innen bewertet. Zentraler Bewertungsparameter ist hierbei die Nutzungsfreundlichkeit (Usability). Aber auch der Prozess und die Umsetzung im Lab werden bewertet. Geeignete Methoden hierfür sind:
- Checklisten
- Umfragen
- Workshops oder Fokusgruppen
Expertise
Für die Entwicklung von Produkt-Servicesystemen in Living Labs sollten nach Möglichkeit bereits Vorerfahrungen oder Kompetenzen im Bereich der partizipativen Produktentwicklung vorhanden sein, zum Beispiel partizipative Designmethoden, wie sie bei der Entwicklung von Informationstechnologien eingesetzt werden.
Darüber hinaus ist sozialwissenschaftliche Expertise erforderlich, um Nutzerperspektiven und -erfahrungen zu erfassen, zu bewerten und in den Designprozess einfließen zu lassen. In erster Linie handelt es sich dabei um Methoden qualitativer Sozialforschung (narrative Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtung, Tagebücher) sowie deren Auswertung durch Inhalts- oder Interaktionsanalyse.
Außerdem sind Kompetenzen für das Design und die Moderation von Gruppenprozessen wichtig, etwa für Workshops mit Nutzer/innen, Produktentwickler/innen und anderen für den Prozess relevanten Stakeholdern.
Expertise
Für die Entwicklung von Produkt-Servicesystemen in Living Labs sollten nach Möglichkeit bereits Vorerfahrungen oder Kompetenzen im Bereich der partizipativen Produktentwicklung vorhanden sein, zum Beispiel partizipative Designmethoden, wie sie bei der Entwicklung von Informationstechnologien eingesetzt werden.
Darüber hinaus ist sozialwissenschaftliche Expertise erforderlich, um Nutzerperspektiven und -erfahrungen zu erfassen, zu bewerten und in den Designprozess einfließen zu lassen. In erster Linie handelt es sich dabei um Methoden qualitativer Sozialforschung (narrative Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtung, Tagebücher) sowie deren Auswertung durch Inhalts- oder Interaktionsanalyse.
Außerdem sind Kompetenzen für das Design und die Moderation von Gruppenprozessen wichtig, etwa für Workshops mit Nutzer/innen, Produktentwickler/innen und anderen für den Prozess relevanten Stakeholdern.
Beachten
- Intensive Planung und Vorbereitung
Eine gute Planung ist immer gut - aufgrund des verhältnismäßig hohen Ressourceneinsatzes und der Vielzahl der einsetzbaren Methoden gilt dies für diese Methode besonders. Bei Nutzung bestehender Living Lab-Infrastrukturen muss das Projekt ggf. auf die vorgegebenen zeitlichen und technischen Rahmenbedingungen angepasst werden. - Auswahl der Nutzer/innen
Nutzer/innen spielen eine zentrale Rolle als Co-Entwickler/innen von Innovationen in Living Labs. Das Living Lab-Team sollte daher im Vorfeld Nutzertypen und Nutzungsanforderungen an die angestrebten Produkte oder Dienstleistungen recherchieren und diese differenzieren. Je genauer die Recherchen und Auswertungen, desto besser finden sich geeignete Kandidat/innen für die Zusammensetzung der Testpersonen. - Empowerment
Kernidee von Living Labs ist das Co-Design von Produkten und Dienstleistungen, also die Möglichkeiten für eine tatsächliche Mitgestaltung der Innovationen. Über eine bloße Evaluation der Nutzungserfahrungen durch die Testperson sollte die Methodik daher hinausgehen, da sonst viel Potenzial verloren geht. Dabei ist es hilfreich offen zu sein für alternative Produktdesigns und die Nutzer/innen dazu zu ermutigen, eigene Lösungswege zu suchen. - Realitätsnahe Anwendung der Produkte und Dienstleistungen
Ein weiterer Kernaspekt von Living Labs ist die Anwendung der entsprechenden Innovationen in einem möglichst lebensnahen und realistischen Umfeld. So sollte man etwa darauf hinwirken, dass Innovationen möglichst in bestehenden Haushalten getestet werden. Auch hier ist eine gute Kenntnis möglicher Anwendungssituationen und Kontexte wichtig, etwa, um verschiedene Haushaltstypen, Wohnkonstellationen oder Einkommensunterschiede zu berücksichtigen.
Beispiele
Beispiel 1: SusLab Nordrhein-Westfalen
Das SusLab Nordrhein-Westfalen testete Innovationen zur effizienteren Beheizung und Verbesserung des Innenraumklimas in echten Wohnumgebungen in der Stadt Bottrop und entwickelte diese mit den Bewohner/innen weiter. In einer ersten Phase führte das Projektteam eine Breitenbefragung zu bestehenden Nutzungspraktiken und -bedürfnissen in Bezug auf Heizung und Kühlung von Wohnungen durch. In ausgewählten Haushalten erfasste das Projektteam mit mobilen Datenloggern über zwei Wochen Daten etwa zur Raumtemperatur und CO2-Konzentration und ergänzte diese Informationen durch Tagebuchaufzeichnungen der Bewohner/innen, Interviews und Beobachtungen. Danach installierten die beteiligten Firmen ihre Systeme (Prototypen) zur Gebäudeautomatisierung, die die Steuerung von Heizung und Lüftung in den Gebäuden und ein Feedback dazu verbessern sollten. Anschließend führte das Projekt eine weitere zweiwöchige Mess- und Beobachtungsphase durch (Feldtest).
Darauf aufbauend wurden Workshops zur Produktentwicklung mit Nutzer/innen und Stakeholdern durchgeführt mit dem Ziel, neue Prototypen für Assistenzfunktionen als Teil von Systemen zur Gebäudeautomatisierung zu entwickeln, die Nutzer/innen durch erweitertes Feedback dabei helfen sollen, energieeffizienter zu heizen und zu kühlen.
Beispiel 2: Living Lab Suburbane Wärmewende
Im Rahmen der Living Labs Suburbane Wärmewende (SubWW) wurden alle potenziellen Interessengruppen in den Planungsprozess für ein Nahwärmenetz in der Gemeinde Weyhe (Ortsteil Leeste) in der Nähe von Bremen eingebunden. Das Projekt Suburbane Wärmewende wurde vorab vom Umweltzentrum Stuhr-Weyhe, der Technischen Universität Berlin und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung betreut. Das Projektteam hat zunächst verschiedene technische und ökonomische Möglichkeiten des Nahwärmenetzes konzipiert und bewertet. Das EU-Horizon 2020 Projekt PROSEU hat dieses Projekt 18 Monate lang begleitet und im Rahmen eines Living Labs die Bedarfe und Herausforderungen für die geplante Umsetzung eines Nahwärmenetzes in einem co-kreativen Prozess ermittelt.
In der ersten Veranstaltungsrunde hat das Projekt in mehreren Vorgesprächen mit dem Projektteam vor Ort, den begleitenden Wissenschaftler/innen und Gemeindemitgliedern die Bedarfe und Herausforderungen des Projekts SubWW ermittelt. Diese wurden in der zweiten und dritten Veranstaltungsrunde mit potenziellen Posumern (Anwohner/innen, Hauseigentümer/innen, Unternehmer/innen, Schulen) und lokalen Akteuren aus Politik und Verwaltung diskutiert, um gemeinsam mögliche und gewünschte Rahmenbedingungen und Organisationsformen für das Nahwärmenetz zu erarbeiten (Round-Table-Gespräch, Befragung). Dabei wurde deutlich, dass – jenseits der Bezahlbarkeit - vor allem ökologische Kriterien und Partizipation wichtige Anforderungen an ein Nahwärmenetz sind. Zusätzlich sind noch Komfort und Ansprechpartner vor Ort als wünschenswert genannt worden, was für eine lokal verankerten Betrieb spricht. Abschließend wurden mit den Projektbeteiligten in einem letzten gemeinsamen Gespräch die Beobachtungen und Ergebnisse des Living Labs diskutiert und Ablauf, Erwartungen, Nutzen und zukünftige Entwicklungen gemeinsam evaluiert. Zusammen mit einer technischen Machbarkeitsstudie werden nun Szenarien für die Umsetzung entwickelt, bevor es in die Erprobung geht.
Literatur und Links
- Almirall, E.; Wareham, J. (2011): Living Labs: arbiters of mid- and ground-level innovation', Technology Analysis & Strategic Management 23 (1). S. 87-102.
- Baedeker, C.; Greiff, K. et al. (2014): Transition through sustainable Product and Service Innovations in Sustainable Living Labs: application of user-centred research methodology within four Living Labs in Northern Europe. Paper presented at 5th International Sustainability Transitions Conference, Utrecht.
- Beecroft, R., Parodi, O. (Hg.) (2016): Reallabore als Orte der Nachhaltigkeitsforschung und Transformation (TATuP Schwerpunktheft). Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 25(2016)3. S. 1-51.
- Bergvall-Kåreborn, B.; Stahlbrost, A. (2009): Living Lab: an open and citizen-centric approach for innovation. International Journal of Innovation and Regional Development 1 (4). S. 356 - 70.
- Botero, L., Bossert, M., Eicker, U., Cremers, J., Palla, N., Schoch, C. (2017): A Real-World Lab Approach to the Carbon Neutral Campus Transition: A Case Study. In: Leal Filho, W., Mifsud, M., Shiel, C., Pretorius, R. (eds). Handbook of Theory and Practice of Sustainable Development in Higher Education. World Sustainability Series. Springer, Cham.
- Dutilleul, B.; Birrer, F.A.J.; Mensink, W. (2010): Unpacking European Living Labs: Analysing Innovation’s Social Dimensions. Central European Journal of Public Policy 4. (1). S. 60-85.
- Geibler J.v. / Piwowar J. (2017) Living Labs in Deutschland - Charakteriska der Living Labs in Deutschland: Services von Living Labs. Präsentation auf dem Syntheseworkshop „Innovationen 2.0: Welchen Nutzen haben innovative Unternehmen von Living Labs?“ am 13. Juni 2017 am Wuppertal Institut in Wuppertal. Wuppertal: Wuppertal Institut.
- Geibler, J. v., Erdmann, L., Dönitz, E., Stadler, K., Zern, R. (2018): Roadmap Living Labs für eine Green Economy 2030. Kurzfassung. Broschüre zum Arbeitspaket 7 (AP 7.4) im INNOLAB Projekt: „Living Labs in der Green Economy: Realweltliche Innovationsräume für Nutzerintegration und Nachhaltigkeit“. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI; Wuppertal und Karlsruhe. Verfügbar unter: www.innolab-livinglabs.de
- Keyson, D. V., Guerra-Santin, O., Lockton, D. (2017): Living Labs – Design and Assessment of Sustainable Living. Springer International Publishing.
- Liedtke, C.; Baedeker, C.; Hasselkuß, M.; Rohn, H.; Grinewitschus, V. (2015): User-integrated innovation in Sustainable LivingLabs: an experimental infrastructure for researching and developing sustainable product service systems. Journal of Cleaner Production 97. S. 106-16.
- Meurer, J.; Erdmann, L.; von Geibler, J.; Echternacht, L. (2015): Arbeitsdefinition und Kategorisierung von Living Labs (Siegen: Universität Siegen).
- Schuurman, D. / Tõnurist, P. (2017): Innovation in the Public Sector: Living Labs and Innovation Labs. In: McPhee, C. / Schuurman, D. / Ballon, P. / Leminen, S. (Westerlund, M. (Hg.): Innovation in Living Labs. Technology Innovation Management Review, January 2017 (Volume 7, Issue 1), S.7-14
- Schäpke, N./Stelzer, F./Caniglia, G./Bergmann, M./Wanner, M./Singer-Brodowski, M./Loorbach, D./Olsson, P./Baedeker, C./Lang, D. J. (2018): Jointly experimenting for transformation? Shaping real-world laboratories by comparing them. In: GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society, 27(1), S. 85-96.
- Ståhlbröst, A.; Holst, M. (2012): The Living Lab Methodology Handbook (Luleå: Luleå University).
- Verhoef, L.A., and Bossert, M. (2019): The university campus as living lab for sustainability – a practitioners guide and handbook. Delft/Stuttgart.
- Verhoef, L.A., Bossert, M., Newman, J. Ferraz, F., Robinson, Z.P., Agarwala, Y. Wolff III, P., Jiranek, P., Hellinga, C. (2019): Towards a learning system for University Campuses as Living Labs for sustainability. In: Universities as Living Labs for Sustainable Development: Supporting the Implementation of the Sustainable Development Goals-Volume 2. Springer 2018
- Von Geibler. J.; Greven, A. (2018): Living Labs – Innovationspotenzial für Unternehmen. Produkte praxisnah und gemeinsam mit Nutzern entwickeln. Informationsblatt für UnternehmerInnen im Arbeitspaket 8 (AP 8) des INNOLAB Projekts. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
- von Geibler, J.; Erdmann, L.; Liedtke, C.; Rohn, H.; Stabe, M.; Berner, S.; Jordan, N.D.; Leismann, K.; Schnalzer, K. (2013): Living Labs für nachhaltige Entwicklung Potenziale einer Forschungsinfrastruktur zur Nutzerintegration in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen (Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH).
LINKS
- European Network of Living Labs: www.openlivinglabs.eu
- FZI House of Living Labs: www.fzi.de/forschung/fzi-house-of-living-labs
- FISSAC Living Labs: fissacproject.eu/en/living-labs
- Future City Lab der Universität Stuttgart: www.r-n-m.net
- Living Labs in der Green Economy: www.innolab-livinglabs.de
- Übersicht über Methoden im Living Lab: www.innolab-livinglabs.de/de/ergebnisse/methoden-im-living-lab.html
- LivingLab der Fraunhofer Gesellschaft: www.inhaus.fraunhofer.de
- Projektnetzwerk zu Urban Living Labs: www.urbanlivinglabs.net
- Living Labs in Projekt PROSEU: proseu.eu/living-labs
- Reallabor 131: KIT findet Stadt: www.quartierzukunft.de/forschung/reallabor-131
- The Green Village der TU Delft: www.thegreenvillage.org
- Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit: www.reallabor-netzwerk.de
Steckbrief
- Aufwand: 1-2 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: je Workshop 0,5 bis 1,5 Tage
- Prozessdauer: 2 bis 3 Workshops über 0,25 bis 0,5 Jahre
- Anzahl Teilnehmende: 10 bis 20 Personen
- Integration: Konsultation bis Mitentscheidung
In Nutzerinnovations-Workshops entwickeln Sie gemeinsam mit Nutzer/innen Ideen und Konzepte für neue Produkte und Dienstleistungen. Idealerweise führen Sie mehrere aufeinander aufbauende Workshops mit den gleichen Teilnehmenden durch. Auf diese Weise unterstützen Sie die Produktentwicklung über einen längeren Zeitraum, indem Sie wiederholt Anregungen, Ideen und Feedback von Nutzer/innen einbeziehen.
In Nutzerinnovations-Workshops tauschen sich Produktentwickler/innen und Nutzer/innen direkt aus. Die Nutzer/innen nehmen eine Rolle als aktive Partner bei der Entwicklung von Lösungen ein. Die gemeinsame Arbeit an Problemlösungen fördert eine konstruktive Gruppendynamik, die gegenseitige Lernprozesse anstößt und die Entwicklung innovativer Ideen begünstigt.
Wenn Sie mehrere aufeinander aufbauende Workshops durchführen, wählen Sie jeweils Zeitpunkte, zu denen der Input von Nutzer/innen Sie in Ihrem Entwicklungsprozess voranbringt. Dies kann beispielsweise bei der Ideenentwicklung, der Bewertung eines Produktkonzeptes oder bei der Entwicklung von Marketing- und Vertriebsstrategien sein. An den Workshops sollten jeweils auf Unternehmens- und Nutzerseite die gleichen Personen teilnehmen. Dadurch lassen sich längerfristige Lernprozesse anstoßen. Außerdem erreichen Sie so eine steigende Arbeitsfähigkeit der Gruppe und damit hochwertigere Ergebnisse.
Auf Unternehmensseite bietet es sich an, Mitarbeiter/innen aus den Bereichen Forschung und Entwicklung, Umwelt und Nachhaltigkeit, Marketing und Vertrieb sowie Management ins Verfahren einzubinden. So erreichen Sie, dass die Workshop-Ergebnisse in eine bereichsübergreifende Produktentwicklung einfließen.
Anwendungsbereich
Nutzerinnovations-Workshops können Sie in verschiedenen Phasen des Innovationsprozesses einsetzen. Ideal ist die Begleitung eines Innovationsprozesses mit drei Workshops. Die Workshops dienen dann der Ideenentwicklung, der Ideenauswahl und der Ideenspezifikation in der Phase der Realisierung.
Nutzerinnovations-Workshops eignen sich für Unternehmen aller Größenklassen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die aufgrund finanzieller Engpässe nicht auf systematische Methoden zur Ermittlung von Nutzerwünschen zurückgreifen können, profitieren von diesem Partizipationsverfahren.
Ablauf
In Nutzerinnovations-Workshops kommen verschiedene Moderations- und Kreativitätstechniken zum Einsatz. Bei den Workshops sollten Sie zwischen Arbeitsphasen im Plenum und in Kleingruppen wechseln. So können Sie eine größere Vielfalt an Ideen entwickeln und aufgreifen. Zu Beginn des ersten Workshops sollten Sie in das Thema einstimmen und das Produktkonzept oder das Problem, für das Sie Produkt- und Dienstleistungsideen suchen, veranschaulichen.
In Themenfeldern wie der Energiewende, in denen das Innovationsumfeld stark im Wandel ist, sollten Sie zu Beginn mit Methoden arbeiten, die die Nutzer/innen auf die Zukunft und auf mögliche Veränderungen vorbereiten. Anschließend nutzen Sie Kreativitätstechniken, um die partizipative Entwicklung von Ideen anzuregen. Diese Ideen sollten die Teilnehmenden gemeinsam bewerten, die besonders interessanten weiter konkretisieren und dann gemeinsam ausarbeiten.
Wenn Sie mehrere aufeinander aufbauende Workshops durchführen, präsentieren Sie im jeweils folgenden Workshop zunächst die Verfeinerung oder Ausarbeitung der Idee(n) und arbeiten daran gemeinsam mit den Nutzer/innen weiter. So kommen Sie im Verlauf der Workshops zu abgestimmten Produktdesigns.
Wie das zweite Anwendungsbeispiel zeigt, können Sie Nutzerinnovations-Workshops auch mit Testphasen kombinieren. In diesen können die Nutzer/innen Prototypen der Neuentwicklung im Alltag testen und anschließend konkrete Nutzungserfahrungen in die folgenden Veranstaltungen einbringen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung von Nutzerinnovations-Workshops an:
- Erstellung eines Moderationsplans mit Diskussionsfragen
- Rekrutierung des Moderators/der Moderatorin
- Identifikation und Einladung von Teilnehmenden
- Organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen etc.)
- Durchführung des Workshops
- Dokumentation und Auswertung
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung eines Nutzerinnovations-Workshops zum Einsatz:
- Moderationsmaterialien (Flipchartblätter, Stifte, Moderationswände)
- Laptop, Beamer, Fotoapparat
Expertise
Nutzer/innen einzubeziehen erfordert zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Konfliktfähigkeit und Urteilsvermögen. Dies fordert besonders das Moderationsteam heraus. Die Moderation muss dafür Sorge tragen, dass zwischen den Unternehmensvertreter/innen und Nutzer/innen ein enger Austausch erfolgt und eine gleichberechtige Kommunikationssituation entsteht.
Beachten
- Innovationsgegenstand
Fokussieren Sie das Thema so, dass es für die Nutzer/innen alltagsrelevant und leicht verständlich ist. Die Komplexität des Innovationsgegenstandes sollten Sie so weit wie möglich reduzieren. Die Workshops selbst sollten Sie auf klar begrenzte Aspekte einer Innovation beschränken. Wichtig ist dabei, dass Sie diese Aspekte für die Nutzer/innen praxisnah und allgemeinverständlich aufbereiten. - Rolle des Unternehmens
In den Innovationsworkshops können die Mitarbeiter/innen Ihres Unternehmens unterschiedliche Rollen einnehmen. In der Phase der Ideenentwicklung sollten sie eher passiv und beobachtend sein und der Kreativität der Nutzer/innen weitgehend freien Lauf lassen. Eine beratende Rolle kommt ihnen bei der Konkretisierung und Weiterentwicklung der Innovationsideen zu. Ihr Wissen ist hier entscheidend, um eine umsetzbare Produktgestaltung zu ermöglichen. Aktiv teilnehmen sollten Ihre Mitarbeiter/innen bei der Bewertung von Produktideen und der Entwicklung von Vermarktungsstrategien. - Kontinuierliche Teilnahme
Schaffen Sie Anreize, damit Nutzer/innen und Ihre Mitarbeiter/innen wiederholt an den Workshops teilnehmen. Den Nutzer/innen können Sie zu diesem Zweck beispielsweise Aufwandsentschädigungen oder die Möglichkeit anbieten, Ihre Produkte zu testen. - Feedback an die Nutzer/innen
Für die Motivation der Nutzer/innen ist es wichtig, dass Sie ihnen zu Beginn ihre Rolle und möglichen Beiträge verdeutlichen. Zudem sollten Sie in Folgeworkshops darstellen, ob und wie Sie Anregungen und Ideen von Nutzer/innen aufgegriffen haben. Nach Abschluss der Workshop-Reihe sollten Sie die Teilnehmenden über die Folgen des Prozesses informieren. Sie können sie beispielsweise über den Abschluss des Innovationsprojektes sowie gegebenenfalls die Markteinführung in Kenntnis setzen.
Beispiele
Beispiel 1: Nutzerinnovations-Workshop zu Elektromobilität bei Entega
Das Energieversorgungsunternehmen Entega arbeitet daran, stationäre und mobile Speicher in das Stromnetz einzubinden. Bei den mobilen Speichern handelt es sich um Elektroautos, und Entega sucht nach Wegen, deren Fahrer/innen für Anpassungen ihres Ladeverhaltens an die Erfordernisse des Stromnetzes zu gewinnen. Ein solches netzdienliches Verhalten kann zum Beispiel darin bestehen, bei einem Überangebot an Windstrom die Autobatterien zu laden. Im Rahmen des Forschungsprojektes InnoSmart fanden bei Entega zwei aufeinander aufbauende Workshops mit einer Gruppe von sieben bzw. neun Nutzer/innen statt. Hierbei nahm ein Teil der Nutzer/innen an beiden Workshops teil, andere nur an jeweils einem. Von Seiten des Unternehmens war eine Person aus der Forschungsabteilung beteiligt. Der erste Workshop dauerte gut drei, der zweite gut vier Stunden.
Im ersten Workshop ging es um die Anforderungen der Nutzer/innen und um die Frage, unter welchen Bedingungen diese ein Elektroauto so auf- und entladen können, dass es netzdienlich ist. Zudem bewerteten die Teilnehmer/innen eine von Entega entwickelte Ampel, die anzeigt, wann das Laden aus Netzsicht sinnvoll ist, und erarbeiteten verschiedene Ideen zur Weiterentwicklung der Ampel. Unter anderem kam die Idee auf, eine App zu entwickeln, mit deren Hilfe Nutzer/innen das Laden automatisch an Grünphasen anpassen können. Nach dem Workshop realisierte Entega die App gemeinsam mit Partnern im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts. Anschließend konnten die Workshop-Teilnehmer/innen die Lade-App in einer einwöchigen Testphase ausprobieren. Dafür standen ihnen Elektroautos zur Verfügung.
Im zweiten Workshop, der im Abstand von neun Monaten stattfand, werteten die Teilnehmer/innen die Erfahrungen mit der App aus, evaluierten sie mit Hilfe von Leistungsindikatoren und erarbeiteten Ideen zu ihrer Weiterentwicklung. Zusätzlich entwickelten die Nutzer/innen mit Hilfe der Analogietechnik Ideen für Dienstleistungen rund um mobile und stationäre Speicher. Die Ergebnisse des Workshops flossen sowohl in die weitere Verbesserung der App als auch in andere Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu mobilen und stationären Energiespeichern ein.
Das Beispiel zeigt, dass die Verknüpfung von Workshops mit einer Testphase vorteilhaft ist. Die Nutzer/innen gewinnen so einen detaillierten Einblick in die Alltagstauglichkeit der Innovation und können sie auf dieser Basis reflektiert und kritisch bewerten. Zudem handelte es sich in diesem Beispiel um Nutzer/innen, die bereits an anderen Forschungsvorhaben oder Modellversuchen von Entega teilgenommen und darüber eine enge Bindung an das Unternehmen entwickelt hatten.
Beispiel 2: Nutzerinnovations-Workshops nach den INNOCOPE-Verfahren
INNOCOPE steht für “INNOvation through COnsumer-integrated Product dEvelopment”. Das vom IÖW gemeinsam mit der Universität Oldenburg entwickelte INNOCOPE-Verfahren ist eine Serie von drei Workshops, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Produktentwicklung (Ideenentwicklung, Ideenauswahl, Realisierung) stattfinden.
Gemeinsam mit dem Berliner Fahrradunternehmen HAWK Bikes setzten die Forscher/innen diese Methode bei der Entwicklung eines Pedelecs ein. Hierfür konnten sie mit Hilfe eines Marktforschungsinstituts, das die Rekrutierung nach festgelegten Kriterien (Mischung hinsichtlich Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Berufstätigkeit; Hälfte mit/ohne Kinder im Haushalt; Hälfte umweltbewusst; unterschiedliches Radfahrverhalten (alle können Radfahren, ein Drittel fährt kein Rad, ein Drittel fährt wenig, ein Drittel viel; keine Radsportler/innen) übernahm, eine Gruppe von 20 Nutzer/innen gewinnen, die innerhalb eines halben Jahres an drei Workshops teilnahmen (15 davon waren bei allen drei Workshops anwesend). Die Nutzer/innen erhielten eine Aufwandsentschädigung von 300 Euro für die Teilnahme an allen drei Workshops und drei zusätzlichen Interviews.
Aus dem Unternehmen nahmen der Geschäftsführer, ein Designer und der Produktmanager an den Workshops teil. Der erste Workshop konzentrierte sich auf die Entwicklung von Ideen, die am Ende des Workshops mit gemeinsam erarbeiteten Kriterien bewertet wurden. Ausgewählte Produktideen verfeinerten die Teilnehmer/innen im zweiten Workshop. Hierbei kamen verschiedene Methoden zum Einsatz: durch Storytelling wurden die Anforderungen an Pedelecs ausdifferenziert und in einer Mindmap strukturiert. Durch Zeichnungen an vorgefertigten Designvorlagen wurden Produktanforderungen und –merkmale visualisiert.
Zudem wurde in diesem Workshop diskutiert, für welche Alltagswege die teilnehmenden ein Pedelec nutzen würden und mit Hilfe eines Ökobilanztools wurden die Klimawirkungen von mit Pedelecs zurückgelegten Wegen mit anderen Verkehrsmitteln verglichen. Im dritten Workshop stellte das Unternehmen einen Prototypen zur Diskussion, den die Teilnehmenden mit Hilfe der 6-Hüte-Technik bewerteten. Anschließend entwickelten die Teilnehmenden gemeinsam Vermarktungsstrategien. Zwischen und nach den Workshops arbeitete das Unternehmen mit den entwickelten Ideen weiter.
Das Vorgehen und das Beispiel sind in einem Leitfaden ausführlich dargestellt.
Literatur und Links
- Arnold, M. (2011): Ideenwettbewerbe als Methode offener Innovationsprozesse. In: Belz, F., Schrader U., Arnold, M.: Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration, S. 39-49.
- Arnold, M.; Siebenhüner, B.; Hoffmann, E. (2007): INNOCOPE - ein partizipatives Produktentwicklungsverfahren: Konzept, Erprobung und Reflexion. In: Hoffmann, E.; Siebenhüner, B.; Beschorner, T. et al. (Hrsg., 2007): Gesellschaftliches Lernen und Nachhaltigkeit. Marburg: Metropolis; S. 247-272.
- Forschungsgruppe GELENA (2007): Leitfaden Innocope, www.gelena.uni-oldenburg.de/download/Leitfaden_final.pdf
- Hoffmann, E. (2012): User Integration in Sustainable Product Development. Organisational Learning trough boundary-spanning processes. Sheffield, UK.
- Pobisch, J., Eckert, S., Kustermann, W. (2007): Konsumentenintegration in Nachhaltigkeits?Innovationen – ein Beitrag zur unternehmerischen Verbraucherbildung? Consumer Science, Diskussionsbeitrag Nr. 12, München: TU München,
- Schrader, U.; Belz, F.-M. (2011): Nutzerintegration in Nachhaltigkeitsinnovationen: Ein- und Ausblicke. In: Belz, F.; Schrader U.; Arnold, M.: Nachhaltigkeitsinnovationen durch Nutzerintegration; S. 331-346.
- Schrader, U.; Belz, F.-M (2011): Mit Nutzerintegration zu Nachhaltigkeitsinnovationen. In: Defila et al: Wesen und Wege nachhaltigen Konsums. Ergebnisse aus dem Themenschwerpunkt “ Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsums“. München: oekom; S. 363-380.
TEMPLATE
Hier finden Sie ein Template zur Durchführung der Methode. Bitte ersetzen Sie die rot markierten Stellen durch eigene Angaben.
Steckbrief
- Aufwand: abhängig von der Dauer und Komplexität der Community
- Veranstaltungsdauer: von mehrtägigen Sprints bis zu mehreren Wochen
- Prozessdauer: bei einer 2-wöchigen (mittelfristigen) Onlinepräsenz ca. 3 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: zwischen 20 und 400 Personen
- Integration: Beforschung bis Konsultation
Moderierte Online Research Communities (ORC) sind Plattformen, die Unternehmen vielfältige Möglichkeiten bieten, um gemeinsam mit Nutzer/innen an Fragestellungen der innovativen Produkt- und Dienstleitungsentwicklung zu arbeiten. Ihr Vorteil ist es, dass sie tiefe Einblicke in die reale Lebenswelt der Nutzer/innen und zu ihren Einstellungen ermöglichen. Aufgrund der Durchführung im digitalen Raum können unabhängig von Ort und Zeit eine große Anzahl von Nutzer/innen mit einbezogen werden.
Für die Methode existieren verschiedene Bezeichnungen, wobei die Begriffe Online Research Community (ORC), Online-Innovations-Community, Insight Community, temporäre Studien Community und Market Research Online Community (MROC) am häufigsten verwendet werden.
Im Zuge der Energie- und Verkehrswende müssen viele neue Technologien und Dienstleistungen entwickelt werden, welche zum Teil direkten Einfluss auf das Alltagsleben von Nutzer/innen haben. Aus diesem Grunde ist es wichtig, Nutzer/innen bei der Entwicklung dieser Technologien frühzeitig mit einzubinden. Im Rahmen einer ORC können Sie über den direkten Austausch lernen, welche Anforderungen und Bedürfnisse potenzielle Nutzer/innengruppen haben und von welchen Produkten und Dienstleistungen sie sich angesprochen fühlen. Gerade durch ORC können Nutzer/innen örtlich ungebunden beforscht oder konsultiert werden – sie bieten einen geschützten Raum, in dem persönliche Meinungen und Einstellungen abgefragt werden können, haben aber auch den Nachteil, dass keine spontanen, nonverbalen Reaktionen zu beobachten sind.
Die Aufgaben und Ziele einer ORC sind vielfältig – meistens dient die Methode der Beantwortung einer konkreten Fragestellung und wird dieser entsprechend ausgerichtet und moderiert. Anders als beispielweise in sozialen Netzwerken, in denen die Mitglieder selbst entscheiden, wie öffentlich oder anonym sie agieren möchten, können Sie bei einer ORC bestimmen, in welcher Form die Mitglieder interagieren können und zu welchen Themen ihre Meinungen gefragt sind. Gerade durch diese aktive Steuerung des Kommunikationsgeschehens durch eine Moderation unterscheiden sich ORCs von anderen Online-Communities.
Im Rahmen von ORC kommen verschiedene Formate zum Einsatz, die beliebig kombiniert werden können: die Mitglieder der ORC können aufgefordert werden in Foren einzelne Aspekte im Rahmen der Innovationsentwicklung zu diskutieren, individuelle Online-Tagebücher (Blogs) über ihr Nutzungsverhalten von Prototypen zu führen, an gezielten Online-Diskussionen (ähnlich wie Fokusgruppen) zu spezifischen Themen teilzunehmen sowie Fragebogen- und Kreativaufgaben zu lösen.
Die Zielgruppe der ORC hängt von der Zielsetzung ab. Sollen beispielsweise die Perspektiven von Jugendlichen zu einer bestimmten Produkt- oder Dienstleistungsinnovation erfasst werden, sollten dementsprechend junge Menschen zwischen 14 und 25 rekrutiert werden. Zielt die ORC darauf ab, mit einer bestimmten technologischen Innovation verbundene Bedürfnisse von (potenziellen) Nutzer/innen zu ermitteln, so bietet es sich an, einen entsprechenden Personenkreis zu rekrutieren.
Besonders wichtig für den Erfolg einer ORC ist es, dass die Teilnehmenden sich mit dem Thema der Community identifizieren und sich gerne mit anderen zu diesem Thema austauschen möchten. So zeigt die Praxis, dass nicht nur Internet-affine Zielgruppen, sondern auch Teilnehmer/innen aus den weniger digital erprobten Generationen für ORC zu gewinnen sind. Grundsätzlich sollten Sie aber darauf achten, dass die Benutzeroberfläche keine technischen Hürden aufbaut und die Plattform möglichst einfach und selbsterklärend zu bedienen ist.
Abbildung: Beispiel einer Online Research Community; Quelle: Screenshot der ORC im Projekt „Zukunft? Jugend fragen!“
Der gesamte Kommunikationsprozess innerhalb einer ORC wird aufgezeichnet und wird anschließend analysiert und ausgewertet. Bei der Datenanalyse können je nach eingesetzter Messmethode unterschiedliche quantitative und qualitative Techniken zum Einsatz kommen: sei es die Auswertung durch statistische Verfahren, qualitative Inhaltsanalysen, semantische Netzwerkanalysen oder Netnographien (Anwendung von Methoden der Ethnografie auf Communitys im Internet).
Dabei werden drei Betrachtungsebenen (Makro, Meso- und Mikro-Ebene) unterschieden, wofür jeweils unterschiedliche Daten benötigt werden:
- Auf der Makro-Ebene werden die grundlegendsten Eigenschaften der ORC erfasst. Die hier erhobenen Daten umfassen Kennzahlen wie Mitgliederanzahl, Geschlechterverhältnisse und Durchschnittsalter der Teilnehmenden sowie deren Produktivität und (durchschnittliche) Verweildauer auf der Plattform.
- Auf der Meso-Ebene werden die Kommunikation und das Nutzungsverhalten der Teilnehmenden sowie die von ihnen geteilten Inhalte untersucht z.B. über Drop-Out-Analysen oder qualitative Inhaltsanalysen von Diskussions-Threads.
- Auf der Mikro-Ebene werden schließlich einzelne Community-Mitglieder oder Beiträge analysiert z.B. wie viele Beiträge sie verfasst haben, wie lange sie auf der Plattform online waren, wie sehr sie sich vernetzt haben und welche soziodemografischen Merkmale sie besitzen. Einzelne Beiträge können wiederum bezüglich ihrer Follow-Ups, ihrer Länge und ihrer Lesbarkeit untersucht werden.
Die Ergebnisse der meisten ORCs haben nicht den Anspruch, bevölkerungsrepräsentativ zu sein. Sie können jedoch repräsentativ für bestimmte Zielgruppen sein.
Anwendungsbereich
Als Unternehmen können Sie durch eine Community wertvolle Einblicke in die Lebenswirklichkeit ihrer Nutzer/innen, ihre potenziellen Nutzungsmotive für ein neues Produkt oder ihre Einstellungen zu einer Dienstleistungsinnovation gewinnen.
Unternehmen können ORCs also nutzen, um gemeinsam mit Nutzer/innen innovative Produkt- oder Dienstleistungsideen zu entwickeln. Auch bereits entwickelte Innovationen und Prototypen können Sie in einer ORC bewerten lassen und sich diesbezüglich das Feedback von Nutzer/innen einholen. ORC ermöglichen also eine Beteiligung von Nutzer/innen in Form von Beforschung bis hin zur Konsultation.
Ablauf
Im Rahmen von ORC können verschiedene Abläufe umgesetzt und unterschiedliche Formate modular miteinander kombiniert werden. Es gibt also keinen typischen Ablauf, er sollte aber auf die Fragestellung und Ziele Ihres Vorhabens angepasst sein. Idealerweise sollte ein möglichst abwechslungsreicher Methoden-Mix entstehen. Diskussionen in Foren, individuelle Online-Tagebücher (Blogs), Online-Diskussionen sowie Fragebogen- und Kreativaufgaben sind Formate, die besonders geeignet sind.
Durch gezieltes Fragen in Foren können Sie anhand ausführlicher, reflektierter Antworten vertiefende Einblicke erhalten. Ergänzend zu schriftlichen Beiträgen können auch Bild-, Video- oder Audiomaterial zugelassen werden. Die Diskussion kann über einen längeren Zeitraum stattfinden, sodass nicht alle Teilnehmenden gleichzeitig online sein müssen (asynchrone Diskussion).
In Online-Tagebüchern (Blogs) ermöglichen Sie es den Teilnehmenden ihre persönliche Wahrnehmung und ihre Erlebnisse bei der Nutzung eines Produkts oder Prototyps zu beschreiben und mit Fotos, Videos oder Audioaufnahmen zu dokumentieren. Die Methode eignet sich also besonders für Produkttests vor der Markteinführung. Blogs sind besonders wertvoll, da eine fundierte Interpretation der Einträge möglich ist.
Eine Online-Diskussion (oder Online-Fokusgruppe) ist ein Format, in dem 6-10 Teilnehmende synchron über ein Thema diskutieren. Da die Teilnehmenden zahlreiche Beiträge parallel verfolgen müssen, ist eine Online-Diskussion für sie sehr anspruchsvoll. Aus diesem Grund sollte sie nicht länger als 1,5 Stunden dauern und eher zum Ende einer ORC eingesetzt werden, wenn die Teilnehmenden mit den Funktionen bereits vertraut sind. Es bietet sich an, Online-Diskussionen von einem Team mit zwei oder mehr Moderator/innen durchzuführen. Wie bei einer analogen Fokusgruppe führt und strukturiert die Moderation die Diskussion und blendet zu den passenden Zeitpunkten vorbereitete Textbausteine, Präsentationen oder Grafiken ein.
Fragebogen- oder Kreativaufgaben sind abwechslungsreiche Methoden und gelten in ORCs als Stimuli. Unabhängig von der Aufgabe sollten Sie den Teilnehmenden ein bis drei Tage Bearbeitungszeit geben. Beim Lösen von Aufgaben setzen sich die Teilnehmenden tiefer mit dem Thema der ORC auseinander. Dabei sind die Antworten meistens nur für die Moderator/innen sichtbar. Zudem können Sie in einem „Call for Action“ die Teilnehmenden auffordern, bspw. eine collagenartige Seite zu ihren Produktvorlieben zu gestalten oder ein vorgefertigtes Template zur Bewertung einer Dienstleistung auszufüllen. Eine weitere Kreativaufgabe, die gleichzeitig als Stimuli gilt, ist der Ideenwettbewerb, bei dem unter den besten Ideen auch ein Gewinn vergeben wird.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer Online Research Community an:
- Forschungsplan entwickeln: Themen, Leitfaden inkl. Zeitplan und Form der Stimuli festlegen
- Definition der Teilnehmenden und ihrer Auswahlmerkmale
- Vorbereitung der Datenerhebung
- Auswahl einer passenden technischen Softwarelösung
- Rekrutierung des Moderationsteams
- Testen der Demo-Version des Tools
- Rekrutierung der Teilnehmenden
- Zugangsdaten verschicken (mindesten drei Tage vor Start der ORC)
- Ggf. Abstimmung über grundlegende Verhaltensweisen mit den Teilnehmenden
- Aufzeichnung und Analyse der gesammelten Daten
Expertise
- Online-Moderation: Grundsätzliches Ziel ist es, eine konstruktive Gesprächsführung und angenehme Atmosphäre in der Community herzustellen. Die gelingt, indem Sie die Diskussionen aktiv steuern, zurückhaltende Teilnehmer/innen auffordern sich zu beteiligen, durch gezieltes Nachfragen Inhalte vertiefen, bei missverständlichen Beiträgen um Ausführung bitten, Themen bündeln und einordnen. Hilfreich ist es, die Teilnehmenden mit unterhaltsamen und spannenden Fragen anzusprechen und „Präsenz“ zu zeigen, indem Sie auf die Beiträge eingehen und reagieren. Die Moderation kann meinungsstarke Teilnehmer/innen bitten, sich zurückzuhalten. Gerade bei synchronen Formaten bietet es sich an mehrere Moderator/innen einzusetzen.
- Social Media Kompetenzen & Netiquette: Für die Online-Moderation sollte Sie mit der Technik, mit Social Media sowie der Online-Arbeit vertraut sein. Legen Sie zudem eine Netiquette fest bspw., dass Beiträge aus vollständigen Sätzen bestehen müssen. Unfreundlichkeiten, Pöbeleien und Beleidigungen sollten geahndet werden und im Zweifelsfall zum Ausschluss aus der Community führen. Diese Regeln sollten transparent an alle Teilnehmenden kommuniziert werden.
- Datenauswertung: Für die Datenauswertung ist ausgewiesene quantitative und qualitative methodische Expertise erforderlich. Hierfür können Sie gegebenenfalls entsprechende Expert/innen beauftragen. Zum Teil bieten auch Marktforschungsinstitute entsprechende Dienstleistungen zu ihren ORC-Angeboten an.
Beachten
- Datenerhebung
Legen Sie vorab fest, wie breit und tief Sie die ORC auswerten möchten. Denn davon hängt es ab, welche Daten überhaupt erhoben werden müssen. Schließlich sollten Sie geeignete quantitative und qualitative Auswertungsmethoden und -werkzeuge auswählen. - Auswahl der Softwarelösung
Da für ORCs das Betreiben einer entsprechende Software-Plattform notwendig ist, die komplexe Funktionen und Interaktionsformen ermöglichen soll, bietet es sich an dafür Angebote von entsprechenden Dienstleistern einzuholen. Sie sollten die Softwarelösung dann je nach den von Ihnen benötigten Funktionen wie Foren, Blogs für Online-Tagebücher, Uploads von Videos und Bildern, Like & Dislike Funktionen und Umfragen auswählen. Achten Sie bei der Auswahl auch darauf, welche Daten erhoben werden sollen und ob die Softwarelösung entsprechende Möglichkeiten bietet. - Rekrutierung
Da es sich als besonders wichtig herausgestellt hat, dass die Teilnehmenden eine hohe Identifikation mit dem Thema der ORC aufweisen, bietet es sich möglicherweise an, die Teilnehmenden über alternative Rekrutierungswege wie Unternehmensdatenbanken sowie soziale Netzwerke zu rekrutieren. Auch können Website-Besucher/innen des Unternehmens angefragt werden. Eine weitere Option ist es, die Rekrutierung von einem Marktforschungsinstitut durchführen zu lassen. Überlegen Sie zuvor, ob Sie möchten, dass die Teilnehmenden wissen, für welches Unternehmen oder zu welchem Thema die Studie durchgeführt wird, um Verzerrungen in der ORC bspw. durch soziale Erwünschtheit zu vermeiden. - Incentivierung
Um zur Teilnahme an einer ORC zu motivieren, sollten Sie den Community-Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung zahlen, die je nach Vorbereitungs- und Community-Dauer zwischen 50 und 150 Euro liegen kann. Weitere unterstützende Anreize können auch ein Ideenwettbewerb oder die Verlosung eines Gewinns/Preises sein, die im Rahmen der ORC stattfinden. - Stimuli
Um neue Themen oder Fragen einzuleiten, überlegen Sie sich Stimuli. Dies kann ein Video, ein Foto, eine Präsentation oder auch ein „Call for Action“ sein, in dem die Mitglieder der Community mit Aufgaben zum Mitwirken und Interagieren aufgerufen werden. - Zeitplanung
Menschen können nur in ihrer frei verfügbaren Zeit an einer ORC teilnehmen, also vor allem früh morgens, mittags, nach Feierabend und am Wochenende. Planen Sie daher als Moderationsteam ausreichend Kapazitäten zu den Stoßzeiten ein. - Community-Regeln
Unter Community-Regeln sind all jene Aspekte zu verstehen, die das digitale Miteinander bestimmen und meist unter den Begriffen Netiquette oder Chatiquette zusammengefasst werden. Folgende Regeln haben sich in ORCs bewährt:- Emoticons verwenden: Sie ergänzen das geschriebene Wort um Kontextinformationen wie Mimik, Gestik und Tonfall eines Beitrags.
- „Ruhe bitte"-Signal festlegen: Dies kann entweder technisch über ein Handzeichensignal oder in schriftliche Form z.B. über drei Ausrufezeichen realisiert werden.
- Klarnamen (keine Fantasienamen) nutzen und bei diesen bleiben: So können Sie die Teilnehmenden immer klar zuordnen und erleichtern die Gruppenkoordination.
- Multi-Threading vermeiden: Thematisch ähnliche Fragen sollten Sie in Foren bündeln. Auch sollten nicht zu viele Fragen und Themen gleichzeitig diskutiert werden, um die Teilnehmenden nicht zu überfordern. Stellen Sie lieber eine Frage nach dem anderen und weisen Sie als Moderation daraufhin, in welchem Format (Forum, Chat, etc.) ein bestimmtes Thema behandelt wird.
- Vorbereitung von Einträgen: Die Community-Mitglieder können über „Calls for Action“ dazu aufgefordert werden Einträge im Vorfeld vorzubereiten und dann zu einem bestimmten von der Moderation vergebenen Zeitpunkt hochzuladen. Dies bietet sich vor allem bei synchronen Kommunikationsformen an (z.B. bei Chats).
- Referenzierungen verwenden: Um einen inhaltlichen Zusammenhang herzustellen, ist es hilfreich, Personen mit Namen anzusprechen oder sich auf einen bestimmten Eintrag zu beziehen, indem dieser kopiert bzw. zitiert wird.
- Schreibweise: Legen Sie fest, dass Beiträge aus vollständigen Sätzen bestehen sowie Groß- und Kleinschreibung beachtet werden sollen.
- Sanktionierung: Beleidigungen und Verleumdungen oder ähnliche Verstöße sollten Sie sanktionieren und ein klares und transparentes Verfahren für Ausschlüsse aus der Community festlegen.
- Datenanalyse
Warten Sie mit der Auswertung der gesammelten Daten nicht erst bis zum Ende der Community-Laufzeit. Da permanent Daten anfallen, lohnt es sich die anfallenden Informationen täglich auszuwerten bzw. kurze Notizen zu erstellen. So können Sie auch Entwicklungen bei den Teilnehmenden über die Zeit festhalten.
Beispiele
Beispiel 1: Online Research Community zur Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen
Das Forschungsprojekt „Community-basierte Dienstleistungsinnovation für e-Mobility“ (CODIFeY) widmete sich der Frage, wie potenzielle E-Mobilitätsnutzer/innen zu tatsächlichen Nutzer/innen gemacht werden könnten. Dafür wurden im Rahmen des Projekts die Online Research Community eMobilisten entwickelt, die sowohl der Dienstleistungsinnovation auf Seiten der Forscher/innen als auch dem Wissensaufbau auf Seiten der Teilnehmenden diente. Die ORC wurde von einem Forschungsteam von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg, der Technischen Universität Chemnitz und der Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (Fraunhofer IIS) betreut und begleitet.
Um ganzheitliche und integrierte Produkt-Dienstleistungs-Bündel im Bereich der E-Mobilität zu entwickeln, wurde in der ORC gemeinsam mit den Community-Mitgliedern Ideen generiert und Konzepte evaluiert. Die Mitglieder wurden durch sogenannte „Calls for Action“ über die Plattform aufgerufen, ihre Ideen und Meinungen zu verschiedenen Themen der E-Mobilität mit der Community zu teilen sowie verschiedene Dienstleistungskonzepte zu diskutieren. So wurden beispielsweise zu den Themen „Was macht E-Mobilität wirklich umweltfreundlich?“ und „Ein zweites Leben für E-Autobatterien“ Ideen gesammelt.
Insgesamt gab es während der Projektlaufzeit 13 solcher Ideenaufrufe, auf die die Community-Mitglieder mit insgesamt 724 Beiträgen in Form von Kommentaren reagierten. Außerdem konnten die Mitglieder Beiträge bewerten und an Befragungen teilnehmen. Die Beiträge der Mitglieder wurden für die Entwicklung und Erprobung unterschiedlicher Dienstleistungen im Bereich der e-Mobilität verwendet. Die ORC eMobilisten hatte im Projektzeitraum mehr als 400 aktive Mitglieder.
Insgesamt wurden im Projekt CODIFeY sieben Dienstleistungsprototypen zu unterschiedlichen Aspekten der E-Mobilität entwickelt. Diese sind als Bausteine einer E-Mobilisierungsstrategie anzusehen, um aus Interessent/innen überzeugte Nutzer/innen von E-Mobilitäts-Angeboten zu machen. Sie zielten auf unterschiedliche Facetten der Aktivierung ab: der Wissensvermittlung, der Auswahl eines Fahrzeugs, dessen Nutzung und Ladung sowie Recycling. Unter den Prototypen befand sich beispielsweise der unabhängige und web-basierte Kaufberater „Smart-e-Choice“, mithilfe dessen interessierte Käufer/innen Marktangebote vergleichen können. Die Dienstleistungsprototypen wurden nach Abschluss der Entwicklungsphase in einem Innovationslabor einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und konnten dort ausprobiert, evaluiert und weiterentwickelt werden.
Beispiel 2: Online Research Community in der Jugendforschung
Im Projekt „Zukunft? Jugend fragen!“, gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), wurde erforscht, was Umwelt- und Naturschutz sowie eine nachhaltige Stadtentwicklung für Jugendliche und junge Erwachsene bedeuten. Um zu verstehen, wie junge Menschen zu diesen Themen stehen, was sie in dieser Hinsicht bewegt, was sie denken und fühlen, wurde im Rahmen des Projektes unter anderem eine ORC durchgeführt. Sie war ein Baustein eines Methoden-Mixes, den das Forschungsteam vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, der holzhauerei, Muliplicities und sociodimensions einsetzte.
Die ORC im Mai 2017 dauerte zwei Wochen und es nahmen insgesamt 44 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 22 Jahren teil. Männliche und weibliche Teilnehmende waren zu gleichen Teilen vertreten. Um das gesamte Spektrum junger Lebenswelten zu repräsentieren, wurde bei der Rekrutierung darauf geachtet, dass junge Menschen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus, sozialen Lebenssituationen und Wertorientierungen teilnahmen. Sie wurden nach Quoten-Vorgaben von einem Marktforschungsinstitut rekrutiert.
Im Rahmen der ORC konnten die jungen Teilnehmenden ihre Meinungen zu verschiedenen Themen wie Leben in der Stadt, Nachhaltigkeit im Alltag, Umwelt im Bildungsbereich oder Erwartungen an politische Entscheiderinnen und Entscheider mitteilen und sich dazu austauschen. Dafür plante das Projektteam einen Aufgaben-Mix aus Foren, Einzelaufgaben, Diskussionen in Kleingruppen und kreativen Aufgaben. Die Teilnehmenden wurden abwechslungsreich angesprochen, um sicherzustellen, dass die Teilnehmenden eine geeignete Form finden konnten, um sich auszudrücken.
Bei einer Assoziationsaufgabe wurden die Teilnehmenden beispielsweise aufgefordert, alles zu notieren, was ihnen spontan zu den Begriffen „Natur“, „Umwelt“, „Nachhaltigkeit“, „Wirtschaftswachstum“ oder „Gerechtigkeit“ einfällt. Eine weitere Aufgabe zielte darauf ab, herauszufinden, wie Angebote im Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) beschaffen sein sollten, um das Interesse und die Akzeptanz bei jungen Menschen zu wecken. Dazu sollten die Teilnehmenden der ORC verschiedene Angebote bewerten, die ihnen in Form von Projektsteckbriefen zu fünf unterschiedlichen Bildungsformaten vorgelegt wurden.
Die Rückmeldungen zeigten, dass die ORC von den Teilnehmenden sehr positiv aufgenommen wurde. Den meisten hat es Spaß gemacht, sich zu beteiligen und sich mit den anderen auszutauschen. Auch konnten einige Teilnehmer/innen dazu angeregt werden, sich im Alltag mehr mit Nachhaltigkeitsthemen zu befassen. Somit konnte mit der ORC auch ein Lerneffekt bei den Teilnehmenden ausgelöst werden. Die Ergebnisse der ORC flossen gemeinsam mit den Ergebnissen aus den zuvor im Projekt durchgeführten Experteninterviews im Bereich der Jugendforschung und zwei Workshops mit jungen Menschen in die Erstellung des Fragebogens für eine repräsentative Befragung von jungen Menschen zu ihren Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen hinsichtlich ihrer Werte und Lebensziele, Zukunftsvorstellungen ein.
Literatur und Links
- Aust, A. et al. (2018). Gemeinsam unter Strom – Abschlussbericht des Projektes Community-basierte Dienstleistungsinnovation für e-Mobility (CODIFeY)
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU); Gossen, M.; Fünning, H.; Holzhauer, B.; Schipperges, M. (2018): Zukunft? Jugend fragen! Nachhaltigkeit, Politik, Engagement – eine Studie zu Einstellungen und Alltag junger Menschen
- Dössel, C. (2012): Status Quo “Online Research Communities”. Hürth: Smart News Fachverlag GmbH
- Eisele, J. (2011): Marktforschung 2.0 mit Market Research Online Communities (MROCs). In: Wagner U., Wiedmann KP., von der Oelsnitz D. (Hrsg.): Das Internet der Zukunft. Wiesbaden: Springer Gabler.
- Kühn, E. (2019): 14 Tipps zur Durchführung einer Research Community. Blogbeitrag. Hamburg: produktbezogen.de
- Schey, S.; Wieseke, D. (2010): Hand in Hand: Qualitative Online- und Offline-Forschung kreativ kombinieren. Berlin: Kernwert
- Schmidt, M.; Schatilow, M. (2017): Das ganz normale Leben. Online-Communitys als flexibles Tool. München: Reitmeier Input Management Services GmbH
- Scholl, G.; Fünning, H.; Holzhauer, B.; Lange, B.; Schipperges, M. (2018): Junge Perspektiven auf Umwelt- und Stadtpolitik. Prozessbericht zum Projekt „Zukunft? Jugend fragen!“. Berlin: Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
- Beckmann S.C., Langer R. (2007): Netnographie. In: Buber R., Holzmüller H.H. (Hrsg) Qualitative Marktforschung. Wiebaden: Springer Gabler.
Weiterführende Links zur Online-Moderation
- Informationen und Tipps für die Moderation von (Online-) Gruppen des „Informationsportal Hochschullehre“ der Universität Bremen
- Hinweise zu Online Moderationsregeln im „Informationsportal Hochschullehre“ der Universität Bremen
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Tipps für die Moderation von Online-Diskussionen
- Wiki zur E-Moderation des „Zentrums für multimediales Lehren und Lernen“ (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Steckbrief
- Aufwand: bis zu 4 Personenmonaten zzgl. kontinuierlicher Pflege
- Dauer: dauerhaft einsetzbar
- Anzahl der Teilnehmenden: k. A.
- Integration: Konsultation
Ein User Toolkit bietet Ihnen die Möglichkeit, Nutzer/innen als Co-Designer/innen oder Co-Kreator/innen in Innovationen einzubinden. Auf einer meist webbasierten Design- und Innovationsplattform können User mithilfe kombinierbarer Elemente und spezifischer Tools vom Hersteller angebotene Produkte den eigenen Wünschen anpassen. Zusätzlich ermöglicht es Ihnen ein Toolkit, mit geringem Aufwand wertvolle Informationen über die Präferenzen Ihrer Zielgruppe zu erfassen.
Idee der User-Toolkit-Methode ist, den oft aufwändigen Trial-and-Error Prozess in der Produktgestaltung an die Nutzer/innen abzugeben. Üblicherweise versucht der Hersteller durch Variation, Kombination und Evaluation sich mit der Lösung eines Innovationsproblems den Bedürfnissen der Nutzer/innen anzunähern. Mit User Toolkits befähigen Sie die Nutzer/innen, ihre Bedürfnisse zu konkretisieren und in eine fertige Lösung zu überführen.
Es gibt drei Typen von User Toolkits. Sie folgen alle derselben Idee, unterscheiden sich aber mit Blick auf den Lösungsspielraum, den die Nutzer/innen haben:
- Toolkits for User Innovation bieten Nutzer/innen die Möglichkeit, neuartige Produkte zu schaffen. Ziel dieses Toolkits ist es, Nutzer/innen in den kreativen Entwicklungsprozess einzubinden und Erfindungen zuzulassen, die im Verlauf auch der breiten Masse angeboten werden können. Daher sollten Sie bei diesem Toolkit so wenig Einschränkungen wie möglich machen, um nicht nur Anpassungen sondern auch tatsächliche Neuentwicklungen durch die Nutzer/innen zu ermöglichen. Dieses Toolkit bietet aufgrund der höheren Freiheiten im Gestaltungsprozess potenziell höhere Erkenntnisgewinne. Bezogen auf den Aufwand für die Programmierung und die Evaluation der Entwürfe sowie in Sachen Bedienbarkeit ist es der anspruchsvollste Toolkit-Typ.
- Toolkits for User Co-Design ermöglichen die Anpassung und Individualisierung von Produkten an spezifische Kundenwünsche. Dabei begrenzen Sie durch die Vorgabe von kombinierbaren Standardkomponenten die Gestaltungsmöglichkeiten für die Nutzer/innen. Gleichzeitig stellen Sie dadurch die Umsetzbarkeit der Kundenwünsche sicher und erleichtern die Planung des Ressourceneinsatzes. Diese Toolkits spielen daher eine zentrale Rolle in sogenannten Mass-Customization-Verfahren, bei denen Nutzer/innen Massenprodukte individualisieren können.
- Toolkits zum Ideentransfer zielen auf die Weitergabe von kreativen Lösungsvorschlägen von Nutzer/innen an die Unternehmen. Sie entsprechen weitestgehend den Methoden externen Vorschlagwesens und sind mit geringem Ressourcenaufwand gut realisierbar.
Den geeigneten Toolkit-Typ wählen Sie je nach Zielsetzung und verfügbaren Ressourcen.
Anwendungsbereich
Grundsätzlich können Sie User Toolkits in verschiedenen Phasen des Innovationsprozesses einsetzen. Die Nutzung ist dabei auch von der Art des gewählten Toolkits abhängig. Toolkits for User Innovation können Sie bereits in der Ideengenerierung anwenden. Toolkits for User Co-Design setzen Sie dagegen eher zu Beginn des Produktionsprozesses ein. Durch die mit dieser Methode entstehenden individualisierten Produkte erhalten Sie wichtige Informationen über Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Nutzer/innen. Diese können Sie in zukünftige Produktentwicklungen nutzen.
Ablauf
- 1. Schritt: Erstellung eines Anforderungskatalogs für die partizipative Gestaltungsaufgabe und Wahl eines dafür geeigneten Toolkit-Typs
- 2. Schritt: Programmierung des Toolkits; hier kann eine kontinuierliche Testung und Überprüfung der Programmierschritte notwendig sein
- 3. Schritt: Pretest des Toolkits, um nachträgliche Änderungen zu vermeiden
- 4. Schritt: kontinuierliche Pflege des Toolkits und Interaktion mit den Nutzer/innen auf der Plattform (unter anderem Beantwortung thematischer Fragen sowie Fragen zur Handhabung des Toolkits)
Expertise
Die User-Toolkit-Methode verlangt Fachwissen und Kompetenzen für die Interaktion mit den Nutzer/innen sowie für die Umsetzung des direkten Feedbacks an die Nutzer/innen zu ihren Lösungsvorschlägen. Letzteres erfordert häufig sehr aufwändige Berechnungen (zum Beispiel für die Energieeffizienz eines Passivhauses, siehe Abschnitt Anwendungsbeispiel). Als Ansprechpartner für die Nutzer/innen zu inhaltlichen Fragen, sollten Sie Personen bestimmen, die vertiefte Produktkenntnisse haben und fundiert Auskunft geben können.
Beachten
Kosten der Umsetzung
Der Aufwand zur Einrichtung und Pflege eines Toolkits for User Innovation ist besonders hoch. Besondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sollten dies beachten. Diese Toolkits sind in KMU nur bedingt einsetzbar.
Durchführung eines Pretests
Mit der Durchführung eines sorgfältigen Pretests können Sie nachträgliche, kostenwirksame Anpassungen vermeiden.
Gestaltung des Toolkits
- Trial-and-Error: Sie sollten den Nutzer/innen die Möglichkeit bieten zu experimentieren und unter verschiedenen Optionen zu wählen. Die Toolkit-Anwendung sollte die Konsequenzen dieser Aktionen durch geeignete Kenngrößen darstellen, Dadurch erhalten die Nutzer/innen ein direktes Feedback zu Erfolg und Realisierbarkeit ihrer Vorschläge. Im Anwendungsbeispiel geschah dies durch die Berechnung des Primärenergiebedarfs und der Wirtschaftlichkeit der entwickelten Passivhäuser.
- Zulässiger Lösungsraum: Der Lösungsraum eines Toolkits ist die Gesamtzahl möglicher Kombinationen, die Nutzer/innen wählen können. Den Lösungsraum definieren Sie bereits im Vorhinein. Seine Größe hängt auch vom gewählten Toolkit-Typ ab. Beim Toolkit for User Co-Design wird er zum Beispiel durch die Vorgabe einzelner Komponenten begrenzt. Dabei sollten Sie zwischen einem hohen Maß an Gestaltungsfreiheit und der damit einhergehenden Komplexität abwägen. Zu viele Optionen bei der Individualisierung des Produkts könnten für Nutzer/innen zu aufwändig sein und sich negativ auf die Beteiligung auswirken. Außerdem ist es wichtig, nur solche Kombinationen zuzulassen, die sich aus technischer und wirtschaftlicher Perspektive auch tatsächlich produzieren lassen.
- Nutzerfreundlichkeit: Die Nutzerfreundlichkeit beschreibt die durch die Nutzer/innen wahrgenommene Qualität der Interaktion mit einem Toolkit. Diese wird besonders dadurch beeinflusst, wie die Nutzer/innen die Kosten (Zeit, intellektueller Aufwand) und den Nutzen (Zufriedenheit mit der entwickelten Leistung, Spaß bei der Entwicklung) wahrnehmen. Bei der Entwicklung des Toolkits sollten Sie daher besondere Sorgfalt walten lassen. Während des gesamten Prozesses stellt es die Kommunikationsplattform zwischen Ihnen und den Nutzer/innen dar. Eine einfache, intuitive Bedienung des Toolkits ist daher entscheidend, um die Zufriedenheit und die Leistung der Nutzer/innen zu erhöhen.
- Übersetzung der Kundenlösung: Die Nutzer/innen übermitteln ihre entwickelte Lösung (und mögliche Zusatzinformationen) an Sie als Betreiber der Toolbox. Dies erfordert eine fehlerfreie Übermittlung, zum Beispiel durch eine Speicherfunktion mit der Möglichkeit, ergänzende Kommentare zu den entwickelten Lösungen zu hinterlassen.
Beispiel
Ziel des User Toolkits „Der Hausoptimierer“ war die beschleunigte Verbreitung des Passivhauskonzepts, das aufgrund seiner hohen Energieeffizienz als eine zentrale Nachhaltigkeitsinnovation gilt. Die Technische Universität Berlin entwickelte das Toolkit zusammen mit seinem Praxispartner 81fünf, einem Netzwerk aus regionalen Holzbauunternehmen, Zimmereien, Architekten und Haustechnikern. Eine glaubwürdige Informationsvermittlung, die nutzerbasierte Produktdifferenzierung sowie die Ansprache von interessierten Personen zur Teilnahme an Innovationsworkshops waren die zentralen Anforderungen an den Hausoptimierer.
Aufgrund begrenzter Ressourcen realisierten die Projektpartner ein Toolkit for User Co-Design. Dieses Toolkit begrenzt den zulässigen Lösungsraum für die Nutzer/innen, indem es die für ein Passivhaus typischen Elemente vorgibt (zum Beispiel Dämmstandards sowie Heizungs-, Lüftungs- und Solaranlagenkonzepte). Über die Angabe des Primärenergiebedarfs und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung stellte das Tool die Auswirkungen individueller Lösungsvorschläge dar. Infoboxen mit Hintergrundinformationen sollten dabei zusätzlich eine bewusste Auswahl ermöglichen.
Die Projektpartner bewarben das Toolkit über viele verschiedene Kommunikationskanäle (Pressemitteilungen, Flyer, Newsletter). In den ersten sechs Monaten wurden über 7.000 Besucher/innen auf der Plattform gezählt. Zusätzlich förderten der Austausch der Nutzer/innen untereinander und mit dem Unternehmen das Vertrauen in das Projekt sowie die Bereitschaft, eine Teilnahme weiterzuempfehlen. Eine solche Kommunikation bedarf jedoch einer kontinuierlichen Pflege. Dies bedeutete im Fall des Hausoptimierers vor allem, Fragen bezüglich der Verwendung des Toolkits und der Thematik des Passivhauses zu beantworten.
Nach den ersten sechs Monaten wurde ein Redesign des Toolkits vorgenommen, um seine Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Die vorgenommenen Änderungen basierten auf einem Usability-Test. Der Zweck des Toolkits wurde dadurch besser erläutert sowie Inhalt und Design reduziert und klarer strukturiert. Außerdem verfügte das überarbeitete User Toolkit über eine vereinfachte Navigation und Spielelemente, wie das Fassaden-Einfärben, eine Haus-Illustration und ein Quiz. Auf diese Weise ließen sich die Motivation, die Nutzerfreundlichkeit sowie der Lernzuwachs der Nutzer/innen steigern.
Literatur und Links
- Diehl, B.; Steiner, S.; Reinstadler, E. (2011): Das Toolkit – Verstehen und Gestalten von Passivhäusern. In: Belz, F.; Schrader, U.; Arnold, M. (Hrsg.) (2011): Nachhaltigkeitsinnovation durch Nutzerintegration. Marburg. S. 304-315
- Hoffmann, E. (2012): User Integration in Sustainable Product Development. Organisational Learning trough boundary-spanning processes. Sheffield, UK.
- Humphrey, s.; Laass, M.; Falk, B; Drobny, D.; Schmitt, R.(2014): EMOTIO – Design of a Toolkit Enabling User Innovation. Procedia CIRP 16. Product Services Systems and Value Creation. Proceedings of the 6th CIRP Conference on Industrial Product-Service Systems. S. 181–186.
- Reichwald, R.; Piller, F. (2009): Interaktive Wertschöpfung. Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung. 2. Vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden.
Toolbox für Unternehmen (3/3)
Partizipative StrategieentwicklungMärkte im Wandel bedeuten Unsicherheiten für Unternehmen – besonders mit Blick auf künftige Marktteilnehmer, Kundenbedürfnisse und Regulationen. Eine partizipative Analyse der kommenden Herausforderungen und Chancen hilft Ihnen, diesen Unsicherheiten zu begegnen. Dabei integrieren Sie Ihre Stakeholder sowie Nutzerinnen und Nutzer neuer Produkte- oder Dienstleistungen in die Strategieentwicklung. Diese Methoden unterstützen Sie darin. Sie eignen sich für einzelne Unternehmen und für Unternehmensverbände.
Steckbrief
- Aufwand: ca. 3 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: ein- bis zweitägiger Workshop
- Prozessdauer: ca. 5 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 12 bis 36 Expert/innen
- Integration: Konsultation
Mit einem Gruppendelphi können Sie den Wissensstand von Expert/innen zu einem Thema aufbereiten und auf diese Weise einen Überblick über Konsens und Dissens bei Expertenurteilen bekommen. Dies ermöglicht Ihnen eine Einschätzung für die Bewertung von Sachverhalten, Ereignissen oder Entwicklungstendenzen.
Das Gruppendelphi ist eine Variante des klassischen Delphi-Verfahrens, welches häufig in der Zukunftsforschung und Technologiebewertung zum Einsatz kommt. Eine Gruppe von Expert/innen beantwortet dabei ein und denselben Fragenkatalog mehrmals. In jeder neuen Runde sollen die Expert/innen die Antworten der Gruppe aus der vorherigen Befragung berücksichtigen. Dieses Vorgehen soll die Varianz der Bewertungen verringern und die Urteilssicherheit erhöhen.
Ein wesentlicher Nachteil der klassischen Delphi-Methode besteht darin, dass sie keine Begründungen für abweichende Urteile erfasst. Dadurch stehen Ihnen diese wichtigen Informationen nicht zur Verfügung. Mit dem Gruppendelphi nutzen Sie die erprobten Prinzipien der Delphi-Methode und können gleichzeitig ihre Nachteile vermeiden.
Anwendungsbereich
Das Gruppendelphi eignet sich besonders für die Diskussion von Themen und Entwicklungen, über deren Bewertung, Auswirkungen und Potenziale große Unsicherheiten bestehen. In solchen oftmals kontroversen Situationen wenden Sie diese Methode an, um Klarheit über den Vorrat an einheitlichen Einschätzungen sowie Transparenz über die unterschiedlichen Argumente zu erhalten, die abweichenden Urteilen zugrunde liegen. Mit dem Gruppendelphi nutzen Sie die Expertise von Expert/innen zum Beispiel zur Priorisierung von politischen Handlungsempfehlungen, für Einblicke in neue Erkenntnisse der wissenschaftlich-technischen Forschung oder zur Bewertung von Programm- und Projektergebnissen. Die Methode ist eher nicht geeignet für die Analyse von überwiegend von Werten und Interessen geprägten Debatten.
Ablauf
Bei einem Gruppendelphi laden Sie ausgewählte Expert/innen zu einem ein- bis zweitägigen Workshop ein. Diesen gestalten Sie als Wechsel von Gruppenarbeit und Plenumsdiskussionen. Zu Beginn des Workshops teilen Sie die Expert/innen in Kleingruppen von drei bis sechs Personen auf. Jede dieser Kleingruppen füllt den von Ihnen zuvor erarbeiteten standardisierten Fragebogen aus. Die Antworten jeder Kleingruppe sollten grundsätzlich im Konsens erfolgen. Allerdings sollten Sie auch die Möglichkeit von Minderheitsvoten vorsehen.
In der anschließenden Plenumsdiskussion fokussieren Sie dann auf die Abweichungen in den Antworten zwischen den Kleingruppen. Dazu bitten Sie die zuvor gewählten Vertreter/innen der Kleingruppen, ihre unterschiedlichen Standpunkte zu einer Frage zu erläutern. Dadurch legen Sie die Argumentationsmuster hinter den abweichenden Antworten zwischen den Gruppen offen. Wie sich die Expert/innen innerhalb der Kleingruppen auf eine gemeinsame Antwort einigen, ist dagegen nicht entscheidend.
In der zweiten Workshop-Runde wiederholen Sie die Folge von Kleingruppenarbeit und Diskussion im Plenum. Allerdings setzen Sie jetzt nur noch die Fragen auf die Agenda, zu denen es Uneinigkeit gibt. Dieses Vorgehen wiederholen Sie idealerweise so lange, bis keine Veränderungen im Meinungsbild mehr auftreten oder sich Abweichungen nicht mehr durch weitere Informationen und Argumente auflösen lassen. Am Ende eines Gruppendelphis haben Sie den Geltungsbereich des Konsenses abgesteckt und deutlich gemacht, zu welchen Sachverhalten ein stabiler Dissens besteht.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei einem Gruppendelphi an:
- Erstellung des Delphi-Fragebogens
- Erstellung der Agenda des Gruppendelphis
- Recherche, Auswahl und Einladung der Expert/innen
- Rekrutierung eines Moderators oder einer Moderatorin
- Durchführung des Workshops
- Transkription der Audiomitschnitte der Plenumsdiskussionen
- Auswertung von Fragebogen und Plenumsdiskussionen
- Sonstige organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen, Ausdruck der Fragebögen, etc.)
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung eines Gruppendelphis zum Einsatz:
- Ausgedruckte Fragebögen
- Laptop und Beamer für Erfassung, Auswertung und Präsentation der Ergebnisse der Kleingruppenarbeit
- Audiorecorder zum Mitschnitt der Plenumsdiskussionen
Expertise
Die Durchführung eines Gruppendelphis erfordert methodische Kompetenzen hinsichtlich der Fragebogenentwicklung und der Moderation von Gruppengesprächen. Weiterhin setzt diese Methode sehr gute Kenntnisse über die zur Debatte stehenden Sachverhalte und die im Themengebiet ausgewiesenen Expert/innen voraus. Dieses Wissen ist notwendig für die Gestaltung des Delphi-Fragebogens, die Auswahl der Workshop-Teilnehmer/innen und eine kompetente Moderation der Plenumsdiskussionen (die Kleingruppen werden nicht moderiert).
Beachten
Pausenplanung
Der Rhythmus von Kleingruppenarbeit und moderierten Plenumsdiskussionen ist zentral für Gruppendelphi-Workshops. Organisatorisch setzt dieser Ablauf die Einplanung von Pausen zwischen den einzelnen Workshop-Blöcken voraus.
Elektronischer Fragebogen
In den Pausen zwischen Kleingruppenarbeit und nachfolgendem Plenum werten Sie die Fragebögen mit Blick auf Konsens und Dissens aus. Um dies rasch bewerkstelligen zu können, sollten Sie den Fragebogen auch elektronisch verfügbar haben (z.B. als Excel-Datei). So können Sie die Antworten der Expert/innen vollständig erfassen und dem Plenum via Beamer präsentieren.
Aktualisierung des Fragebogens
Die Pausen zwischen Plenum und nächster Kleingruppenarbeit nutzen Sie, um den Fragebogen an die Ergebnisse des Plenums anzupassen (Streichung von Fragen, zu denen Konsens bestand; Einarbeitung von Vorschlägen zur Umformulierung einzelner Fragen). Die Änderungen fügen Sie handschriftlich in die zu diesem Zweck bereitgehaltenen Ausdrucke der Fragebögen ein.
Beispiel
Im Projekt InnoSmart wurde im September 2014 ein Gruppendelphi zu den gesellschaftlichen Aspekten von Smart Grids durchgeführt. Ein Smart Grid ist ein intelligentes Stromnetz. Seine Bestandteile wie Stromerzeuger, -verteiler, -speicher und elektrische Verbraucher sind digital vernetzt. Sie überwachen sich gegenseitig und optimieren das Netz auf diese Weise automatisch.
Die Entwicklung von Smart Grids und ihre Integration in größere Energiesysteme standen zu diesem Zeitpunkt erst am Anfang. Mithilfe der eingeladenen Expert/innen wollte InnoSmart erforschen, welche gesellschaftlichen Aspekte dabei besonders relevant sind. Ziel des Gruppendelphis war es, einen entsprechenden Überblick zu erarbeiten. Detaildiskussionen zu einzelnen Aspekten waren dagegen nicht vorgesehen.
Entscheidend für eine erkenntnisreiche Diskussion war es, Teilnehmer/innen zu gewinnen, die durch Forschungsprojekte, Veröffentlichungen oder Vorträge als ausgewiesene Smart-Grid-Expert/innen bekannt waren. Wichtig war es zudem, Wissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen einzuladen, um das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten zu können. Der Teilnehmerkreis setzte sich schließlich aus 15 Expert/innen mit sozial- und wirtschaftswissenschaftlichem sowie technischem Hintergrund zusammen.
Der Delphi-Fragebogen umfasste sechs Oberfragen, die jeweils durch eine Reihe von Unterfragen spezifiziert wurden. Diese bestanden überwiegend aus zugespitzten Aussagen („Statements“), die die Expert/innen auf einer achtstufigen Skala (von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 8 „trifft voll zu“) beantworten sollten. Das folgende Beispiel einer Oberfrage mit einem dazugehörenden Statement illustriert die angewendete Frageweise:
- Oberfrage: „Welche Vor- und Nachteile haben Verbraucher im Smart Grid, wer ist Gewinner oder Verlierer, welche Faktoren beeinflussen die Akzeptanz von Smart Grid-Lösungen? Zu diesen und anderen verbraucherbezogenen Implikationen des Smart Grid haben wir eine Reihe von Aussagen zusammengestellt. Bitte bewerten Sie die folgenden Aussagen.“
- Statement: „Durch Energieeinsparungen und sinkende Energiekosten werden die Verbraucher erheblich von Smart Grid-basierten Anwendungen profitieren.“
Das Gruppendelphi fand als eintägiger Workshop von 10:00 bis 17:00 Uhr statt. In diesem Zeitraum ließen sich zwei Runden aus Kleingruppenarbeit und Plenumsdiskussionen durchführen. Der Workshop begann mit einem Vortrag des InnoSmart-Teams. Darin vermittelte es Hintergründe zu den Inhalten des Gruppendelphis und stellte den Fragenbogen sowie die Tagesordnung vor.
Für die erste Kleingruppenarbeit teilte das InnoSmart-Team die 15 Expert/innen in drei Vierer- und eine Dreier-Gruppe auf. Die Gruppen hatten 90 Minuten Zeit, um den Fragebogen zu beantworten. Für die anschließende Plenumsdiskussion waren 60 Minuten reserviert. Weil das Team den Fragebogen um die Fragen gekürzt hatte, zu denen Konsens bestand, gab es den Kleingruppen in der zweiten Runde nur noch 60 Minuten Zeit. Die zweite Plenumsdiskussion konnte es aus demselben Grund auf 45 Minuten begrenzen.
Pausen fanden jeweils nach der Kleingruppenarbeit statt, um den Expert/innen die Gelegenheit für Erfrischungen und Austausch zu geben. In diesen Pausen bereiteten die InnoSmart- Forscher/innen auch die Ergebnisse der Kleingruppen für die anschließenden Plenumsdiskussionen vor. Die Moderation des Plenums übernahm ein Mitarbeiter des Projekts.
Die Ergebnisse des Gruppendelphis fasste das Forscherteam in einem Bericht zusammen, den es den Expert/innen mit der Bitte um Prüfung übermittelte.
Literatur und Links
- Cuhls, K.; Blind, K. (1999): Die Delphi-Methode als Instrument der Technikfolgenabschätzung. In: Bröchler, S.; Simonis, G; Sundermann, K. (Hrsg.): Handbuch Technikfolgenabschätzung. Berlin: Edition Sigma, S. 545-550.
- Häder, M. (2002): Delphi-Befragungen. Ein Arbeitsbuch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
- Niederberger, M. (2015): Das Gruppendelphi. In: Niederberger, M.; Wassermann, S. (Hrsg.): Methoden der Experten- und Stakeholdereinbindung in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 117-137.
- Niederberger, M.; Renn, O. (2018): Das Gruppendelphi-Verfahren: vom Konzept bis zur Anwendung. Wiesbaden: Springer VS.
- Schulz, M.; Renn, O. (2009): Gruppendelphi. Konzept und Fragebogenkonstruktion. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Hofmaier, C.; Kuhn, R.; Wassermann, S.; Wehner, S.; Berneiser, J.; Senkpiel, C. (o.J.): Maßnahmen und Investitionsverhalten von Akteuren im Bereich „Power-to-Gas“-Bericht eines Gruppendelphis. Stuttgart: ZIRIUS – Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung. (https://www.zirius.uni-stuttgart.de/dokumente/SozioE2S-Bericht-Gruppendelphi-final.pdf)
DOWNLOADS
- Fragebogen des InnoSmart-Gruppendelphis „Gesellschaftliche Aspekte des Smart Grid“
- Ergebnisbericht des InnoSmart-Gruppendelphis „Gesellschaftliche Aspekte des Smart Grid“
TEMPLATES
Hier finden Sie Templates zur Durchführung der Methode. Bitte ersetzen Sie die rot markierten Stellen durch eigene Angaben.
Steckbrief
- Aufwand: ca. 3 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: 2 bis 3 tägiger Workshop
- Prozessdauer: ca. 6 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 5 bis 10 Personen
- Integration: Konsultation
Szenarien sind Erzählungen plausibler und in sich konsistenter Zukunftsentwicklungen. Anstatt tatsächliche Entwicklungen zu prognostizieren, sollen sie vielmehr inspirierend sein und Sie so bei der Strategieentwicklung und in Entscheidungsprozessen unterstützen. Durch die Einbeziehung von Nutzer/innen und Stakeholdern bringen Sie zusätzliche Perspektiven in die Entwicklung von Szenarien ein. Außerdem erhöhen Sie damit die Plausibilität der Szenarien und ihrer Bewertung.
Szenarioverfahren ermöglichen die strukturierte Auseinandersetzung mit möglichen alternativen Zukünften. Sie unterstützen Planungs- und Entscheidungsprozesse, die nicht allein auf einer Fortschreibung gegenwärtiger Verhältnisse aufbauen. Vor allem für langfristige Unternehmens- oder Produktstrategien oder sich ändernde Rahmenbedingungen – wie etwa bei der Energiewende – ist das Denken in alternativen Szenarien sinnvoll.
Szenarioverfahren unterscheiden sich vor allem darin, mit welchen Techniken die Zukunftsbilder entwickelt und wie aus ihnen Handlungsstrategien abgeleitet werden. Grundsätzlich wird zwischen explorativen und normativen Szenarien unterschieden. Explorative Szenarien variieren bestimmte Rahmenbedingungen, entlang derer sich unterschiedliche Zukünfte entfalten.
Ausgangspunkt von normativen Szenarien sind dagegen wünschenswerte Bilder der Zukunft. Die Aufgabe besteht dann darin, Entwicklungspfade zu bestimmen, auf denen sich diese Zukünfte erreichen lassen (deshalb laufen sie auch unter der Bezeichnung „Backcasting“). Außerdem sollen kritische Entscheidungspunkte für das Eintreten dieser Entwicklungen identifiziert werden. Mit dieser Technik können Sie Strategien entwerfen, in denen Sie treibende Kraft sind, anstatt sich von den Ereignissen treiben zu lassen.
Die Einbindung von Nutzer/innen und Stakeholdern in die Entwicklung von Szenarien ermöglicht es innovativen Unternehmen, auch die Standpunkte, Strategien und Vorstellungen anderer besser zu verstehen. Sie gewinnen zudem ein klareres Bild, durch welche Maßnahmen sich solche Zukunftsvorstellungen womöglich auch realisieren lassen. Grundsätzlich können Szenarioverfahren dazu beitragen
- langfristige Entscheidungsprozesse zu verbessern,
- Veränderungen anzuregen,
- alternative Zukunftsentwicklungen zu gestalten,
- besser auf Krisen und nicht vorhersehbare Ereignisse vorbereitet zu sein,
- Schlu?sselentscheidungen vorzubereiten,
- zukunftsorientierte Wissens- und Aktionsnetzwerke aufzubauen und
- Zielvorstellungen und einen Aktionsplan zur Umsetzung zu erarbeiten.
Anwendungsbereich
Szenarioverfahren sind sinnvoll bei der Analyse komplexer Problemstellungen, wenn lange Zeithorizonte vorliegen oder falls ein hoher Grad an Unsicherheit über die Entwicklung zukünftiger Rahmenbedingungen im Unternehmensumfeld herrscht. Die Energiewende ist ein Beispiel, bei dem alle drei Voraussetzungen in hohem Maße gegeben sind.
Sie können Szenarioverfahren für die Strategieentwicklung in einzelnen Unternehmen, aber auch in Verbänden einsetzen. Ein Energieverband könnte zum Beispiel Szenarien unterschiedlicher Energiezukünfte entwickeln und darin die Rolle von Versorgern diskutieren. Für ein einzelnes Unternehmen bieten sich Szenarien dagegen an, um Strategien für die erfolgreiche Entwicklung von Technologien und Produkten unter verschiedenen Bedingungen zu formulieren. Szenarioverfahren kommen in der Regel vor der konkreten Produktentwicklung zum Einsatz.
Ablauf
Auch wenn sich die unterschiedlichen Szenarioverfahren im Detail unterscheiden, gibt es einige charakteristische Phasen. In der ersten Phase stellen Sie das Szenario-Team zusammen. Es besteht aus Vertreter/innen Ihres Unternehmens oder Verbandes sowie aus einschlägigen Expert/innen. In der späteren Phase der Entwicklung der Szenarien wird das Team dann um Nutzer/innen oder andere Stakeholder ergänzt. Weiterhin legen Sie zu Beginn die Reichweite und den Fokus oder die Fragestellung des Szenarios fest. Auf dieser Basis können Sie eine erste Entscheidung treffen, ob Sie ein exploratives oder ein normatives Szenario entwickeln wollen.
In der zweiten Phase verschaffen Sie sich das notwendige Wissen, um die gegenwärtige Situation und zukünftige Entwicklungen verstehen zu können. Dazu recherchieren Sie beispielsweise Trends und Treiber oder mögliche kritische Ereignisse für künftige Entwicklungen und identifizieren die dabei relevanten Akteure. Zusätzlich können Sie zu diesem Zweck Expertendelphis, Experteninterviews oder SWOT-Analysen der derzeitigen Unternehmens- oder Produktentwicklung durchführen.
In einer dritten Phase entwickeln Sie die eigentlichen Szenarien. Dabei sollten Sie die Nutzer/innen und Stakeholder einbeziehen, die Sie in der vorherigen Phase identifiziert haben. Diese laden Sie je nach dem Umfang des Verfahrens zu einer Veranstaltung oder einer Serie von Workshops ein. Wichtig ist, dass Sie die Nutzer/innen und Stakeholder als den Expert/innen gleichwertige Teammitglieder einführen.
Für die Entwicklung von Szenarien gibt es unterschiedliche Techniken wie die Formulierung von so genannten Storylines, die dann in konsistente Szenario-Cluster gruppiert werden. Sinnvoll ist es auch, Zukunftsbilder zu zeichnen oder einen in der Zukunft liegenden Zeitungsartikel zu verfassen. In weiteren Schritten verfeinern Sie die Szenarien und prüfen sie auf ihre Plausibilität.
In einer abschließenden Phase bewertet das Szenario-Team die einzelnen Szenarien (zum Beispiel hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit) und zieht entsprechende Schlussfolgerungen. Auf Basis der Szenarien können Sie vorausschauende Analysen durchführen und innovative Strategien formulieren, beispielsweise für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Produkte oder Dienstleistungen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer partizipativen Szenarioentwicklung an:
- Zusammenstellung des Szenario-Teams
- Festlegung von Reichweite und Fokus der Szenarien
- Recherche von Trends und Treibern für zukünftige Entwicklungen, „Mapping“ von Stakeholdern
- Planung des Szenarioworkshops (Festlegung des Szenarioverfahrens, Anzahl der Workshops, Einladung von Moderator/innen und Teilnehmer/innen)
- Gemeinsame Entwicklung von Szenarien in den Workshops
- Präsentation der Szenarien im Unternehmen oder in der breiteren Öffentlichkeit
Expertise
Beim Einsatz von Szenarioverfahren ist es vorteilhaft, Fachkräfte mit ausgewiesenen Erfahrungen in diesem Bereich hinzuzuziehen. Darüber hinaus ist keine spezifische fachliche Expertise erforderlich. Vielmehr benötigen Sie die Fähigkeit, vorliegendes Material zu Aspekten wie Trends, Einflussfaktoren oder sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen zu bewerten und zu strukturieren. Dies ist besonders in der Vorphase der Szenarioentwicklung wichtig. Für die Durchführung einer partizipativen Szenarioentwicklung sind vor allem Kenntnisse in der Anwendung von Moderations- und Kreativitätstechniken gefragt.
Beachten
- Externe Unterstützung
Wegen des Umfangs und der Komplexität einer partizipativen Szenarioentwicklung sollten Sie erfahrene Fachkräfte zur Beratung und Unterstützung hinzuziehen. - Ausreichende Variation von Szenarien
Grundsätzlich sollten Sie davon absehen, Szenarien im Sinne von Wahrscheinlichkeiten zu beschreiben. So umgehen Sie das Risiko, ein an sich unwahrscheinliches, aber potenziell hochwirksames Szenario zu übersehen. - Gute Vorbereitung
Die partizipative Szenarioentwicklung ist umso erfolgreicher, je besser Sie die bestehenden Trends und Rahmenbedingungen Ihres Themas im Vorfeld recherchieren und einordnen. In vielen Fällen ist es auch hilfreich, von bereits bestehenden Szenarien auszugehen und diese im Prozess weiter zu verfeinern.
Beispiel
Ein konkretes Beispiel für eine partizipative Szenarioentwicklung ist die in Österreich unter der Leitung des Austrian Institute of Technology durchgeführte Studie zum Thema „Grüne Bioraffinerie“. Bei Bioraffinerien handelt es sich um so genannte Produkt-Nutzungssysteme. Durch „kaskadische Nutzung“ von Biomasse stellen sie Energie sowie Chemikalien und andere Produkte aus regenerativen Materialien her. Die Szenarien sollten Bedingungen aufzeigen, unter denen Geschäftsstrategien für grüne Bioraffinerien nachhaltig sein können. Ziel war außerdem zu sondieren, wie die Politik solche Bedingungen fördern kann.
In einem ersten Schritt grenzte das Projektteam das Themenfeld Bioraffinerien genauer ein. Dazu führte es Literatur- und Internetrecherchen sowie Experteninterviews zum Stand der internationalen Entwicklung, zu bekannten kritischen Problemen sowie zu Bewertungen der Nachhaltigkeit und möglicher Technikfolgen von Bioraffinerien durch. Zusätzlich identifizierte das Team relevante Akteure. Dazu gehörten in dem Themenfeld bereits aktive oder potenziell interessierte Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und landwirtschaftliche Betriebe als Nutzer der Technologie. Eine Auswahl daraus lud das Team zu Szenario-Workshops ein.
Auf diesen Veranstaltungen sollte das Szenario-Team sozio-technische Szenarien als Orientierung für die Forschungs- und Technologiepolitik sowie für innovative Unternehmensstrategien entwickeln. Zudem sollten die Workshops Lern- und Austauschprozesse zwischen den Akteuren des Feldes unterstützen. Die eingesetzte Szenariotechnik war von einem explorativen Ansatz geprägt.
Zunächst bestimmte und systematisierte das Szenario-Team ohne normative Bewertung Faktoren, die die Gestaltung, Entwicklung und Verbreitung der Technologie entscheidend beeinflussen. Diese verband das Team zu partiellen Wirkungsketten und formulierte daraus so genannte Storylines. Anschließend gruppierte es miteinander kompatible Storylines zu ersten groben Szenarioentwürfen. Diese bildeten die Basis, um die verschiedenen Szenarien im Detail auszuformulieren.
Insgesamt fanden drei ganztägige Workshops im Abstand von zwei bis drei Wochen statt, an denen zehn bis 15 Personen teilnahmen. Eine Forschungsgruppe mit Szenarioerfahrung moderierte die Veranstaltungen. Im ersten Workshop verfeinerte das Szenario-Team den thematischen Fokus und entwickelte in einzelnen Arbeitsgruppen Storylines und erste explorative Szenarioentwürfe. Aus diesen wählte es die interessantesten aus und übergab sie dem Projektteam. Dieses formulierte dann die detaillierten Szenarien im Anschluss an den Workshop.
Im zweiten Workshop überprüfte das Szenario-Team die Konsistenz der Szenarien und unterzog sie einer Bewertung nach Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Erhalt von Kulturlandschaften. Im dritten Workshop identifizierte das Team wesentliche Schritte und kritische Entscheidungen auf dem Weg zur Realisierung der Szenarien. Außerdem diskutierte es die Handlungsspielräume der unterschiedlichen Akteure und erarbeitete auf dieser Basis Politik- und Unternehmensstrategien, mit deren Hilfe sich die wünschenswerten Zukünfte erreichen lassen.
Literatur und Links
- Berkhout, F.; Hertin, J.; Jordan, A. (2001): Socio-economic futures in climate change impact assessment: using scenarios as 'learning machines', Norwich: Tyndall Centre for Climate Change Research.
- Eames, M.; Egmose, J. (2011): Community foresight for urban sustainability: Insights from the Citizens Science for Sustainability (SuScit) project', Technological Forecasting and Social Change 78 (5). S. 769-84.
- Institut für Technikfolgenabschätzung (2006): Leitfaden partizipativer Verfahren. Ein Handbuch für die Praxis, Wien: ITA.
- Neuvonen, A.; Kaskinen, T.; Leppänen, J.; Lähteenoja, S.; Mokka, R.; Ritola, M. (2014): Low-carbon futures and sustainable lifestyles: A backcasting scenario approach. Futures 58. S. 66-76.
- Rohrbeck, R.; Battistella, C.; Huizingh, E. (2015): Corporate foresight: An emerging field with a rich tradition. Technological Forecasting and Social Change 101. S. 1-9.
- Timpe, C.; Voss, J.-P.; Bauknecht, D.; Truffer, B.; Konrad, K.; Markard, J. (2007): Integrierte Mikrosysteme der Versorgung - Dynamik, Nachhaltigkeit und Gestaltung von Transformationsprozessen in der netzgebundenen Versorgung, Freiburg: Öko-Institut.
- Voß, J.-P.; Truffer, B.; Konrad, K. (2005): Sustainability Foresight für Versorgungssysteme: Ein ko-evolutorischer Ansatz zur Analyse, Bewertung und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung. In: Meyerhoff, J.(2005): Innovation und Nachhaltigkeit. Jahrbuch Ökologische Ökonomik 4. S. 175–200.
- Weber, K.M.; Rohracher, H.; Kubeczko, K.; Leitner, K.-H.; Oehme, I.; Späth, P.; Whitelegg, K. (2006): Transition zu nachhaltigen Produktionssystemen. Berichte aus Energie- und Umweltforschung 31/06, Wien: BMVIT.
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: http://buergerbeteiligung.lpb-bw.de/szenario-workshop.html
- Helmholtz Research School on Energy Scenarios: www.energyscenarios.kit.edu
Steckbrief
- Aufwand: 1 Personenmonat
- Veranstaltungsdauer: 0,5 bis 1,0 Tage
- Prozessdauer: 3 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 15 bis 40 Personen
- Integration: Konsultation
Stakeholderdialoge sind moderierte Diskussionsprozesse zwischen einem Unternehmen und ausgewählten Stakeholdern. Sie werden häufig im Zusammenhang mit der Entwicklung von Nachhaltigkeits- oder Corporate-Social-Responsibility-Strategien eingesetzt.
Mit einem Stakeholderdialog können Sie die Erwartungen Ihrer Stakeholder erfassen. Stakeholder sind Personen oder Organisationen, die durch die Unternehmenstätigkeit betroffen sind oder die einen Anspruch an Ihr Unternehmen richten. Hierzu zählen Ihre Mitarbeiter/innen, Kund/innen, Lieferant/innen, Aktionär/innen, Anwohner/innen, Behörden und Nichtregierungsorganisationen.
Auf Basis einer Stakeholderanalyse können Sie mit ihnen ins Gespräch kommen, indem sie ausgewählte Vertreter/innen zu einem Dialogworkshop einladen. Stakeholderdialoge können auch online oder schriftlich geführt werden. Die Toolbox „partizipativ innovativ“ unterstützt den direkten Austausch mit Ihren Stakeholdern und fokussiert daher auf den Dialog in Form von Workshops.
Stakeholderdialoge helfen Ihnen Trends zu beobachten und Schlüsselthemen zu identifizieren, zwischen verschiedenen Interessen zu vermitteln und Konflikten vorzubeugen sowie Anregungen für die Unternehmenspolitik und Kommunikation zu gewinnen.
Anwendungsbereich
Stakeholderdialoge werden häufig für die (Weiter-)Entwicklung von Nachhaltigkeits- bzw. CSR-Strategien eingesetzt. Sie sind ein etabliertes Instrument der Nachhaltigkeitskommunikation und Sie können sie nutzen, um die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen für Ihr Unternehmen zu bestimmen. Im Zusammenhang mit Innovationen eignen sie sich für die Entwicklung oder Diskussion von Unternehmens- und Innovationsstrategien. Sie können sie besonders zu Beginn eines Innovationsprozesses – in der Phase der Strategieentwicklung – einsetzen.
Ablauf
Zunächst sollten Sie das Ziel und das Oberthema für den Stakeholderdialog festlegen. Hierfür eignen sich beispielsweise Ihre Innovationsstrategie, Innovations- und Zukunftstrends, die Erwartungen der Stakeholder an ihre zukünftigen Produkte und Dienstleistungen oder auch die Frage, wie Ihre Angebote zukünftigen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen gerecht werden.
Zur Vorbereitung beginnen Sie mit einer Stakeholderanalyse, um die für Ihr Unternehmen im gewählten Thema wichtigen und relevanten Stakeholder zu identifizieren. Hierfür listen Sie zunächst alle Stakeholdergruppen auf und vermerken, welche Interessen und Ansprüche diese mit Ihrem Unternehmen verbinden. Außerdem sollte Sie einschätzen, welche Möglichkeiten der Einflussnahme Sie auf die Stakeholder und umgekehrt diese auf Ihr Unternehmen haben. Der Blick auf das ganze Spektrum potenzieller Stakeholder hilft Ihnen sicherzustellen, dass Sie keine wichtigen Akteure übersehen. Anschließend können Sie die Stakeholder priorisieren, beispielsweise indem Sie anhand der folgenden Kriterien deren Relevanz für Ihr Unternehmen und für das gewählte Thema bestimmen:
- Wissen: Welches (zusätzliche) Wissen und Know-how können die Stakeholder zum gewählten Thema einbringen?
- Macht: Welche Möglichkeiten haben die Stakeholder ihre Anliegen durchzusetzen?
- Legitimation: Als wie legitim und berechtigt werden die Ansprüche der Stakeholder in der gesellschaftlichen Debatte zum jeweiligen Thema wahrgenommen?
- Dringlichkeit: Sind die Ansprüche zeitlich kritisch?
Auf dieser Basis können Sie eine Auswahl von Stakeholdern treffen, die Sie zu einem Dialogworkshop einladen. Durch eine Stakeholderanalyse und -priorisierung gewinnen Sie im Vorfeld des Workshops ein vertieftes Verständnis der Motive, Interessen, Expertise oder Mitwirkungsbereitschaft der von Ihnen ausgewählten Stakeholder und können so potenzielle Konfliktfelder identifizieren.
Sie können die Analyse auf Basis von Informationen wie Stellungnahmen, Pressemitteilungen oder Studien der Stakeholder durchführen. Außerdem haben Sie die Möglichkeit, bereits in Vorbereitung auf einen Dialogworkshop Interviews mit ausgewählten Stakeholdern zu führen. Dadurch lernen Sie deren Positionen und Interessen besser kennen und können diese bei der Planung des Workshops berücksichtigen.
In Vorbereitung auf einen Dialogworkshop konkretisieren Sie die Themen, die Sie diskutieren möchten und von denen Sie aufgrund der Stakeholderanalyse vermuten, dass sie für die Stakeholder von Bedeutung sind. Formulieren Sie konkrete Fragen, auf die Sie sich Antworten von den Stakeholdern erhoffen. Lassen Sie diese aber offen genug, damit die Stakeholder Ihre eigenen Anliegen vorbringen können. Zu Beginn des Dialogworkshops sollten Sie sich gemeinsam mit den Stakeholdern auf Ziele und Themen einigen. Bei der Durchführung des Dialogworkshops können Sie verschiedene Moderations- und Kreativitätstechniken einsetzen.
Beginnen Sie einen Workshop mit einer Phase des Austausches und des Kennenlernens der unterschiedlichen Positionen. Dann können Sie Ihre Überlegungen beispielsweise zur Innovationsstrategie einbringen und diese bewerten und kommentieren lassen. Zum Ende des Workshops sollten Sie zu Vereinbarungen hinsichtlich eines (gemeinsamen) Folgeprozesses kommen und die erzielten Lernergebnisse und Erkenntnisse festhalten.
Im Anschluss an den Workshop erstellen Sie eine Dokumentation für die Teilnehmenden, aus der die Ergebnisse und Vereinbarungen des Dialoges klar hervorgehen. Diese sollten Sie zur Abstimmung an die Teilnehmenden schicken und deren Feedback einarbeiten. In einer unternehmensinternen Auswertung des Stakeholderdialogs definieren Sie den Folgeprozess und setzen die Umsetzungsschritte fest. Wichtig ist, dass Sie im Nachgang die Stakeholder informiert halten, was aus dem Dialog gefolgt ist. Sollten sich im Nachhinein Dinge als nicht umsetzbar erweisen, ist auch hier eine offene und transparente Kommunikation zentral.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei einem Stakeholderdialog an:
- Analyse der Stakeholder-Landschaft
- Erstellung der Workshop-Agenda
- Auswahl und Einladung von Stakeholdern
- Rekrutierung eines/r Moderators/in
- Festlegung der anzuwendenden Moderations- und Kreativitätstechniken
- organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen, etc.)
- Durchführung des Workshops
- Ergebnisdokumentation (z.B. Fotoprotokoll) für die interne Nutzung und die Teilnehmenden
- Auswertung des Workshops
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung eines Stakeholderdialogs zum Einsatz:
- Laptop, Beamer, Fotoapparat
- Gegebenenfalls Hand-outs (z.B. Tischvorlagen mit Diskussionsthemen)
- Moderationsmaterialien
Expertise
Wichtig für einen erfolgreichen Stakeholderdialog ist zunächst die Identifikation der für das Thema und das Unternehmen relevanten Stakeholder. Dies erfordert eine gute Kenntnis der Stakeholder-Landschaft. Von Vorteil sind daneben Erfahrungen mit der Gestaltung von Workshops sowie der Anwendung von Moderations- und Kreativitätstechniken im Kontext heterogener, potentiell konfliktträchtiger Akteurskonstellationen.
Beachten
- Neutrale Moderation
Für Stakeholderdialoge empfiehlt sich die Einbindung einer neutralen Moderation. Dies erhöht das Vertrauen der Stakeholder in die Ernsthaftigkeit des Prozesses. Zudem fällt es einer neutralen Moderation leichter in Konfliktfällen zu vermitteln. Es kann auch hilfreich sein, die neutrale Moderation in die gesamte Prozessgestaltung inklusive Stakeholderanalyse einzubeziehen. - Zuhören und Offenheit für ungewohnte Positionen
Im Austausch mit Ihren Stakeholdern werden Sie auf ungewohnte Meinungen und Positionen stoßen. Hier ist es wichtig, dass Sie offen sind und durch Fragen und Empathie versuchen, diese Positionen zu verstehen. Auch gegenüber Kritik sollten Sie offen sein und nicht sofort mit Rechtfertigungen reagieren. Nur so können Sie zu gemeinsamen Lösungen kommen. - Einbindung der Unternehmensspitze
Die Teilnahme am Stakeholderdialog ist für die Stakeholder attraktiver, wenn von Unternehmensseite hochrangige Vertreter/innen teilnehmen. Dies verdeutlicht, dass das Unternehmen die Stakeholderbeteiligung ernst nimmt. - Kontinuität
Es empfiehlt sich, Stakeholderdialoge nicht als einzelne Veranstaltungen sondern als einen kontinuierlichen Prozess zu verstehen, in dem das Unternehmen in regelmäßigen Abständen mit den (gleichen) Stakeholdern zusammen kommt. So können gemeinsam Ziele und Strategien vereinbart und Fortschritte gemessen werden.
Beispiel
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und das Institut für Forstökonomie der Universität Freiburg führten im Jahr 2007 einen Stakeholderdialog zu Klimaschutz bei Vodafone Deutschland durch. Aufgabe des Projekts war die Konzeption und Durchführung eines Dialogforums zum Thema Klimaschutz mit dem Ziel, Empfehlungen für die CSR-Strategie und -Berichterstattung von Vodafone Deutschland zu entwickeln. Im ersten Schritt identifizierten die Projektpartner dafür die relevanten Themenfelder sowie die entsprechenden Stakeholder.
Im Stakeholderdialog trafen sich Vertreter/innen des Unternehmens mit Mitarbeiter/innen der Energieagentur Nordrhein-Westfalen, von Germanwatch e.V., Future-Camp GmbH, Bündnis 90/Die Grünen sowie des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur. Der Dialog fand als eintägige Veranstaltung von 10:30 Uhr bis 16:00 Uhr statt. Zu Beginn wurden Hintergrund und Ziele des Stakeholderdialogs vorgestellt.
Hauptziel des Dialogs war es, Stakeholderanforderungen in Sachen Klimaschutz zu ermitteln. Nachdem die Teilnehmer/innen ihre Erwartungen an den Dialog formuliert hatten, wurden zentrale Kernpunkte und Schlüsselfelder für den Klimaschutz und die Energieeffizienz des Unternehmens identifiziert und die Erwartungen an Maßnahmen des Unternehmens diskutiert sowie bisherige Maßnahmen bewertet.
Literatur und Links
- Leitschuh-Fecht, H. (o.J.): Die Welt jenseits der Ökonomie verstehen: Auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit brauchen Unternehmen den Dialog mit der Zivilgesellschaft.
- Leitschuh-Fecht, H.; Bergius, S. (2007): Vertrauensbildung – Stakeholderdialoge; in: Henzler, H.; Kirchhoff, K.R.; Ziesemer, B. (Hrsg.): Jahrbuch der Unternehmenskommunikation; Berlin; S. x-y.
- Riede, M. (2012): Determinanten erfolgreicher Stakeholderdialoge. Erfolgsfaktoren von Dialogverfahren zwischen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Kassel: kassel university press GmbH
- Vodafone Deutschland (2007): Zukunft ist jetzt! Corporate Responsibility Report 2006/2007.
Steckbrief
- Aufwand: 1,5 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: 1 - 3 Tage
- Prozessdauer: 1 Monat
- Anzahl der Teilnehmenden: optimal 10 – 30 Personen (möglich mit bis zu 100 Personen)
- Integration: Konsultation
Bei einer Zukunftswerkstatt werden mit Hilfe von Zukunftsvisionen und Utopien gemeinschaftlich Lösungen für bestehende Probleme erarbeitet. Das Kernelement dieser Methode sind drei Phasen: Kritikphase, Phantasiephase und Verwirklichungsphase. Sie können die Methode für all jene Prozesse nutzen, bei denen kreative Ideen gefragt sind und Sie gemeinsam mit von dem Problem betroffenen Personen innovative Lösungen erarbeiten wollen.
Die Zukunftswerkstatt ist eine von Robert Jungk entwickelte Methode, die insbesondere dazu dient, mit kreativem Denken und Phantasie bestehende Probleme zu lösen. Sie soll dazu anregen, aus herkömmlichen Denkmustern auszubrechen und mit Hilfe eines utopischen Blickes in die Zukunft neue Lösungswege zu finden. Wesentlich ist der kreative Prozess, weshalb in einer Zukunftswerksatt keinesfalls Lösungen von vornherein festgelegt oder forciert werden sollten. Sie können diese Methode besonders bei komplexen und vielschichtigen Problemen anwenden, bei denen es unterschiedliche Perspektiven gibt. Mithilfe der Methode können Sie eingetretene Pfade aufbrechen und neue Ideen jenseits von etablierten Lösungen entwickeln.
Gerade für Fragestellungen, bei denen unkonventionelle Ideen gesucht werden und es einen Gestaltungsspielraum für Innovationen gibt, eignet sich die Methode der Zukunftswerkstatt besonders gut. Alle Teilnehmenden gelten als Expert/innen und Menschen jeden Alters, jeder Bildung und Herkunft wird die Fähigkeit zugesprochen Zukunft mitzugestalten. Von diesen verschiedenen persönlichen Hintergründen lebt eine Zukunftswerkstatt. Besonders ideenreich und lebendig sind Zukunftswerkstätten dann, wenn die Teilnehmenden unmittelbar von der Problematik betroffen sind. Die Zukunftswerkstatt soll die Beteiligten aktivieren, ermutigen und die Entwicklung selbstbestimmter Perspektiven fördern.
Anwendungsbereich
Als Unternehmen können Sie Zukunftswerkstätten bei der partizipativen Strategieentwicklung anwenden. Sie können die Methode mit kleineren und auch mit sehr großen Gruppen durchführen.
Grundsätzlich können Sie die Zukunftswerkstatt in allen Themenfeldern anwenden, in denen kreative Ideen, Offenheit und die Integration unterschiedlicher Perspektiven gefragt sind. Sie eignet sich sowohl als Problemlöse- und Ideenfindungswerkstatt als auch als Strategiewerkstatt. Die Methode eignet sich besonders gut, um Menschen gleichranging an diesen Prozessen zu beteiligen.
Aber auch als Bildungseinrichtung oder Unternehmen können Sie die Methode nutzen, beispielsweise, um neue Ideen und innovative Lösungen für konkrete Aufgabenstellungen zu entwickeln. Hier kann es zum Beispiel um Zukunftsentwürfe sowie Ziele und Maßnahmen für Ihre Organisation gehen. Auch für die Entwicklung eines Zukunftsprofiles, Unternehmensleitbildes oder für Neugründungen sind Zukunftswerkstätten einsetzbar.
Ablauf
Um die Teilnehmenden auf das Thema der Zukunftswerkstatt einzustimmen, bietet es sich an bereits vorab einen kurzen Einführungstext bereitzustellen. Um eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, sollten sich die Teilnehmenden zu Beginn kennenlernen. Hierzu eignet sich beispielweise ein Kennenlernspiel oder ein „thematisches Kennenlernen“, bei dem die Teilnehmenden ihre individuelle Motivation für die Teilnahme an der Zukunftswerkstatt zu schildern.
Damit das freie unvoreingenommen Phantasieren, also der Kern einer Zukunftswerkstatt, gelingen kann, ist es besonders wichtig, dass Sie die Teilnehmenden über die Regeln einer Zukunftswerkstatt informieren.
- Alle Beiträge werden gleichwertig behandelt, unabhängig von Hierarchien und Rollen.
- Jede/r hilft jedem, Ideen anderer dürfen aufgegriffen und weiterentwickelt werden.
- Es werden keine verbalen und nonverbalen Killer-Phrasen verwendet (z.B. „Das haben wir ja noch nie gemacht!“, „Das ist aber gegen die Vorschriften!“, „Wer soll das bezahlen?“ sowie kritische Blicke und Stirnrunzeln)
- Alles ist möglich und erlaubt, es gibt keinerlei Einschränkungen durch „Zwänge“.
Es kann hilfreich sein, wenn Sie die Regeln für die Zusammenarbeit auf einer Flipchart visualisieren. Nach dieser Vorbereitungsphase beginnen die eigentlichen drei Phasen einer Zukunftswerkstatt.
Abbildung: Schematischer Aufbau der Zukunftswerkstatt, Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Methodenbeschreibung der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen und Kuhnt und Müllert (2006)
1. Kritikphase
In der Kritikphase sollen die bestehenden Herausforderungen innerhalb des Themenfeldes herausgearbeitet werden. Es geht darum den Ist-Zustand zu beschreiben und zu kritisieren.
- Fragen: Schreiben Sie eindeutig formulierte Kritikfragen auf ein Flipchart oder Plakat (z. B. „Was sind Ihre Befürchtungen, welche Probleme und Hindernisse sehen Sie, wenn sie an die Energiewende in unserer Kommune denken?“).
- Sammeln: Teilen Sie die Gruppe je nach Anzahl der Teilnehmenden in Kleingruppen auf und sammeln Sie alle Kritikpunkte, die genannt werden, auf Moderationskarten.
- Clustern & Präzisieren: Anschließend werden die Kritikpunkte im Plenum verdichtet und geclustert (Welche Kritikpunkte passen zusammen?) und durch Beispiele präzisiert.
- Auswählen: In der Regel können aufgrund der begrenzten Zeit nicht alle Themencluster bearbeitet werden. Deshalb lassen Sie die Teilnehmenden eine Auswahl an Cluster bestimmen, die sie in der nächsten Phase weiter vertiefen möchten. Dies erfolgt in der Zukunftswerkstatt selbstbestimmt durch die Teilnehmenden und sollte nicht von „oben“ gesteuert werden.
2. Phantasie- und Utopiephase
In der zweiten Phase entwickeln die Teilnehmenden Ideen und Innovationen. Je nach Anzahl der zuvor ausgewählten Cluster werden nun Kleingruppen gebildet. Die Zuordnung kann spontan oder nach einem von Ihnen zuvor bestimmten Prinzip erfolgen, beispielsweise eine Mischung aus unterschiedlichen Altersgruppen, Nutzungsgruppen oder auch beruflichen Hintergründen.
- Umformulieren: Fordern Sie die Teilnehmenden auf, in den Kleingruppen die zuvor gesammelten Kritikpunkte so umzuformulieren, dass positive Aussagen oder Wünsche entstehen (z. B. aus „fehlender Bürgernähe“ wird „viel Bürgernähe“).
- Entwickeln & Entwerfen: Lassen Sie nun die Teilnehmenden ihre eigenen Ideen entwickeln und Utopien entwerfen, z. B. durch Brainwriting. Ob die Ideen auch wirklich umsetzbar sind, sollte keine Rolle spielen.
- Auswerten & Auswählen: Die Gruppen stellen sich gegenseitig ihre Utopien vor. Es wird eine Ideenliste angelegt, in der die herausragenden Einfälle von dem Teilnehmenden auf einem Flipchart oder ähnlichem notiert werden. Daraus werden Ziele abgeleitet.
Besonders wichtig ist es in der Phantasiephase die Teilnehmenden zum freien Denken oder gar zum „Spinnen“, ohne äußere Restriktionen (technisch, wirtschaftlich, politisch etc.) und zum Blick über den Tellerrand hinaus zu motivieren. Nur so kann sich die Phantasie der Teilnehmenden frei entfalten.
3. Verwirklichungs- und Praxisphase
In der Verwirklichungsphase geht es darum zu überlegen, wie die Ziele praktisch umgesetzt werden können. Die Teilnehmenden überprüfen die Ideen und Visionen auf ihre Machbarkeit hin und entwickeln konkrete Projekte und Schritte, um die zuvor definierten Ziele zu erreichen.
- Priorisieren: Welche Ideen sollen umgesetzt werden? (Vergabe von Punkten)
- Identifizieren: Welche möglichen Barrieren (Akteure & Strukturen) stehen einer Realisierung im Weg? Was braucht es, damit die Ideen tragfähig und umsetzbar werden? Welche Maßnahmen sind dazu notwendig?
- Planen: Projektumrisse entwerfen und konkrete Schritte erarbeiten (Wer kann was, mit wem, in welcher Form, bis wann umsetzen?)
Der Weg der Zukunftswerkstatt geht immer vom Allgemeinen zum Besonderen und endet mit konkreten praxisbezogenen Projektideen, bei denen auch schon die ersten Schritte für die Umsetzung geplant werden. In dieser Phase müssen die Ideen in die Realität „übersetzt“ werden. Die Teilnehmenden bleiben nicht in der Phantasiewelt stehen, sondern entwickeln konkrete Lösungsansätze, die sich aus unkonventionellen und kreativen Ideen speisen.
Den Abschluss der Zukunftswerkstatt bildet eine Rückmeldung der Teilnehmenden beispielsweise in Form eines Blitzlichtes oder einer methodischen Evaluation. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt werden dokumentiert. Damit die entwickelten Ideen und Projektskizzierungen von Unternehmen für weiterführende Innovationsprozesse und die Strategieentwicklung genutzt werden können, sollten Sie die wesentlichen Anknüpfungspunkte im Unternehmen, die nächsten Schritte und bestenfalls einen Zeitplan beinhalten. Infomieren Sie die Teilnehmenden darüber, wenn bzw. wie Sie die erarbeiteten Ideen und Maßnahmen planen, umzusetzen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei einer Zukunftswerkstatt an:
- Planung der Thematik, Zielsetzung und Gruppengröße
- Rekrutierung von Moderation- und Co-Moderation
- Identifikation und Rekrutierung von Teilnehmenden
- Abstimmung mit Moderation zur thematischen Zielsetzung, Gesamtzeit und sozialen Gruppenstruktur
- Organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen etc.)
- Vorbereitung des Inputmaterials, Erstellung der Materialliste & des Ablaufplans
(erfolgt i.d.R. durch Moderation) - Durchführung der Zukunftswerkstatt inkl. (Foto-) Dokumentation während der Veranstaltung
- Synthese der Dokumentation
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung einer Zukunftswerkstatt zum Einsatz:
- Hintergrundinformationen zum Thema (Artikel, Broschüren, Filme)
- Stellwände & Papierbögen/Plakate/Flipcharts, Moderationskarten
- Material zum Gestalten (Bunte Stifte z.B. Pastell-Ölkreiden/Scheren, Klebeband & Klebestifte, Bunt- oder Krepppapier, Naturmaterialien)
- Fotoapparat zur Dokumentation
Expertise
In der Zukunftswerkstatt werden besondere Kompetenzen von der Moderation verlangt. Die inhaltlichen Kenntnisse zum Thema der Zukunftswerkstatt sind dabei weniger von Bedeutung. Wesentliche Kompetenzen der Moderation sind die methodisch-didaktischen sowie sozialen Kenntnisse, um die Teilnehmenden auf dem Lösungsweg zu begleiten. Eine offene und positive Grundeinstellung, thematische Neutralität, Präsenz und Verbindlichkeit sowie gruppenorientierte Sensibilität sind wichtige Eigenschaften der moderierenden Person. Die Moderation sollte das Modell und die Moderationsanforderung der drei Phasen gut kennen und in der Lage sein, situationsgerecht sozial-orientierte und kreative Moderationsmethoden einzusetzen.
Beachten
- Gruppengröße
Für Zukunftswerkstätten mit einer Teilnehmendenzahl von 15 bis 40 Personen sind zwei bis drei Moderator/innen sinnvoll. Gehen die Teilnehmendenzahlen über 50 Personen hinaus, sollten weitere Moderator/innen eingebunden werden. - Gruppenzusammensetzung
Die Gruppen sollte so zusammengesetzt sein, dass möglichst viele Kompetenzen und Perspektiven zu einem Thema und möglichst wenig formale Hierarchien (z.B. Vorgesetzte und Angestellte) vertreten sind. Bei der Kleingruppenbildung sollte die Moderation auf eine Durchmischung achten. - Unvorhergesehenes
Auch, wenn die Zukunftswerkstatt sehr gut geplant ist, kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Dazu gehören beispielsweise geringe Motivation, die Dominanz einzelner Personen, Teamunstimmigkeiten oder das Festhalten an Überholtem. Die Moderation kann bei Unstimmigkeiten mit vorwärtsgerichtet Fragen Impulse geben (z.B. „Wie könnte eine Lösung dieses Problems aussehen?“) oder nach Beispielen für konkrete Problemlagen fragen. - Methodische Ausgestaltung
Die methodische Ausgestaltung muss auf die Gruppengröße angepasst werden. Alle drei Phasen sollten methodisch gut vorbreitet und professionell moderiert werden. - Räumlichkeiten
Achten Sie bei der Auswahl der Räumlichkeiten darauf, dass Sie für die Kleingruppenarbeit ausreichend Platz bieten. Wichtig ist auch, dass die Räume eine angenehme Atmosphäre und kreatives Denken ermöglichen.
Beispiel
Die Zukunftswerkstatt zum Thema „Zukunft der Energie am Werksstandort Berlin“ wurde mit Vertreter/innen eines produzierenden Unternehmens sowie mit Wissenschaftler/innen aus drei verschiedenen Fachbereichen der Technischen Universität Berlin durchgeführt. Sie zielte darauf ab, Ideen für innovative Energietechnologien für die Energieversorgung eines Standortes des beteiligten Unternehmens in Berlin zu entwerfen. Darüber hinaus nutzte das beteiligte Unternehmen die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt, um eine Innovations-Roadmap zu entwickeln.
Zu Beginn der Zukunftswerkstatt stellte die Moderation den Teilnehmenden zunächst die Vorgehensweise des Formats vor. Anschließend stieg die Gruppe in die erste Phase der Zukunftswerkstatt ein, in der die folgende Fragestellung im Plenum bearbeitet wurde: Wo sehen Sie das größte Verbesserungspotenzial, um die Energieversorgung des Unternehmensstandortes nachhaltiger zu gestalten? Nach der freien Sammlung der Verbesserungspotenziale wurden entsprechende Handlungsfelder für eine verbesserte Energieversorgung des Unternehmens an einem städtischen Industriestandort identifiziert (z. B. Gebäude und Strukturen, Produktionsprozess, urbanes Umfeld usw.) und die gesammelten Verbesserungsvorschläge entsprechend zugeordnet. Dabei sollten die Teilnehmenden sowohl auf die Energieversorgung der Gebäude als auch auf die benötigte Energie in der Produktion eingehen. Darauf aufbauend identifizierten und clusterten die Teilnehmenden die für die jeweiligen Handlungsfelder wesentlichen Einflussfaktoren wie beispielsweise Energiequellen, Energieeffizienz oder Gebäudeplanung.
Die darauffolgende Utopiephase zielte darauf, eine nachhaltige Zukunftsvision für den urbanen Unternehmensstandort zu entwickeln. Die Teilnehmenden sollten dafür ein Demonstrationsobjekt in Berlin entwerfen – die „Fabrik der Zukunft“. Bedingung war, dass die „Fabrik der Zukunft“ ihre Energie weitestgehend aus erneuerbaren Energiequellen bezieht. Um einen Rahmen zu schaffen, gab die Moderation eine Größenordnung für den Energiebedarf des fiktiven Unternehmensstandorts vor. Die Teilnehmenden diskutierten, welche Technologien und Komponenten sie installieren würden, wie diese miteinander verknüpft sein könnten und wie das System im urbanen Umfeld eingebunden wäre. Um eine gute Durchmischung der anwesenden Kompetenzen zu erreichen, teilte die Moderation die Teilnehmenden bereits im Vorfeld je nach beruflichem Hintergrund in Kleingruppen ein. Diese Vorgehensweise sollte die interdisziplinäre Perspektive stärken.
Die Moderation forderte die Teilnehmenden auf, innerhalb einer Stunde in Kleingruppen ihre Ideen zusammenzutragen und zu visualisieren. Die Teilnehmenden hatten viel Spaß in dieser Utopiephase und konnten ihre Ideen frei von jeglichen Restriktionen entwickeln. Sie haben die sehr kreativen und zahlreichen Ideen auf Flipcharts visualisiert.
In der Verwirklichungsphase war es zum Teil problematisch den Schritt von der Vision in die Realität zu schaffen und den Bezug zu den konkreten technischen Restriktionen herzustellen, weil es für die Teilnehmenden als starker Bruch empfunden wurde. An dieser Stelle ist besondere Kompetenz und methodisches Geschick gefragt, um die Teilnehmenden nicht mit den realen Bedingungen zu erschlagen. Dies kann beispielsweise erreicht werden, indem zunächst die besten Ideen ausgewählt werden, um dann gemeinsam zu überlegen, wie diese umzusetzen sind. In einem anschließenden Schritt sollten dann erst reale Restriktionen einbezogen werden. Nach einer kurzen spontanen Kaffeepause gelang es schließlich auch, die Ideen in die Realisierungsphase mitzunehmen und Eckpunkte eines Leitbildes für die Energie der Zukunft am Werksstandort mit potenziellen Maßnahmen zu entwickeln.
Insgesamt stieß die Methode bei den Teilnehmenden auf gute Resonanz und insbesondere die Phantasie- und Utopiephase erwies sich als sehr vielversprechend. Die gemeinsame kreative Arbeit motivierte die Teilnehmenden ihre verschiedenen Ideen in einer gemeinsamen Vision zu verknüpfen und neue Wege für eine mögliche Umsetzung zu gehen.
Literatur und Links
- Holzinger, H.; Spielmann, W. (2016): Die Zukunft demokratisieren. Einführung in die Methode Zukunftswerkstatt. (Download PDF)
- Jungk, R./Müllert, N. (1989): Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation, München: Heyne Sachbuch.
- Kuhnt, B., & Müllert, N. R. (2006): Moderationsfibel Zukunftswerkstätten: verstehen-anleiten-einsetzen; das Praxisbuch zur sozialen Problemlösungsmethode Zukunftswerkstatt (Vol. 166). Neu Ulm:AG SPAK Bücher.
- Müllert, N. R. (2009): Zukunftswerkstätten. In Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag, S. 269-276.
- Müllert, N. R. (2017): Zukunftswerkstatt. In: P. Patze-Diordiychuck, J. Smettan, P. Renner, T. Föhr (Hrsg.): Methoden Handbuch Bürgerbeteiligung. Band 2: Passende Beteiligungsformate wählen. München: oekom, S. 150-160.
- Methodenbeschreibung der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen
- Methodensammlung der EnergieAgentur.NRW (im Auftrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen)
- Methodenbeschreibung der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik
- Methodenbeschreibung in der Materialiensammlung des Lehrerfortbildungsservers Baden-Württemberg
- Methodenbeschreibung des Wegweisers Bürgergesellschaft, ein Projekt der Stiftung Mitarbeit
- Methodensteckbrief des Methodenkoffers SGL
- Kreativtechniken und -übungen
DOWNLOADS
Toolbox für Unternehmen (3/3)
Partizipative StrategieentwicklungMärkte im Wandel bedeuten Unsicherheiten für Unternehmen – besonders mit Blick auf künftige Marktteilnehmer, Kundenbedürfnisse und Regulationen. Eine partizipative Analyse der kommenden Herausforderungen und Chancen hilft Ihnen, diesen Unsicherheiten zu begegnen. Dabei integrieren Sie Ihre Stakeholder sowie Nutzerinnen und Nutzer neuer Produkte- oder Dienstleistungen in die Strategieentwicklung. Diese Methoden unterstützen Sie darin. Sie eignen sich für einzelne Unternehmen und für Unternehmensverbände.
Steckbrief
- Aufwand: ca. 3 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: ein- bis zweitägiger Workshop
- Prozessdauer: ca. 5 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 12 bis 36 Expert/innen
- Integration: Konsultation
Mit einem Gruppendelphi können Sie den Wissensstand von Expert/innen zu einem Thema aufbereiten und auf diese Weise einen Überblick über Konsens und Dissens bei Expertenurteilen bekommen. Dies ermöglicht Ihnen eine Einschätzung für die Bewertung von Sachverhalten, Ereignissen oder Entwicklungstendenzen.
Das Gruppendelphi ist eine Variante des klassischen Delphi-Verfahrens, welches häufig in der Zukunftsforschung und Technologiebewertung zum Einsatz kommt. Eine Gruppe von Expert/innen beantwortet dabei ein und denselben Fragenkatalog mehrmals. In jeder neuen Runde sollen die Expert/innen die Antworten der Gruppe aus der vorherigen Befragung berücksichtigen. Dieses Vorgehen soll die Varianz der Bewertungen verringern und die Urteilssicherheit erhöhen.
Ein wesentlicher Nachteil der klassischen Delphi-Methode besteht darin, dass sie keine Begründungen für abweichende Urteile erfasst. Dadurch stehen Ihnen diese wichtigen Informationen nicht zur Verfügung. Mit dem Gruppendelphi nutzen Sie die erprobten Prinzipien der Delphi-Methode und können gleichzeitig ihre Nachteile vermeiden.
Anwendungsbereich
Das Gruppendelphi eignet sich besonders für die Diskussion von Themen und Entwicklungen, über deren Bewertung, Auswirkungen und Potenziale große Unsicherheiten bestehen. In solchen oftmals kontroversen Situationen wenden Sie diese Methode an, um Klarheit über den Vorrat an einheitlichen Einschätzungen sowie Transparenz über die unterschiedlichen Argumente zu erhalten, die abweichenden Urteilen zugrunde liegen. Mit dem Gruppendelphi nutzen Sie die Expertise von Expert/innen zum Beispiel zur Priorisierung von politischen Handlungsempfehlungen, für Einblicke in neue Erkenntnisse der wissenschaftlich-technischen Forschung oder zur Bewertung von Programm- und Projektergebnissen. Die Methode ist eher nicht geeignet für die Analyse von überwiegend von Werten und Interessen geprägten Debatten.
Ablauf
Bei einem Gruppendelphi laden Sie ausgewählte Expert/innen zu einem ein- bis zweitägigen Workshop ein. Diesen gestalten Sie als Wechsel von Gruppenarbeit und Plenumsdiskussionen. Zu Beginn des Workshops teilen Sie die Expert/innen in Kleingruppen von drei bis sechs Personen auf. Jede dieser Kleingruppen füllt den von Ihnen zuvor erarbeiteten standardisierten Fragebogen aus. Die Antworten jeder Kleingruppe sollten grundsätzlich im Konsens erfolgen. Allerdings sollten Sie auch die Möglichkeit von Minderheitsvoten vorsehen.
In der anschließenden Plenumsdiskussion fokussieren Sie dann auf die Abweichungen in den Antworten zwischen den Kleingruppen. Dazu bitten Sie die zuvor gewählten Vertreter/innen der Kleingruppen, ihre unterschiedlichen Standpunkte zu einer Frage zu erläutern. Dadurch legen Sie die Argumentationsmuster hinter den abweichenden Antworten zwischen den Gruppen offen. Wie sich die Expert/innen innerhalb der Kleingruppen auf eine gemeinsame Antwort einigen, ist dagegen nicht entscheidend.
In der zweiten Workshop-Runde wiederholen Sie die Folge von Kleingruppenarbeit und Diskussion im Plenum. Allerdings setzen Sie jetzt nur noch die Fragen auf die Agenda, zu denen es Uneinigkeit gibt. Dieses Vorgehen wiederholen Sie idealerweise so lange, bis keine Veränderungen im Meinungsbild mehr auftreten oder sich Abweichungen nicht mehr durch weitere Informationen und Argumente auflösen lassen. Am Ende eines Gruppendelphis haben Sie den Geltungsbereich des Konsenses abgesteckt und deutlich gemacht, zu welchen Sachverhalten ein stabiler Dissens besteht.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei einem Gruppendelphi an:
- Erstellung des Delphi-Fragebogens
- Erstellung der Agenda des Gruppendelphis
- Recherche, Auswahl und Einladung der Expert/innen
- Rekrutierung eines Moderators oder einer Moderatorin
- Durchführung des Workshops
- Transkription der Audiomitschnitte der Plenumsdiskussionen
- Auswertung von Fragebogen und Plenumsdiskussionen
- Sonstige organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen, Ausdruck der Fragebögen, etc.)
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung eines Gruppendelphis zum Einsatz:
- Ausgedruckte Fragebögen
- Laptop und Beamer für Erfassung, Auswertung und Präsentation der Ergebnisse der Kleingruppenarbeit
- Audiorecorder zum Mitschnitt der Plenumsdiskussionen
Expertise
Die Durchführung eines Gruppendelphis erfordert methodische Kompetenzen hinsichtlich der Fragebogenentwicklung und der Moderation von Gruppengesprächen. Weiterhin setzt diese Methode sehr gute Kenntnisse über die zur Debatte stehenden Sachverhalte und die im Themengebiet ausgewiesenen Expert/innen voraus. Dieses Wissen ist notwendig für die Gestaltung des Delphi-Fragebogens, die Auswahl der Workshop-Teilnehmer/innen und eine kompetente Moderation der Plenumsdiskussionen (die Kleingruppen werden nicht moderiert).
Beachten
Pausenplanung
Der Rhythmus von Kleingruppenarbeit und moderierten Plenumsdiskussionen ist zentral für Gruppendelphi-Workshops. Organisatorisch setzt dieser Ablauf die Einplanung von Pausen zwischen den einzelnen Workshop-Blöcken voraus.
Elektronischer Fragebogen
In den Pausen zwischen Kleingruppenarbeit und nachfolgendem Plenum werten Sie die Fragebögen mit Blick auf Konsens und Dissens aus. Um dies rasch bewerkstelligen zu können, sollten Sie den Fragebogen auch elektronisch verfügbar haben (z.B. als Excel-Datei). So können Sie die Antworten der Expert/innen vollständig erfassen und dem Plenum via Beamer präsentieren.
Aktualisierung des Fragebogens
Die Pausen zwischen Plenum und nächster Kleingruppenarbeit nutzen Sie, um den Fragebogen an die Ergebnisse des Plenums anzupassen (Streichung von Fragen, zu denen Konsens bestand; Einarbeitung von Vorschlägen zur Umformulierung einzelner Fragen). Die Änderungen fügen Sie handschriftlich in die zu diesem Zweck bereitgehaltenen Ausdrucke der Fragebögen ein.
Beispiel
Im Projekt InnoSmart wurde im September 2014 ein Gruppendelphi zu den gesellschaftlichen Aspekten von Smart Grids durchgeführt. Ein Smart Grid ist ein intelligentes Stromnetz. Seine Bestandteile wie Stromerzeuger, -verteiler, -speicher und elektrische Verbraucher sind digital vernetzt. Sie überwachen sich gegenseitig und optimieren das Netz auf diese Weise automatisch.
Die Entwicklung von Smart Grids und ihre Integration in größere Energiesysteme standen zu diesem Zeitpunkt erst am Anfang. Mithilfe der eingeladenen Expert/innen wollte InnoSmart erforschen, welche gesellschaftlichen Aspekte dabei besonders relevant sind. Ziel des Gruppendelphis war es, einen entsprechenden Überblick zu erarbeiten. Detaildiskussionen zu einzelnen Aspekten waren dagegen nicht vorgesehen.
Entscheidend für eine erkenntnisreiche Diskussion war es, Teilnehmer/innen zu gewinnen, die durch Forschungsprojekte, Veröffentlichungen oder Vorträge als ausgewiesene Smart-Grid-Expert/innen bekannt waren. Wichtig war es zudem, Wissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen einzuladen, um das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten zu können. Der Teilnehmerkreis setzte sich schließlich aus 15 Expert/innen mit sozial- und wirtschaftswissenschaftlichem sowie technischem Hintergrund zusammen.
Der Delphi-Fragebogen umfasste sechs Oberfragen, die jeweils durch eine Reihe von Unterfragen spezifiziert wurden. Diese bestanden überwiegend aus zugespitzten Aussagen („Statements“), die die Expert/innen auf einer achtstufigen Skala (von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 8 „trifft voll zu“) beantworten sollten. Das folgende Beispiel einer Oberfrage mit einem dazugehörenden Statement illustriert die angewendete Frageweise:
- Oberfrage: „Welche Vor- und Nachteile haben Verbraucher im Smart Grid, wer ist Gewinner oder Verlierer, welche Faktoren beeinflussen die Akzeptanz von Smart Grid-Lösungen? Zu diesen und anderen verbraucherbezogenen Implikationen des Smart Grid haben wir eine Reihe von Aussagen zusammengestellt. Bitte bewerten Sie die folgenden Aussagen.“
- Statement: „Durch Energieeinsparungen und sinkende Energiekosten werden die Verbraucher erheblich von Smart Grid-basierten Anwendungen profitieren.“
Das Gruppendelphi fand als eintägiger Workshop von 10:00 bis 17:00 Uhr statt. In diesem Zeitraum ließen sich zwei Runden aus Kleingruppenarbeit und Plenumsdiskussionen durchführen. Der Workshop begann mit einem Vortrag des InnoSmart-Teams. Darin vermittelte es Hintergründe zu den Inhalten des Gruppendelphis und stellte den Fragenbogen sowie die Tagesordnung vor.
Für die erste Kleingruppenarbeit teilte das InnoSmart-Team die 15 Expert/innen in drei Vierer- und eine Dreier-Gruppe auf. Die Gruppen hatten 90 Minuten Zeit, um den Fragebogen zu beantworten. Für die anschließende Plenumsdiskussion waren 60 Minuten reserviert. Weil das Team den Fragebogen um die Fragen gekürzt hatte, zu denen Konsens bestand, gab es den Kleingruppen in der zweiten Runde nur noch 60 Minuten Zeit. Die zweite Plenumsdiskussion konnte es aus demselben Grund auf 45 Minuten begrenzen.
Pausen fanden jeweils nach der Kleingruppenarbeit statt, um den Expert/innen die Gelegenheit für Erfrischungen und Austausch zu geben. In diesen Pausen bereiteten die InnoSmart- Forscher/innen auch die Ergebnisse der Kleingruppen für die anschließenden Plenumsdiskussionen vor. Die Moderation des Plenums übernahm ein Mitarbeiter des Projekts.
Die Ergebnisse des Gruppendelphis fasste das Forscherteam in einem Bericht zusammen, den es den Expert/innen mit der Bitte um Prüfung übermittelte.
Literatur und Links
- Cuhls, K.; Blind, K. (1999): Die Delphi-Methode als Instrument der Technikfolgenabschätzung. In: Bröchler, S.; Simonis, G; Sundermann, K. (Hrsg.): Handbuch Technikfolgenabschätzung. Berlin: Edition Sigma, S. 545-550.
- Häder, M. (2002): Delphi-Befragungen. Ein Arbeitsbuch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
- Niederberger, M. (2015): Das Gruppendelphi. In: Niederberger, M.; Wassermann, S. (Hrsg.): Methoden der Experten- und Stakeholdereinbindung in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 117-137.
- Niederberger, M.; Renn, O. (2018): Das Gruppendelphi-Verfahren: vom Konzept bis zur Anwendung. Wiesbaden: Springer VS.
- Schulz, M.; Renn, O. (2009): Gruppendelphi. Konzept und Fragebogenkonstruktion. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Hofmaier, C.; Kuhn, R.; Wassermann, S.; Wehner, S.; Berneiser, J.; Senkpiel, C. (o.J.): Maßnahmen und Investitionsverhalten von Akteuren im Bereich „Power-to-Gas“-Bericht eines Gruppendelphis. Stuttgart: ZIRIUS – Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung. (https://www.zirius.uni-stuttgart.de/dokumente/SozioE2S-Bericht-Gruppendelphi-final.pdf)
DOWNLOADS
- Fragebogen des InnoSmart-Gruppendelphis „Gesellschaftliche Aspekte des Smart Grid“
- Ergebnisbericht des InnoSmart-Gruppendelphis „Gesellschaftliche Aspekte des Smart Grid“
TEMPLATES
Hier finden Sie Templates zur Durchführung der Methode. Bitte ersetzen Sie die rot markierten Stellen durch eigene Angaben.
Steckbrief
- Aufwand: ca. 3 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: 2 bis 3 tägiger Workshop
- Prozessdauer: ca. 6 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 5 bis 10 Personen
- Integration: Konsultation
Szenarien sind Erzählungen plausibler und in sich konsistenter Zukunftsentwicklungen. Anstatt tatsächliche Entwicklungen zu prognostizieren, sollen sie vielmehr inspirierend sein und Sie so bei der Strategieentwicklung und in Entscheidungsprozessen unterstützen. Durch die Einbeziehung von Nutzer/innen und Stakeholdern bringen Sie zusätzliche Perspektiven in die Entwicklung von Szenarien ein. Außerdem erhöhen Sie damit die Plausibilität der Szenarien und ihrer Bewertung.
Szenarioverfahren ermöglichen die strukturierte Auseinandersetzung mit möglichen alternativen Zukünften. Sie unterstützen Planungs- und Entscheidungsprozesse, die nicht allein auf einer Fortschreibung gegenwärtiger Verhältnisse aufbauen. Vor allem für langfristige Unternehmens- oder Produktstrategien oder sich ändernde Rahmenbedingungen – wie etwa bei der Energiewende – ist das Denken in alternativen Szenarien sinnvoll.
Szenarioverfahren unterscheiden sich vor allem darin, mit welchen Techniken die Zukunftsbilder entwickelt und wie aus ihnen Handlungsstrategien abgeleitet werden. Grundsätzlich wird zwischen explorativen und normativen Szenarien unterschieden. Explorative Szenarien variieren bestimmte Rahmenbedingungen, entlang derer sich unterschiedliche Zukünfte entfalten.
Ausgangspunkt von normativen Szenarien sind dagegen wünschenswerte Bilder der Zukunft. Die Aufgabe besteht dann darin, Entwicklungspfade zu bestimmen, auf denen sich diese Zukünfte erreichen lassen (deshalb laufen sie auch unter der Bezeichnung „Backcasting“). Außerdem sollen kritische Entscheidungspunkte für das Eintreten dieser Entwicklungen identifiziert werden. Mit dieser Technik können Sie Strategien entwerfen, in denen Sie treibende Kraft sind, anstatt sich von den Ereignissen treiben zu lassen.
Die Einbindung von Nutzer/innen und Stakeholdern in die Entwicklung von Szenarien ermöglicht es innovativen Unternehmen, auch die Standpunkte, Strategien und Vorstellungen anderer besser zu verstehen. Sie gewinnen zudem ein klareres Bild, durch welche Maßnahmen sich solche Zukunftsvorstellungen womöglich auch realisieren lassen. Grundsätzlich können Szenarioverfahren dazu beitragen
- langfristige Entscheidungsprozesse zu verbessern,
- Veränderungen anzuregen,
- alternative Zukunftsentwicklungen zu gestalten,
- besser auf Krisen und nicht vorhersehbare Ereignisse vorbereitet zu sein,
- Schlu?sselentscheidungen vorzubereiten,
- zukunftsorientierte Wissens- und Aktionsnetzwerke aufzubauen und
- Zielvorstellungen und einen Aktionsplan zur Umsetzung zu erarbeiten.
Anwendungsbereich
Szenarioverfahren sind sinnvoll bei der Analyse komplexer Problemstellungen, wenn lange Zeithorizonte vorliegen oder falls ein hoher Grad an Unsicherheit über die Entwicklung zukünftiger Rahmenbedingungen im Unternehmensumfeld herrscht. Die Energiewende ist ein Beispiel, bei dem alle drei Voraussetzungen in hohem Maße gegeben sind.
Sie können Szenarioverfahren für die Strategieentwicklung in einzelnen Unternehmen, aber auch in Verbänden einsetzen. Ein Energieverband könnte zum Beispiel Szenarien unterschiedlicher Energiezukünfte entwickeln und darin die Rolle von Versorgern diskutieren. Für ein einzelnes Unternehmen bieten sich Szenarien dagegen an, um Strategien für die erfolgreiche Entwicklung von Technologien und Produkten unter verschiedenen Bedingungen zu formulieren. Szenarioverfahren kommen in der Regel vor der konkreten Produktentwicklung zum Einsatz.
Ablauf
Auch wenn sich die unterschiedlichen Szenarioverfahren im Detail unterscheiden, gibt es einige charakteristische Phasen. In der ersten Phase stellen Sie das Szenario-Team zusammen. Es besteht aus Vertreter/innen Ihres Unternehmens oder Verbandes sowie aus einschlägigen Expert/innen. In der späteren Phase der Entwicklung der Szenarien wird das Team dann um Nutzer/innen oder andere Stakeholder ergänzt. Weiterhin legen Sie zu Beginn die Reichweite und den Fokus oder die Fragestellung des Szenarios fest. Auf dieser Basis können Sie eine erste Entscheidung treffen, ob Sie ein exploratives oder ein normatives Szenario entwickeln wollen.
In der zweiten Phase verschaffen Sie sich das notwendige Wissen, um die gegenwärtige Situation und zukünftige Entwicklungen verstehen zu können. Dazu recherchieren Sie beispielsweise Trends und Treiber oder mögliche kritische Ereignisse für künftige Entwicklungen und identifizieren die dabei relevanten Akteure. Zusätzlich können Sie zu diesem Zweck Expertendelphis, Experteninterviews oder SWOT-Analysen der derzeitigen Unternehmens- oder Produktentwicklung durchführen.
In einer dritten Phase entwickeln Sie die eigentlichen Szenarien. Dabei sollten Sie die Nutzer/innen und Stakeholder einbeziehen, die Sie in der vorherigen Phase identifiziert haben. Diese laden Sie je nach dem Umfang des Verfahrens zu einer Veranstaltung oder einer Serie von Workshops ein. Wichtig ist, dass Sie die Nutzer/innen und Stakeholder als den Expert/innen gleichwertige Teammitglieder einführen.
Für die Entwicklung von Szenarien gibt es unterschiedliche Techniken wie die Formulierung von so genannten Storylines, die dann in konsistente Szenario-Cluster gruppiert werden. Sinnvoll ist es auch, Zukunftsbilder zu zeichnen oder einen in der Zukunft liegenden Zeitungsartikel zu verfassen. In weiteren Schritten verfeinern Sie die Szenarien und prüfen sie auf ihre Plausibilität.
In einer abschließenden Phase bewertet das Szenario-Team die einzelnen Szenarien (zum Beispiel hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit) und zieht entsprechende Schlussfolgerungen. Auf Basis der Szenarien können Sie vorausschauende Analysen durchführen und innovative Strategien formulieren, beispielsweise für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Produkte oder Dienstleistungen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei der Durchführung einer partizipativen Szenarioentwicklung an:
- Zusammenstellung des Szenario-Teams
- Festlegung von Reichweite und Fokus der Szenarien
- Recherche von Trends und Treibern für zukünftige Entwicklungen, „Mapping“ von Stakeholdern
- Planung des Szenarioworkshops (Festlegung des Szenarioverfahrens, Anzahl der Workshops, Einladung von Moderator/innen und Teilnehmer/innen)
- Gemeinsame Entwicklung von Szenarien in den Workshops
- Präsentation der Szenarien im Unternehmen oder in der breiteren Öffentlichkeit
Expertise
Beim Einsatz von Szenarioverfahren ist es vorteilhaft, Fachkräfte mit ausgewiesenen Erfahrungen in diesem Bereich hinzuzuziehen. Darüber hinaus ist keine spezifische fachliche Expertise erforderlich. Vielmehr benötigen Sie die Fähigkeit, vorliegendes Material zu Aspekten wie Trends, Einflussfaktoren oder sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen zu bewerten und zu strukturieren. Dies ist besonders in der Vorphase der Szenarioentwicklung wichtig. Für die Durchführung einer partizipativen Szenarioentwicklung sind vor allem Kenntnisse in der Anwendung von Moderations- und Kreativitätstechniken gefragt.
Beachten
- Externe Unterstützung
Wegen des Umfangs und der Komplexität einer partizipativen Szenarioentwicklung sollten Sie erfahrene Fachkräfte zur Beratung und Unterstützung hinzuziehen. - Ausreichende Variation von Szenarien
Grundsätzlich sollten Sie davon absehen, Szenarien im Sinne von Wahrscheinlichkeiten zu beschreiben. So umgehen Sie das Risiko, ein an sich unwahrscheinliches, aber potenziell hochwirksames Szenario zu übersehen. - Gute Vorbereitung
Die partizipative Szenarioentwicklung ist umso erfolgreicher, je besser Sie die bestehenden Trends und Rahmenbedingungen Ihres Themas im Vorfeld recherchieren und einordnen. In vielen Fällen ist es auch hilfreich, von bereits bestehenden Szenarien auszugehen und diese im Prozess weiter zu verfeinern.
Beispiel
Ein konkretes Beispiel für eine partizipative Szenarioentwicklung ist die in Österreich unter der Leitung des Austrian Institute of Technology durchgeführte Studie zum Thema „Grüne Bioraffinerie“. Bei Bioraffinerien handelt es sich um so genannte Produkt-Nutzungssysteme. Durch „kaskadische Nutzung“ von Biomasse stellen sie Energie sowie Chemikalien und andere Produkte aus regenerativen Materialien her. Die Szenarien sollten Bedingungen aufzeigen, unter denen Geschäftsstrategien für grüne Bioraffinerien nachhaltig sein können. Ziel war außerdem zu sondieren, wie die Politik solche Bedingungen fördern kann.
In einem ersten Schritt grenzte das Projektteam das Themenfeld Bioraffinerien genauer ein. Dazu führte es Literatur- und Internetrecherchen sowie Experteninterviews zum Stand der internationalen Entwicklung, zu bekannten kritischen Problemen sowie zu Bewertungen der Nachhaltigkeit und möglicher Technikfolgen von Bioraffinerien durch. Zusätzlich identifizierte das Team relevante Akteure. Dazu gehörten in dem Themenfeld bereits aktive oder potenziell interessierte Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und landwirtschaftliche Betriebe als Nutzer der Technologie. Eine Auswahl daraus lud das Team zu Szenario-Workshops ein.
Auf diesen Veranstaltungen sollte das Szenario-Team sozio-technische Szenarien als Orientierung für die Forschungs- und Technologiepolitik sowie für innovative Unternehmensstrategien entwickeln. Zudem sollten die Workshops Lern- und Austauschprozesse zwischen den Akteuren des Feldes unterstützen. Die eingesetzte Szenariotechnik war von einem explorativen Ansatz geprägt.
Zunächst bestimmte und systematisierte das Szenario-Team ohne normative Bewertung Faktoren, die die Gestaltung, Entwicklung und Verbreitung der Technologie entscheidend beeinflussen. Diese verband das Team zu partiellen Wirkungsketten und formulierte daraus so genannte Storylines. Anschließend gruppierte es miteinander kompatible Storylines zu ersten groben Szenarioentwürfen. Diese bildeten die Basis, um die verschiedenen Szenarien im Detail auszuformulieren.
Insgesamt fanden drei ganztägige Workshops im Abstand von zwei bis drei Wochen statt, an denen zehn bis 15 Personen teilnahmen. Eine Forschungsgruppe mit Szenarioerfahrung moderierte die Veranstaltungen. Im ersten Workshop verfeinerte das Szenario-Team den thematischen Fokus und entwickelte in einzelnen Arbeitsgruppen Storylines und erste explorative Szenarioentwürfe. Aus diesen wählte es die interessantesten aus und übergab sie dem Projektteam. Dieses formulierte dann die detaillierten Szenarien im Anschluss an den Workshop.
Im zweiten Workshop überprüfte das Szenario-Team die Konsistenz der Szenarien und unterzog sie einer Bewertung nach Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Erhalt von Kulturlandschaften. Im dritten Workshop identifizierte das Team wesentliche Schritte und kritische Entscheidungen auf dem Weg zur Realisierung der Szenarien. Außerdem diskutierte es die Handlungsspielräume der unterschiedlichen Akteure und erarbeitete auf dieser Basis Politik- und Unternehmensstrategien, mit deren Hilfe sich die wünschenswerten Zukünfte erreichen lassen.
Literatur und Links
- Berkhout, F.; Hertin, J.; Jordan, A. (2001): Socio-economic futures in climate change impact assessment: using scenarios as 'learning machines', Norwich: Tyndall Centre for Climate Change Research.
- Eames, M.; Egmose, J. (2011): Community foresight for urban sustainability: Insights from the Citizens Science for Sustainability (SuScit) project', Technological Forecasting and Social Change 78 (5). S. 769-84.
- Institut für Technikfolgenabschätzung (2006): Leitfaden partizipativer Verfahren. Ein Handbuch für die Praxis, Wien: ITA.
- Neuvonen, A.; Kaskinen, T.; Leppänen, J.; Lähteenoja, S.; Mokka, R.; Ritola, M. (2014): Low-carbon futures and sustainable lifestyles: A backcasting scenario approach. Futures 58. S. 66-76.
- Rohrbeck, R.; Battistella, C.; Huizingh, E. (2015): Corporate foresight: An emerging field with a rich tradition. Technological Forecasting and Social Change 101. S. 1-9.
- Timpe, C.; Voss, J.-P.; Bauknecht, D.; Truffer, B.; Konrad, K.; Markard, J. (2007): Integrierte Mikrosysteme der Versorgung - Dynamik, Nachhaltigkeit und Gestaltung von Transformationsprozessen in der netzgebundenen Versorgung, Freiburg: Öko-Institut.
- Voß, J.-P.; Truffer, B.; Konrad, K. (2005): Sustainability Foresight für Versorgungssysteme: Ein ko-evolutorischer Ansatz zur Analyse, Bewertung und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung. In: Meyerhoff, J.(2005): Innovation und Nachhaltigkeit. Jahrbuch Ökologische Ökonomik 4. S. 175–200.
- Weber, K.M.; Rohracher, H.; Kubeczko, K.; Leitner, K.-H.; Oehme, I.; Späth, P.; Whitelegg, K. (2006): Transition zu nachhaltigen Produktionssystemen. Berichte aus Energie- und Umweltforschung 31/06, Wien: BMVIT.
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: http://buergerbeteiligung.lpb-bw.de/szenario-workshop.html
- Helmholtz Research School on Energy Scenarios: www.energyscenarios.kit.edu
Steckbrief
- Aufwand: 1 Personenmonat
- Veranstaltungsdauer: 0,5 bis 1,0 Tage
- Prozessdauer: 3 Monate
- Anzahl der Teilnehmenden: 15 bis 40 Personen
- Integration: Konsultation
Stakeholderdialoge sind moderierte Diskussionsprozesse zwischen einem Unternehmen und ausgewählten Stakeholdern. Sie werden häufig im Zusammenhang mit der Entwicklung von Nachhaltigkeits- oder Corporate-Social-Responsibility-Strategien eingesetzt.
Mit einem Stakeholderdialog können Sie die Erwartungen Ihrer Stakeholder erfassen. Stakeholder sind Personen oder Organisationen, die durch die Unternehmenstätigkeit betroffen sind oder die einen Anspruch an Ihr Unternehmen richten. Hierzu zählen Ihre Mitarbeiter/innen, Kund/innen, Lieferant/innen, Aktionär/innen, Anwohner/innen, Behörden und Nichtregierungsorganisationen.
Auf Basis einer Stakeholderanalyse können Sie mit ihnen ins Gespräch kommen, indem sie ausgewählte Vertreter/innen zu einem Dialogworkshop einladen. Stakeholderdialoge können auch online oder schriftlich geführt werden. Die Toolbox „partizipativ innovativ“ unterstützt den direkten Austausch mit Ihren Stakeholdern und fokussiert daher auf den Dialog in Form von Workshops.
Stakeholderdialoge helfen Ihnen Trends zu beobachten und Schlüsselthemen zu identifizieren, zwischen verschiedenen Interessen zu vermitteln und Konflikten vorzubeugen sowie Anregungen für die Unternehmenspolitik und Kommunikation zu gewinnen.
Anwendungsbereich
Stakeholderdialoge werden häufig für die (Weiter-)Entwicklung von Nachhaltigkeits- bzw. CSR-Strategien eingesetzt. Sie sind ein etabliertes Instrument der Nachhaltigkeitskommunikation und Sie können sie nutzen, um die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen für Ihr Unternehmen zu bestimmen. Im Zusammenhang mit Innovationen eignen sie sich für die Entwicklung oder Diskussion von Unternehmens- und Innovationsstrategien. Sie können sie besonders zu Beginn eines Innovationsprozesses – in der Phase der Strategieentwicklung – einsetzen.
Ablauf
Zunächst sollten Sie das Ziel und das Oberthema für den Stakeholderdialog festlegen. Hierfür eignen sich beispielsweise Ihre Innovationsstrategie, Innovations- und Zukunftstrends, die Erwartungen der Stakeholder an ihre zukünftigen Produkte und Dienstleistungen oder auch die Frage, wie Ihre Angebote zukünftigen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen gerecht werden.
Zur Vorbereitung beginnen Sie mit einer Stakeholderanalyse, um die für Ihr Unternehmen im gewählten Thema wichtigen und relevanten Stakeholder zu identifizieren. Hierfür listen Sie zunächst alle Stakeholdergruppen auf und vermerken, welche Interessen und Ansprüche diese mit Ihrem Unternehmen verbinden. Außerdem sollte Sie einschätzen, welche Möglichkeiten der Einflussnahme Sie auf die Stakeholder und umgekehrt diese auf Ihr Unternehmen haben. Der Blick auf das ganze Spektrum potenzieller Stakeholder hilft Ihnen sicherzustellen, dass Sie keine wichtigen Akteure übersehen. Anschließend können Sie die Stakeholder priorisieren, beispielsweise indem Sie anhand der folgenden Kriterien deren Relevanz für Ihr Unternehmen und für das gewählte Thema bestimmen:
- Wissen: Welches (zusätzliche) Wissen und Know-how können die Stakeholder zum gewählten Thema einbringen?
- Macht: Welche Möglichkeiten haben die Stakeholder ihre Anliegen durchzusetzen?
- Legitimation: Als wie legitim und berechtigt werden die Ansprüche der Stakeholder in der gesellschaftlichen Debatte zum jeweiligen Thema wahrgenommen?
- Dringlichkeit: Sind die Ansprüche zeitlich kritisch?
Auf dieser Basis können Sie eine Auswahl von Stakeholdern treffen, die Sie zu einem Dialogworkshop einladen. Durch eine Stakeholderanalyse und -priorisierung gewinnen Sie im Vorfeld des Workshops ein vertieftes Verständnis der Motive, Interessen, Expertise oder Mitwirkungsbereitschaft der von Ihnen ausgewählten Stakeholder und können so potenzielle Konfliktfelder identifizieren.
Sie können die Analyse auf Basis von Informationen wie Stellungnahmen, Pressemitteilungen oder Studien der Stakeholder durchführen. Außerdem haben Sie die Möglichkeit, bereits in Vorbereitung auf einen Dialogworkshop Interviews mit ausgewählten Stakeholdern zu führen. Dadurch lernen Sie deren Positionen und Interessen besser kennen und können diese bei der Planung des Workshops berücksichtigen.
In Vorbereitung auf einen Dialogworkshop konkretisieren Sie die Themen, die Sie diskutieren möchten und von denen Sie aufgrund der Stakeholderanalyse vermuten, dass sie für die Stakeholder von Bedeutung sind. Formulieren Sie konkrete Fragen, auf die Sie sich Antworten von den Stakeholdern erhoffen. Lassen Sie diese aber offen genug, damit die Stakeholder Ihre eigenen Anliegen vorbringen können. Zu Beginn des Dialogworkshops sollten Sie sich gemeinsam mit den Stakeholdern auf Ziele und Themen einigen. Bei der Durchführung des Dialogworkshops können Sie verschiedene Moderations- und Kreativitätstechniken einsetzen.
Beginnen Sie einen Workshop mit einer Phase des Austausches und des Kennenlernens der unterschiedlichen Positionen. Dann können Sie Ihre Überlegungen beispielsweise zur Innovationsstrategie einbringen und diese bewerten und kommentieren lassen. Zum Ende des Workshops sollten Sie zu Vereinbarungen hinsichtlich eines (gemeinsamen) Folgeprozesses kommen und die erzielten Lernergebnisse und Erkenntnisse festhalten.
Im Anschluss an den Workshop erstellen Sie eine Dokumentation für die Teilnehmenden, aus der die Ergebnisse und Vereinbarungen des Dialoges klar hervorgehen. Diese sollten Sie zur Abstimmung an die Teilnehmenden schicken und deren Feedback einarbeiten. In einer unternehmensinternen Auswertung des Stakeholderdialogs definieren Sie den Folgeprozess und setzen die Umsetzungsschritte fest. Wichtig ist, dass Sie im Nachgang die Stakeholder informiert halten, was aus dem Dialog gefolgt ist. Sollten sich im Nachhinein Dinge als nicht umsetzbar erweisen, ist auch hier eine offene und transparente Kommunikation zentral.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei einem Stakeholderdialog an:
- Analyse der Stakeholder-Landschaft
- Erstellung der Workshop-Agenda
- Auswahl und Einladung von Stakeholdern
- Rekrutierung eines/r Moderators/in
- Festlegung der anzuwendenden Moderations- und Kreativitätstechniken
- organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen, etc.)
- Durchführung des Workshops
- Ergebnisdokumentation (z.B. Fotoprotokoll) für die interne Nutzung und die Teilnehmenden
- Auswertung des Workshops
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung eines Stakeholderdialogs zum Einsatz:
- Laptop, Beamer, Fotoapparat
- Gegebenenfalls Hand-outs (z.B. Tischvorlagen mit Diskussionsthemen)
- Moderationsmaterialien
Expertise
Wichtig für einen erfolgreichen Stakeholderdialog ist zunächst die Identifikation der für das Thema und das Unternehmen relevanten Stakeholder. Dies erfordert eine gute Kenntnis der Stakeholder-Landschaft. Von Vorteil sind daneben Erfahrungen mit der Gestaltung von Workshops sowie der Anwendung von Moderations- und Kreativitätstechniken im Kontext heterogener, potentiell konfliktträchtiger Akteurskonstellationen.
Beachten
- Neutrale Moderation
Für Stakeholderdialoge empfiehlt sich die Einbindung einer neutralen Moderation. Dies erhöht das Vertrauen der Stakeholder in die Ernsthaftigkeit des Prozesses. Zudem fällt es einer neutralen Moderation leichter in Konfliktfällen zu vermitteln. Es kann auch hilfreich sein, die neutrale Moderation in die gesamte Prozessgestaltung inklusive Stakeholderanalyse einzubeziehen. - Zuhören und Offenheit für ungewohnte Positionen
Im Austausch mit Ihren Stakeholdern werden Sie auf ungewohnte Meinungen und Positionen stoßen. Hier ist es wichtig, dass Sie offen sind und durch Fragen und Empathie versuchen, diese Positionen zu verstehen. Auch gegenüber Kritik sollten Sie offen sein und nicht sofort mit Rechtfertigungen reagieren. Nur so können Sie zu gemeinsamen Lösungen kommen. - Einbindung der Unternehmensspitze
Die Teilnahme am Stakeholderdialog ist für die Stakeholder attraktiver, wenn von Unternehmensseite hochrangige Vertreter/innen teilnehmen. Dies verdeutlicht, dass das Unternehmen die Stakeholderbeteiligung ernst nimmt. - Kontinuität
Es empfiehlt sich, Stakeholderdialoge nicht als einzelne Veranstaltungen sondern als einen kontinuierlichen Prozess zu verstehen, in dem das Unternehmen in regelmäßigen Abständen mit den (gleichen) Stakeholdern zusammen kommt. So können gemeinsam Ziele und Strategien vereinbart und Fortschritte gemessen werden.
Beispiel
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und das Institut für Forstökonomie der Universität Freiburg führten im Jahr 2007 einen Stakeholderdialog zu Klimaschutz bei Vodafone Deutschland durch. Aufgabe des Projekts war die Konzeption und Durchführung eines Dialogforums zum Thema Klimaschutz mit dem Ziel, Empfehlungen für die CSR-Strategie und -Berichterstattung von Vodafone Deutschland zu entwickeln. Im ersten Schritt identifizierten die Projektpartner dafür die relevanten Themenfelder sowie die entsprechenden Stakeholder.
Im Stakeholderdialog trafen sich Vertreter/innen des Unternehmens mit Mitarbeiter/innen der Energieagentur Nordrhein-Westfalen, von Germanwatch e.V., Future-Camp GmbH, Bündnis 90/Die Grünen sowie des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur. Der Dialog fand als eintägige Veranstaltung von 10:30 Uhr bis 16:00 Uhr statt. Zu Beginn wurden Hintergrund und Ziele des Stakeholderdialogs vorgestellt.
Hauptziel des Dialogs war es, Stakeholderanforderungen in Sachen Klimaschutz zu ermitteln. Nachdem die Teilnehmer/innen ihre Erwartungen an den Dialog formuliert hatten, wurden zentrale Kernpunkte und Schlüsselfelder für den Klimaschutz und die Energieeffizienz des Unternehmens identifiziert und die Erwartungen an Maßnahmen des Unternehmens diskutiert sowie bisherige Maßnahmen bewertet.
Literatur und Links
- Leitschuh-Fecht, H. (o.J.): Die Welt jenseits der Ökonomie verstehen: Auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit brauchen Unternehmen den Dialog mit der Zivilgesellschaft.
- Leitschuh-Fecht, H.; Bergius, S. (2007): Vertrauensbildung – Stakeholderdialoge; in: Henzler, H.; Kirchhoff, K.R.; Ziesemer, B. (Hrsg.): Jahrbuch der Unternehmenskommunikation; Berlin; S. x-y.
- Riede, M. (2012): Determinanten erfolgreicher Stakeholderdialoge. Erfolgsfaktoren von Dialogverfahren zwischen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Kassel: kassel university press GmbH
- Vodafone Deutschland (2007): Zukunft ist jetzt! Corporate Responsibility Report 2006/2007.
Steckbrief
- Aufwand: 1,5 Personenmonate
- Veranstaltungsdauer: 1 - 3 Tage
- Prozessdauer: 1 Monat
- Anzahl der Teilnehmenden: optimal 10 – 30 Personen (möglich mit bis zu 100 Personen)
- Integration: Konsultation
Bei einer Zukunftswerkstatt werden mit Hilfe von Zukunftsvisionen und Utopien gemeinschaftlich Lösungen für bestehende Probleme erarbeitet. Das Kernelement dieser Methode sind drei Phasen: Kritikphase, Phantasiephase und Verwirklichungsphase. Sie können die Methode für all jene Prozesse nutzen, bei denen kreative Ideen gefragt sind und Sie gemeinsam mit von dem Problem betroffenen Personen innovative Lösungen erarbeiten wollen.
Die Zukunftswerkstatt ist eine von Robert Jungk entwickelte Methode, die insbesondere dazu dient, mit kreativem Denken und Phantasie bestehende Probleme zu lösen. Sie soll dazu anregen, aus herkömmlichen Denkmustern auszubrechen und mit Hilfe eines utopischen Blickes in die Zukunft neue Lösungswege zu finden. Wesentlich ist der kreative Prozess, weshalb in einer Zukunftswerksatt keinesfalls Lösungen von vornherein festgelegt oder forciert werden sollten. Sie können diese Methode besonders bei komplexen und vielschichtigen Problemen anwenden, bei denen es unterschiedliche Perspektiven gibt. Mithilfe der Methode können Sie eingetretene Pfade aufbrechen und neue Ideen jenseits von etablierten Lösungen entwickeln.
Gerade für Fragestellungen, bei denen unkonventionelle Ideen gesucht werden und es einen Gestaltungsspielraum für Innovationen gibt, eignet sich die Methode der Zukunftswerkstatt besonders gut. Alle Teilnehmenden gelten als Expert/innen und Menschen jeden Alters, jeder Bildung und Herkunft wird die Fähigkeit zugesprochen Zukunft mitzugestalten. Von diesen verschiedenen persönlichen Hintergründen lebt eine Zukunftswerkstatt. Besonders ideenreich und lebendig sind Zukunftswerkstätten dann, wenn die Teilnehmenden unmittelbar von der Problematik betroffen sind. Die Zukunftswerkstatt soll die Beteiligten aktivieren, ermutigen und die Entwicklung selbstbestimmter Perspektiven fördern.
Anwendungsbereich
Als Unternehmen können Sie Zukunftswerkstätten bei der partizipativen Strategieentwicklung anwenden. Sie können die Methode mit kleineren und auch mit sehr großen Gruppen durchführen.
Grundsätzlich können Sie die Zukunftswerkstatt in allen Themenfeldern anwenden, in denen kreative Ideen, Offenheit und die Integration unterschiedlicher Perspektiven gefragt sind. Sie eignet sich sowohl als Problemlöse- und Ideenfindungswerkstatt als auch als Strategiewerkstatt. Die Methode eignet sich besonders gut, um Menschen gleichranging an diesen Prozessen zu beteiligen.
Aber auch als Bildungseinrichtung oder Unternehmen können Sie die Methode nutzen, beispielsweise, um neue Ideen und innovative Lösungen für konkrete Aufgabenstellungen zu entwickeln. Hier kann es zum Beispiel um Zukunftsentwürfe sowie Ziele und Maßnahmen für Ihre Organisation gehen. Auch für die Entwicklung eines Zukunftsprofiles, Unternehmensleitbildes oder für Neugründungen sind Zukunftswerkstätten einsetzbar.
Ablauf
Um die Teilnehmenden auf das Thema der Zukunftswerkstatt einzustimmen, bietet es sich an bereits vorab einen kurzen Einführungstext bereitzustellen. Um eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, sollten sich die Teilnehmenden zu Beginn kennenlernen. Hierzu eignet sich beispielweise ein Kennenlernspiel oder ein „thematisches Kennenlernen“, bei dem die Teilnehmenden ihre individuelle Motivation für die Teilnahme an der Zukunftswerkstatt zu schildern.
Damit das freie unvoreingenommen Phantasieren, also der Kern einer Zukunftswerkstatt, gelingen kann, ist es besonders wichtig, dass Sie die Teilnehmenden über die Regeln einer Zukunftswerkstatt informieren.
- Alle Beiträge werden gleichwertig behandelt, unabhängig von Hierarchien und Rollen.
- Jede/r hilft jedem, Ideen anderer dürfen aufgegriffen und weiterentwickelt werden.
- Es werden keine verbalen und nonverbalen Killer-Phrasen verwendet (z.B. „Das haben wir ja noch nie gemacht!“, „Das ist aber gegen die Vorschriften!“, „Wer soll das bezahlen?“ sowie kritische Blicke und Stirnrunzeln)
- Alles ist möglich und erlaubt, es gibt keinerlei Einschränkungen durch „Zwänge“.
Es kann hilfreich sein, wenn Sie die Regeln für die Zusammenarbeit auf einer Flipchart visualisieren. Nach dieser Vorbereitungsphase beginnen die eigentlichen drei Phasen einer Zukunftswerkstatt.
Abbildung: Schematischer Aufbau der Zukunftswerkstatt, Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Methodenbeschreibung der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen und Kuhnt und Müllert (2006)
1. Kritikphase
In der Kritikphase sollen die bestehenden Herausforderungen innerhalb des Themenfeldes herausgearbeitet werden. Es geht darum den Ist-Zustand zu beschreiben und zu kritisieren.
- Fragen: Schreiben Sie eindeutig formulierte Kritikfragen auf ein Flipchart oder Plakat (z. B. „Was sind Ihre Befürchtungen, welche Probleme und Hindernisse sehen Sie, wenn sie an die Energiewende in unserer Kommune denken?“).
- Sammeln: Teilen Sie die Gruppe je nach Anzahl der Teilnehmenden in Kleingruppen auf und sammeln Sie alle Kritikpunkte, die genannt werden, auf Moderationskarten.
- Clustern & Präzisieren: Anschließend werden die Kritikpunkte im Plenum verdichtet und geclustert (Welche Kritikpunkte passen zusammen?) und durch Beispiele präzisiert.
- Auswählen: In der Regel können aufgrund der begrenzten Zeit nicht alle Themencluster bearbeitet werden. Deshalb lassen Sie die Teilnehmenden eine Auswahl an Cluster bestimmen, die sie in der nächsten Phase weiter vertiefen möchten. Dies erfolgt in der Zukunftswerkstatt selbstbestimmt durch die Teilnehmenden und sollte nicht von „oben“ gesteuert werden.
2. Phantasie- und Utopiephase
In der zweiten Phase entwickeln die Teilnehmenden Ideen und Innovationen. Je nach Anzahl der zuvor ausgewählten Cluster werden nun Kleingruppen gebildet. Die Zuordnung kann spontan oder nach einem von Ihnen zuvor bestimmten Prinzip erfolgen, beispielsweise eine Mischung aus unterschiedlichen Altersgruppen, Nutzungsgruppen oder auch beruflichen Hintergründen.
- Umformulieren: Fordern Sie die Teilnehmenden auf, in den Kleingruppen die zuvor gesammelten Kritikpunkte so umzuformulieren, dass positive Aussagen oder Wünsche entstehen (z. B. aus „fehlender Bürgernähe“ wird „viel Bürgernähe“).
- Entwickeln & Entwerfen: Lassen Sie nun die Teilnehmenden ihre eigenen Ideen entwickeln und Utopien entwerfen, z. B. durch Brainwriting. Ob die Ideen auch wirklich umsetzbar sind, sollte keine Rolle spielen.
- Auswerten & Auswählen: Die Gruppen stellen sich gegenseitig ihre Utopien vor. Es wird eine Ideenliste angelegt, in der die herausragenden Einfälle von dem Teilnehmenden auf einem Flipchart oder ähnlichem notiert werden. Daraus werden Ziele abgeleitet.
Besonders wichtig ist es in der Phantasiephase die Teilnehmenden zum freien Denken oder gar zum „Spinnen“, ohne äußere Restriktionen (technisch, wirtschaftlich, politisch etc.) und zum Blick über den Tellerrand hinaus zu motivieren. Nur so kann sich die Phantasie der Teilnehmenden frei entfalten.
3. Verwirklichungs- und Praxisphase
In der Verwirklichungsphase geht es darum zu überlegen, wie die Ziele praktisch umgesetzt werden können. Die Teilnehmenden überprüfen die Ideen und Visionen auf ihre Machbarkeit hin und entwickeln konkrete Projekte und Schritte, um die zuvor definierten Ziele zu erreichen.
- Priorisieren: Welche Ideen sollen umgesetzt werden? (Vergabe von Punkten)
- Identifizieren: Welche möglichen Barrieren (Akteure & Strukturen) stehen einer Realisierung im Weg? Was braucht es, damit die Ideen tragfähig und umsetzbar werden? Welche Maßnahmen sind dazu notwendig?
- Planen: Projektumrisse entwerfen und konkrete Schritte erarbeiten (Wer kann was, mit wem, in welcher Form, bis wann umsetzen?)
Der Weg der Zukunftswerkstatt geht immer vom Allgemeinen zum Besonderen und endet mit konkreten praxisbezogenen Projektideen, bei denen auch schon die ersten Schritte für die Umsetzung geplant werden. In dieser Phase müssen die Ideen in die Realität „übersetzt“ werden. Die Teilnehmenden bleiben nicht in der Phantasiewelt stehen, sondern entwickeln konkrete Lösungsansätze, die sich aus unkonventionellen und kreativen Ideen speisen.
Den Abschluss der Zukunftswerkstatt bildet eine Rückmeldung der Teilnehmenden beispielsweise in Form eines Blitzlichtes oder einer methodischen Evaluation. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt werden dokumentiert. Damit die entwickelten Ideen und Projektskizzierungen von Unternehmen für weiterführende Innovationsprozesse und die Strategieentwicklung genutzt werden können, sollten Sie die wesentlichen Anknüpfungspunkte im Unternehmen, die nächsten Schritte und bestenfalls einen Zeitplan beinhalten. Infomieren Sie die Teilnehmenden darüber, wenn bzw. wie Sie die erarbeiteten Ideen und Maßnahmen planen, umzusetzen.
Folgende Arbeitsschritte fallen typischerweise bei einer Zukunftswerkstatt an:
- Planung der Thematik, Zielsetzung und Gruppengröße
- Rekrutierung von Moderation- und Co-Moderation
- Identifikation und Rekrutierung von Teilnehmenden
- Abstimmung mit Moderation zur thematischen Zielsetzung, Gesamtzeit und sozialen Gruppenstruktur
- Organisatorische Vorbereitungen (Auswahl und Buchung von Tagungsort und Caterer, Auswahl der Getränke und Speisen etc.)
- Vorbereitung des Inputmaterials, Erstellung der Materialliste & des Ablaufplans
(erfolgt i.d.R. durch Moderation) - Durchführung der Zukunftswerkstatt inkl. (Foto-) Dokumentation während der Veranstaltung
- Synthese der Dokumentation
Folgende Materialien und Geräte kommen bei der Durchführung einer Zukunftswerkstatt zum Einsatz:
- Hintergrundinformationen zum Thema (Artikel, Broschüren, Filme)
- Stellwände & Papierbögen/Plakate/Flipcharts, Moderationskarten
- Material zum Gestalten (Bunte Stifte z.B. Pastell-Ölkreiden/Scheren, Klebeband & Klebestifte, Bunt- oder Krepppapier, Naturmaterialien)
- Fotoapparat zur Dokumentation
Expertise
In der Zukunftswerkstatt werden besondere Kompetenzen von der Moderation verlangt. Die inhaltlichen Kenntnisse zum Thema der Zukunftswerkstatt sind dabei weniger von Bedeutung. Wesentliche Kompetenzen der Moderation sind die methodisch-didaktischen sowie sozialen Kenntnisse, um die Teilnehmenden auf dem Lösungsweg zu begleiten. Eine offene und positive Grundeinstellung, thematische Neutralität, Präsenz und Verbindlichkeit sowie gruppenorientierte Sensibilität sind wichtige Eigenschaften der moderierenden Person. Die Moderation sollte das Modell und die Moderationsanforderung der drei Phasen gut kennen und in der Lage sein, situationsgerecht sozial-orientierte und kreative Moderationsmethoden einzusetzen.
Beachten
- Gruppengröße
Für Zukunftswerkstätten mit einer Teilnehmendenzahl von 15 bis 40 Personen sind zwei bis drei Moderator/innen sinnvoll. Gehen die Teilnehmendenzahlen über 50 Personen hinaus, sollten weitere Moderator/innen eingebunden werden. - Gruppenzusammensetzung
Die Gruppen sollte so zusammengesetzt sein, dass möglichst viele Kompetenzen und Perspektiven zu einem Thema und möglichst wenig formale Hierarchien (z.B. Vorgesetzte und Angestellte) vertreten sind. Bei der Kleingruppenbildung sollte die Moderation auf eine Durchmischung achten. - Unvorhergesehenes
Auch, wenn die Zukunftswerkstatt sehr gut geplant ist, kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Dazu gehören beispielsweise geringe Motivation, die Dominanz einzelner Personen, Teamunstimmigkeiten oder das Festhalten an Überholtem. Die Moderation kann bei Unstimmigkeiten mit vorwärtsgerichtet Fragen Impulse geben (z.B. „Wie könnte eine Lösung dieses Problems aussehen?“) oder nach Beispielen für konkrete Problemlagen fragen. - Methodische Ausgestaltung
Die methodische Ausgestaltung muss auf die Gruppengröße angepasst werden. Alle drei Phasen sollten methodisch gut vorbreitet und professionell moderiert werden. - Räumlichkeiten
Achten Sie bei der Auswahl der Räumlichkeiten darauf, dass Sie für die Kleingruppenarbeit ausreichend Platz bieten. Wichtig ist auch, dass die Räume eine angenehme Atmosphäre und kreatives Denken ermöglichen.
Beispiel
Die Zukunftswerkstatt zum Thema „Zukunft der Energie am Werksstandort Berlin“ wurde mit Vertreter/innen eines produzierenden Unternehmens sowie mit Wissenschaftler/innen aus drei verschiedenen Fachbereichen der Technischen Universität Berlin durchgeführt. Sie zielte darauf ab, Ideen für innovative Energietechnologien für die Energieversorgung eines Standortes des beteiligten Unternehmens in Berlin zu entwerfen. Darüber hinaus nutzte das beteiligte Unternehmen die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt, um eine Innovations-Roadmap zu entwickeln.
Zu Beginn der Zukunftswerkstatt stellte die Moderation den Teilnehmenden zunächst die Vorgehensweise des Formats vor. Anschließend stieg die Gruppe in die erste Phase der Zukunftswerkstatt ein, in der die folgende Fragestellung im Plenum bearbeitet wurde: Wo sehen Sie das größte Verbesserungspotenzial, um die Energieversorgung des Unternehmensstandortes nachhaltiger zu gestalten? Nach der freien Sammlung der Verbesserungspotenziale wurden entsprechende Handlungsfelder für eine verbesserte Energieversorgung des Unternehmens an einem städtischen Industriestandort identifiziert (z. B. Gebäude und Strukturen, Produktionsprozess, urbanes Umfeld usw.) und die gesammelten Verbesserungsvorschläge entsprechend zugeordnet. Dabei sollten die Teilnehmenden sowohl auf die Energieversorgung der Gebäude als auch auf die benötigte Energie in der Produktion eingehen. Darauf aufbauend identifizierten und clusterten die Teilnehmenden die für die jeweiligen Handlungsfelder wesentlichen Einflussfaktoren wie beispielsweise Energiequellen, Energieeffizienz oder Gebäudeplanung.
Die darauffolgende Utopiephase zielte darauf, eine nachhaltige Zukunftsvision für den urbanen Unternehmensstandort zu entwickeln. Die Teilnehmenden sollten dafür ein Demonstrationsobjekt in Berlin entwerfen – die „Fabrik der Zukunft“. Bedingung war, dass die „Fabrik der Zukunft“ ihre Energie weitestgehend aus erneuerbaren Energiequellen bezieht. Um einen Rahmen zu schaffen, gab die Moderation eine Größenordnung für den Energiebedarf des fiktiven Unternehmensstandorts vor. Die Teilnehmenden diskutierten, welche Technologien und Komponenten sie installieren würden, wie diese miteinander verknüpft sein könnten und wie das System im urbanen Umfeld eingebunden wäre. Um eine gute Durchmischung der anwesenden Kompetenzen zu erreichen, teilte die Moderation die Teilnehmenden bereits im Vorfeld je nach beruflichem Hintergrund in Kleingruppen ein. Diese Vorgehensweise sollte die interdisziplinäre Perspektive stärken.
Die Moderation forderte die Teilnehmenden auf, innerhalb einer Stunde in Kleingruppen ihre Ideen zusammenzutragen und zu visualisieren. Die Teilnehmenden hatten viel Spaß in dieser Utopiephase und konnten ihre Ideen frei von jeglichen Restriktionen entwickeln. Sie haben die sehr kreativen und zahlreichen Ideen auf Flipcharts visualisiert.
In der Verwirklichungsphase war es zum Teil problematisch den Schritt von der Vision in die Realität zu schaffen und den Bezug zu den konkreten technischen Restriktionen herzustellen, weil es für die Teilnehmenden als starker Bruch empfunden wurde. An dieser Stelle ist besondere Kompetenz und methodisches Geschick gefragt, um die Teilnehmenden nicht mit den realen Bedingungen zu erschlagen. Dies kann beispielsweise erreicht werden, indem zunächst die besten Ideen ausgewählt werden, um dann gemeinsam zu überlegen, wie diese umzusetzen sind. In einem anschließenden Schritt sollten dann erst reale Restriktionen einbezogen werden. Nach einer kurzen spontanen Kaffeepause gelang es schließlich auch, die Ideen in die Realisierungsphase mitzunehmen und Eckpunkte eines Leitbildes für die Energie der Zukunft am Werksstandort mit potenziellen Maßnahmen zu entwickeln.
Insgesamt stieß die Methode bei den Teilnehmenden auf gute Resonanz und insbesondere die Phantasie- und Utopiephase erwies sich als sehr vielversprechend. Die gemeinsame kreative Arbeit motivierte die Teilnehmenden ihre verschiedenen Ideen in einer gemeinsamen Vision zu verknüpfen und neue Wege für eine mögliche Umsetzung zu gehen.
Literatur und Links
- Holzinger, H.; Spielmann, W. (2016): Die Zukunft demokratisieren. Einführung in die Methode Zukunftswerkstatt. (Download PDF)
- Jungk, R./Müllert, N. (1989): Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation, München: Heyne Sachbuch.
- Kuhnt, B., & Müllert, N. R. (2006): Moderationsfibel Zukunftswerkstätten: verstehen-anleiten-einsetzen; das Praxisbuch zur sozialen Problemlösungsmethode Zukunftswerkstatt (Vol. 166). Neu Ulm:AG SPAK Bücher.
- Müllert, N. R. (2009): Zukunftswerkstätten. In Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag, S. 269-276.
- Müllert, N. R. (2017): Zukunftswerkstatt. In: P. Patze-Diordiychuck, J. Smettan, P. Renner, T. Föhr (Hrsg.): Methoden Handbuch Bürgerbeteiligung. Band 2: Passende Beteiligungsformate wählen. München: oekom, S. 150-160.
- Methodenbeschreibung der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen
- Methodensammlung der EnergieAgentur.NRW (im Auftrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen)
- Methodenbeschreibung der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik
- Methodenbeschreibung in der Materialiensammlung des Lehrerfortbildungsservers Baden-Württemberg
- Methodenbeschreibung des Wegweisers Bürgergesellschaft, ein Projekt der Stiftung Mitarbeit
- Methodensteckbrief des Methodenkoffers SGL
- Kreativtechniken und -übungen
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